Tom Esam und Paul Ferens

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© Tom Esam & Paul Ferens

Tom Esam und Paul Ferens, Gründer von Number 1 Main Road, sprechen über ihren Antrieb, kreatives Potenzial in jedem Moment und Ausstellungen, die sie begeistern.

Woran arbeiten Sie aktuell—und was reizt oder fordert Sie daran besonders?
Wir stecken derzeit mitten in den Vorbereitungen für unsere nächste Ausstellung ›Sending Hate von Most Dismal Swamp.  Wir ermutigen unsere Künstler*innen immer dazu, groß zu denken—so, als gäbe es keinerlei Einschränkungen. Jetzt befinden wir uns in der Phase, in der wir aus dieser großen Idee eine umsetzbare Version entwickeln.  Unsere Erfahrung zeigt, dass gerade dieses Zurückskalieren oft zu besonders eindrucksvollen Ausstellungen führt. Und erstaunlich oft kommen wir dem ursprünglichen Traum-Szenario dabei ziemlich nahe.

Gibt es ein tägliches Ritual, das Ihnen Struktur oder Inspiration gibt?
Nein, aber das klingt nach einer guten Idee!  Bei uns sieht jeder Tag ganz anders aus—wir pendeln ständig zwischen organisiert, gesund und professionell und absolutem Chaos.  Zu viel Struktur lässt irgendwann alles erstarren, aber ohne jegliche Struktur brennt man völlig aus.

Welche Musik begleitet Sie, wenn Sie sich fokussieren oder in Ihr kreatives Schaffen zurückfinden möchten?
Wir hören zurzeit viel Chuquimamani-Condori.  In ihrer Musik überlagern sich oft zwei Stücke gleichzeitig—das passt ziemlich gut zu unserem Geisteszustand während der Arbeit an einer Ausstellung: chaotisch, aber mit einem Gefühl von Zusammenklang.

Gab es ein Buch, das Ihre Sichtweise nachhaltig verändert hat—und warum würden Sie es weiterempfehlen?
›Kippenberger: Der Künstler und seine Familien von Susanne Kippenberger ist für uns eine große Inspiration, wenn es darum geht, das kreative Potenzial aus jeder Gelegenheit herauszuholen.  Sie beschreibt, wie für ihn jeder Flyer, jedes Plakat, jeder Ausstellungstext zu einer Möglichkeit wurde, sich auszudrücken… Diese gierige/großzügige Haltung können wir gut nachvollziehen.  Wir nutzen jeden Winkel unseres kleinen Raums als Teil der Ausstellung—so sehr, dass wir weder ein Büro noch einen Lagerraum haben. Die Ausstellung breitet sich bis in die letzten Ecken unseres physischen Raums aus und setzt sich in unserer Online-Kommunikation fort.

Welches Kunstwerk hätten Sie gern bei sich zu Hause?
Es wäre spannend, eine Kunstinstallation in einem häuslichen Umfeld zu integrieren—etwas, das einen ganzen Raum oder sogar mehrere Räume übernimmt. ›Simply Botiful‹ von Christoph Büchel zu besitzen, wäre unglaublich. Ich erinnere mich daran, wie ich durch einen Kühlschrank geklettert bin und schließlich bei einer prähistorischen Ausgrabungsstätte mit einem Wollmammut gelandet bin. Der Umfang und die Tiefe dieser Installation waren einfach irre.

Wir sprechen schon länger darüber, Installationen außerhalb klassischer Kunsträume zu realisieren. Unser Traum wäre es, das Number 1 Main Museum aufzubauen, in dem einige unserer Installationen dauerhaft leben könnten… Letztes Jahr haben wir uns alte Motels im Herzen der USA angesehen, aber bislang hat sich noch niemand gefunden, der tief genug in die Tasche greifen will, um diesen Plan zu finanzieren. (Falls du das bist—unsere DMs sind offen!)

Welcher Ausstellungsort in Berlin inspiriert Sie?
Ausstellungen, die auf ihre Umgebung reagieren, interessieren uns besonders—und das scheint außerhalb klassischer White-Cube-Räume häufiger zu passieren. Die Lawrence LekAusstellung der LAS Art Foundation war phänomenal. New Scenario inspiriert uns seit vielen Jahren.  Trauma Bar hatte ein großartiges Programm, und es ist spannend zu sehen, wie sie jetzt als Trauma ohne festen Ort weitermachen.  Auch die letzten Ausstellungen von Molt fanden wir extrem aufregend!

Gibt es einen Gegenstand, der Sie begleitet und ein Stück Ihrer Identität widerspiegelt?
Nein, wir mögen Abwechslung.  Jeden Tag dasselbe mit uns herumzutragen, würde sich wie ein Anker anfühlen.

Was motiviert Sie, auch in Momenten des Zweifelns weiterzumachen?
Wir neigen nicht besonders dazu, an uns selbst zu zweifeln—wahrscheinlich einer der Gründe, warum wir uns so lange in dieser unsicheren Branche gehalten haben. Unsere Gespräche drehen sich eher um die praktischen Aspekte der Umsetzung unserer Ideen und darum, wo wir unsere Energie am sinnvollsten einsetzen—nicht ums Zweifeln.  Wir haben eine lange Liste von Projekten, die wir realisieren wollen, und von Künstler*innen, mit denen wir unbedingt zusammenarbeiten möchten… Es wird also noch einige Jahre dauern, bis wir bei etwas ankommen, bei dem wir wirklich ins Grübeln geraten!

Mit welcher Persönlichkeit würden Sie gern ein Gespräch führen—und worüber würden Sie sprechen?
Wir haben genug Künstler*innen getroffen, um zu wissen, dass große Bewunderung für ihre Arbeit nicht automatisch zu spannenden Gesprächen führt!  Die besten Gespräche mit Kreativen entstehen oft dann, wenn man gemeinsam Ideen entwickelt—deshalb ist unsere aktuelle Antwort auf diese Frage unsere kommende Künstler*in Dane Sutherland (Most Dismal Swamp).  Für ein paar Monate tief in den kreativen Prozess einer Künstler*in einzutauchen, ist einer der schönsten Teile dieses Jobs.  Deshalb konzentrieren wir uns auf Einzelausstellungen, bei denen neue Arbeiten entstehen—das macht das Kuratieren zu einem echten Austausch.

Worauf freuen Sie sich, wenn ein Arbeitstag zu Ende geht?
An einem guten (und mittlerweile selten gewordenen) Tag: ›Kingdom Come: Deliverance 2 spielen… Für ein paar Stunden zum Ritter des Mittelalters zu werden, ist ein ziemlich guter Ausgleich zu den Realitäten der Berliner Kunstwelt!

 

 

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