ai weiwei—know thyself


Wir freuen uns, auf Ai Weiweis fünfte Einzelausstellung bei neugerriemschneider aufmerksam zu machen, die zur Berlin Art Week und Herbstausgabe des Gallery Weekend Berlin am Standort Christinenstraße eröffnet. know thyself vereint neue Werke seiner fortlaufenden Serie, in der er kunstgeschichtliche und zeitgenössische Bilder durch De- und Rekonstruktion in Lego-Steinen neu kontextualisiert. Mit diesem spielerischen wie unmittelbaren Medium, das sowohl Generationen als auch Länder übergreift, unternimmt Ai eine kritische Analyse des westlichen Kulturkanons, die von Bezügen auf seinen eigenen künstlerischen Werdegang durchzogen ist.

Im Laufe seiner Karriere schuf Ai immer wieder Lego-Arbeiten, um durch die händische Verarbeitung Hunderttausender Bausteine die Kriterien von bildnerischer Komposition und Produktion zu hinterfragen. Sukzessiv weitet er seine Untersuchung der repräsentativen und konzeptionellen Möglichkeiten dieses Mediums aus, um Nachbildungen ikonischer Kunstwerke und anderer bekannter Bilder zu entwickeln. In Anlehnung an Marcel Duchamp und sein Vermächtnis des Readymade verwendet Ai ein massenproduziertes Material für die Adaption existierender Motive, die er oft durch Abwandlungen in seinen persönlichen sozialen und politischen Kontext transponiert. Dabei spielen die kantigen Steine auf Pixel an, aus denen die heutigen digitalen, massenhaft und weltweit verbreiteten Bilder zusammengesetzt sind.

In seiner Präsentation bei neugerriemschneider kombiniert Ai acht solcher Interpretationen in Lego. Der Ursprung des Werks Know Thyself (2022), auf das der Ausstellungstitel rekurriert, ist ein Mosaik aus dem ersten Jahrhundert nach Christus, das an der Via Appia in Rom entdeckt wurde und heute in den Diokletiansthermen der Stadt ausgestellt ist. Es zeigt eine Vanitas-Darstellung, auf der die Aufforderung „Erkenne Dich selbst“ in Griechisch prangt. Ai knüpft an diese antike Arbeit an, um existenziell über die komplexen Überschneidungen und Kontraste zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu reflektieren, welche durch die Analogien beziehungsweise Unterschiede zwischen Mosaik und Lego repräsentiert werden.

Pollock in Black (2020), ein maßgebliches Werk für Ais Ansatz der modifizierten Reproduktion, basiert auf Jackson Pollocks One: Number 31, 1950 (1950). Der gestische, fast kalligrafische Auftrag von Öl- und Emaillefarben des Originals ist hier nahezu im Maßstab 1:1 in ein binäres Schwarz-Weiß umgewandelt, während das Beige der Leinwand durch graue Lego-Steine ersetzt wird. Pollocks Drip-Bild steht sinnbildlich für Ais intensive Rezeption der US-amerikanischen Nachkriegskunst während seiner prägenden Zeit in New York von 1983 bis 1993.

The Last Supper in Green, The Last Supper in Blue, The Last Supper in Pink und The Last Supper in White (alle 2022) beziehen sich auf Leonardo da Vincis berühmtes Abendmahl-Wandgemälde im Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie in Mailand. Die unterschiedlichen Farbversionen stellen eine Verbindung zu Andy Warhols Siebdrucken des Motivs her, die Ais Vorstellung von Kunst als Praxis entsprechen, welche eng mit ihrer Geschichte und der zeitgenössischen Medienlandschaft verflochten ist. Die kunsthistorische Tradition des Selbstporträts innerhalb einer größeren, oftmals sakralen Komposition aufnehmend, bildet sich Ai in allen vier Bildern als Judas ab, wobei sein scheinbar hämisches Lachen auf die disruptive Qualität seines Schaffens und das daraus resultierende angespannte Verhältnis zur chinesischen Regierung anspielt.

Diese Auseinandersetzung mit Schlüsselwerken zeichnet ebenso Water Lilies #2 (2022) aus. Die Arbeit nimmt Bezug auf eines der monumentalen Gemälde, die Claude Monet in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Motiven seines pittoresken Gartens schuf. Mit einer Breite von über 15 Metern umfasst das Lego-Bild die Betrachtenden an drei Wänden, wodurch es einerseits eine kontemplative Wirkung entfaltet und andererseits seine Details heraushebt. In der rechten Bildhälfte wird die farblich veränderte Komposition durch eine autobiografische Anspielung geografisch und zeitlich neu interpretiert: Ein dunkles Feld bildet den Eingang zur unterirdischen Wohnstätte ab, in der Ai als Kind mit seinem Vater, dem Dichter Ai Qing, lebte, nachdem dieser in den späten 1950er Jahren ins Exil verbannt worden war.

Mit Nord Stream (2022) wendet sich Ai von der Nachbildung kanonischer Arbeiten zugunsten eines zeitgenössischen Nachrichtenbilds ab, welches das Resultat der explodierten Erdgaspipeline Nord Stream 2 zeigt - eine weiß sprudelnde Fläche im blauen Meer, in der sich mehr als zwei Jahrzehnte aufgeheizter internationaler Beziehungen entladen. Das Werk verweist auf das langjährige politische Engagement des Künstlers, indem es seine frühere Beschäftigung mit der Migration nach Europa über gefährliche Wasserwege erweitert und nach der Gewichtung divergierender Bestrebungen fragt - internationale Sorge um Menschenleben oder Sicherung von Ressourcen und Kapital. Dabei besitzt die pixelartige Darstellung eine zwischen Abstraktion und Figuration changierende Bildqualität, die mit den ausgestellten Hommagen an Pollock und Monet verwandt ist.

Werke von Ai Weiwei (geb. 1957) wurden in Einzelausstellungen internationaler Museen und Institutionen gezeigt, darunter Design Museum, London (2023); Basilica di San Giorgio Maggiore, Venedig (2022); Albertina Modern, Wien (2022); Serralves, Porto (2021); Mildred Lane Kemper Art Museum, St. Louis (2019); Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf (2019); Oca - Ibirapuera Park, São Paulo (2018); Sakıp Sabancı Museum, Istanbul (2017); Israel Museum, Jerusalem (2017); Nationalgalerie Prag, Prag (2017); The Andy Warhol Museum, Pittsburgh (2016); National Gallery of Victoria, Melbourne (2015); Royal Academy of Arts, London (2015); Alcatraz, San Francisco (2014); Martin-Gropius-Bau, Berlin (2014); Brooklyn Museum, New York (2014); Art Gallery of Ontario, Toronto (2013); Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington, D.C. (2012); Deutscher Pavillon, 55. Biennale von Venedig, Venedig (2013); Turbine Hall, Tate Modern, London (2010); Haus der Kunst, München (2009); documenta 12, Kassel (2007) und Kunsthalle Bern, Bern (2004).

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