Als die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) 1992 in die Räumlichkeiten in der Oranienstraße 25 in Berlin Kreuzberg einzog, lag die Gentrifizierung des Kiezes noch in weiter Ferne. Heute ist sie längst Realität geworden. Vor wenigen Jahren gab es noch viele Künstler*innen und Ateliers im Kiez—nun nehmen Startups ihren Platz ein. Die Mieten steigen rasant. Die nGbK, deren künstlerisches Wirken sich seit 50 Jahren um politische und gesellschaftskritische Themen dreht, gehört zu den letztverbliebenen Kulturinstitutionen in der Gegend. »Wir gehören zum letzten Rest«, sagt Geschäftsführerin Annette Maechtel.
Das Jugendstilhaus, in dem die nGbK untergebracht ist, wurde 1910 erbaut und steht heute unter Denkmalschutz. Jahrzehntelang war der Gewerbehofkomplex der Berliner Sitz der Deuta-Werke, die vor allem Tachos für die Automobil- und Flugzeugindustrie herstellte. Ende der 1980er Jahre ging der Gewerbehof dann in den Besitz einer Eigentümergemeinschaft über. Und kürzlich erwarb der Immobilienfonds Victoria Immo Properties mit Sitz in Luxemburg das Gebäude—was sich prompt zu einem Politikum entwickelte. Denn angesichts drastischer Mieterhöhungen sehen sich alle Mietparteien in Haus vom Rauswurf bedroht.
Die Mieter selbst bilden eine Art Schicksalsgemeinschaft. Der Eingang zum Ausstellungsraum der nGbK im Parterre führt durch den Buchladen Kisch & Co. Das Durchgangsrecht und die Nutzung des Schaufensters des Buchladens sind sogar dezidiert im Mietvertrag festgelegt. Darüber hinaus versuchen Kunstinstitution und Buchladen auch, sich inhaltlich zu verschränken. Der Buchladen, sagt Annette Maechtel, kenne das jeweilige Programm der nGbK und versuche es mit Büchern thematisch zu ergänzen. Und auch mit dem ebenfalls sich im Gebäude befindenden Museum der Dinge bestehe ein freundschaftliches Verhältnis. Über die Jahre, so Maechtel, habe sich eine gute Symbiose entwickelt.
Zwar habe die Gentrifizierung zu mehr Tourismus und Laufpublikum geführt, was den Ausstellungen des Kunstvereins zugutekam, aber die Frage sei eben auch, wie lange sich Kunst- und Kulturvereine wie die nGbK überhaupt noch halten können. Ein Trost: Derzeit laufen Gespräche, die nGbK in eine landeseigne Immobilie in der Karl-Marx-Allee zu verlegen. So bliebe sie langfristig vor Wuchermieten geschützt.
NEUE GESELLSCHAFT FÜR BILDENDE KUNST (nGbK)
Radikale Passivität: Politiken des Fleisches
11 SEP—1 NOV 2020
Fr—So 12—18 Uhr
Eröffnung 11 SEP, 13—23 Uhr
Revision: Peripherie als Ort Das Hellersdorf-Projekt. Fotoserien von Helga Paris und Ulrich Wüst
c/o STATION URBANER KULTUREN, Auerbacher Ring 41, 12619 Berlin (Eingang Kastanienboulevard, neben Lebenshilfe e.V.)
13 SEP—21 NOV 2020
Do, Sa 15—19 Uhr
Eröffnung 12 SEP, 16—20 Uhr