30 Jahre KW

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Philippe Van Snick, Dag/Nacht, 1984–fortlaufend, Installationsansicht Eingangstor KW Institute for Contemporary Art, Foto: Frank Sperling, Courtesy Tatjana Pieters

Die KW Institute for Contemporary Art werden dieses Jahr 30 Jahre alt. Jenny Dirksen, die seit 2018 das Archiv dieser für die Zeit nach 1989 in vielerlei Hinsicht prägenden Berliner Kunstinstitution aufgearbeitet hat, präsentiert und kommentiert für uns eine eigens zusammengestellte Auswahl von Einladungskarten aus den verschiedenen Phasen der KW—von 1991 bis 2021.

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In den Details ziehen sich auch die zunächst simplen Fakten einer Geschichtsschreibung auseinander. Diese Einladungskarte markiert zum Beispiel den Übergang hin zur Gründung der Kunst-Werke. Als festes Datum nennen wir meist den 1 JUL 1991, als sich der B.E.A.M. e. V. und Klaus Biesenbach vom Gemeinen Kunstverein zusammenschließen und den Namen KUNST-WERKE BERLIN e. V. im Vereinsregister festhalten. Der Künstler Timo Kahlen wies mich allerdings drauf hin, dass bereits auf dieser Einladungskarte erstmals der Name Kunst-Werke Berlin verwendet wird—vor der offiziellen Namensgebung und auch vor der ersten Ausstellung in den bis heute genutzten Räumen in der Auguststraße 69.

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Diese Ankündigung der Ausstellung ›PAN AM‹ von Stefan Heidenreich, Daniel Pflumm und Pit Schultz ist zugleich das einzige davon im Archiv verbliebene Zeugnis. Trotzdem oder vielleicht deshalb ist sie eines der Objekte, das bei bisher allen, die mit mir einen Blick auf die Unterlagen der ersten Jahre der Kunst-Werke geworfen haben, mit die größte Faszination auslöst—für mich ein Zeichen, dass Daniel Pflumms Kunst nach wie vor unmittelbar anschlussfähig ist.

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›trap‹—folgt man den Macher*innen Art in Ruins, Stephan Geene und BüroBert weniger Ausstellung als Statement—hinterfragt 1993 radikal, was von politischem Aktivismus und politischen Diskursen bleibt, wenn sie in den Ausstellungskontext transferiert werden, und welche Ausgrenzungsmechanismen und diskriminierenden Strukturen nicht zuletzt in den Institutionen selbst angelegt sind. Diese Fragen beschäftigen das künstlerische Feld seit ein paar Jahren verstärkt. Projekte wie ›trap‹ machen deutlich, dass das nicht zum ersten Mal passiert. Sie verweisen auf eine Ausstellungsgeschichte des Protests.

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Das ist eine negativ invertierte Schwarzweißfotografie von Uwe Walter, der über Jahre hinweg die Ausstellungen der Kunst-Werke dokumentierte und dort auch selbst ein Studio unterhielt. Sie diente 1995 als Umschlag für die Einladungskarten zu zwei Ausstellungsprojekten: ein Korridor von Bruce Nauman und eine Ausstellung zu Gerhard Merz’ nie realisierten Plänen für den Lustgarten auf der Museumsinsel. Das Foto zeigt den Innenhof der Kunst-Werke. Die Verquickung der künstlerischen Erfahrungsarchitektur von Nauman und des monumentalen, umstrittenen und letztlich gescheiterten öffentlichen künstlerischen Bauprojekts von Merz mit einer gewissen Ruinencharme-Nostalgie der eigenen Räumlichkeiten vor der bevorstehenden Renovierung zeigt meiner Ansicht nach, wie sehr sich der rasante Umbau von Berlin-Mitte nicht nur im Ausstellungsprogramm, sondern auch in der Selbstdarstellung der Institution Kunst-Werke niedergeschlagen hat.

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Zweifellos ist das von Dan Graham entworfene Café Bravo eines der Wahrzeichen der KW. Diese Postkarte ist kurz nach der Fertigstellung des Cafés 1998 entstanden. Was mich an ihr besonders interessiert, ist der Verweis auf »fresh roasted coffees, baked goods & fusion cooking«. »Fusion cooking« könnte hier synonym für Gentrifizierung stehen—ein Hinweis auf die Entwicklung der ›Kunstmeile Auguststraße‹, wie sie seit 1994 in der Presse betitelt wurde. Heute geht es, auch wenn sich am kulinarischen Angebot nichts wesentlich geändert hat, deutlich gesetzter zu: Die Gentrifizierung ist abgeschlossen.

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Dieser Flyer wurde 1998 offensichtlich anlässlich der 1. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst gedruckt und verteilt: Verlost wurde ein Flug nach New York anlässlich der Eröffnung der Ausstellung ›Children of Berlin. Cultural Developments 1989—1999‹ im dortigen P.S.1, die gewissermaßen eine Erweiterung und Fortsetzung der Biennale darstellte. Zum einen ist die Verlosung Ausdruck der engen, durch Klaus Biesenbach personifizierten Kooperation mit dem P.S.1, zum anderen markiert sie ›Children of Berlin‹ ebenso als Gipfel wie als Schwanengesang eines Berlin-Hypes, der in der Stadt selbst häufig als Verkürzung und Ausverkauf kritisiert wurde.

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1999 realisieren sich viele langgehegte Pläne in den KW: Mit der Umbenennung in KW Institute for Contemporary Art dominiert das vom Grafikbüro LSD designte Logo für die kommenden Jahre die Einladungskarten mit wechselnden farbigen Hintergründen. Diese Karte im Speziellen kündigt die Eröffnung der vom Architekten Hans Düttmann auf der Fläche des zweiten Hinterhofs gebauten Halle an (ausgestellt wurde Sol LeWitts ›Cube Without a Corner‹), die die Ausstellungsfläche der KW um 400 qm vergrößerte. Seitdem nimmt die Halle eine so zentrale Rolle in der Ausstellungsszenografie ein, dass man sich die KW ohne sie kaum mehr vorstellen kann.

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Diese Veranstaltungsankündigung fand ich zufällig inmitten des zweiten Lockdowns und spürte eine Resonanz mit den 2001 nicht einmal einen Monat nach dem 11. September gestellten Fragen nach den Auswirkungen auf Kulturschaffende und die ›globale Kunstwelt‹. Von hier aus ergeben sich für mich viele Anknüpfungspunkte. Um nur zwei zu nennen: das Hinterfragen der Parameter unserer Alltagsrealität angesichts von Krisen und die Rolle von Kunstinstitutionen als Ort der Zusammenkunft und Diskussion. Die erschütternden Berichte und Bilder, die uns aktuell aus Kabul erreichen, lassen mich diese Karte noch einmal neu lesen. Besonders die hier vor 20 Jahren formulierte Frage nach der Vorbildfunktion des Westens kann heute, angesichts des beschämenden Verhaltens der westlichen Regierungen, nur mit einem klaren Nein beantwortet werden.

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›Verbrechen der Wehrmacht‹ (2002) und ›Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-Ausstellung‹ (2003) sind die Ausstellungen, die den KW jenseits der Berlin Biennale die größte öffentliche Aufmerksamkeit eingebracht haben. Daher verbindet man die Institution heute auch oft mit Themenausstellungen, die aktuelle Debatten aufgreifen oder mitgestalten. Tatsächlich aber sind es häufig die Einzelausstellungen, die zu eindrucksvollen Resultaten führen, wie hier anhand des Covers des Ausstellungsbooklets von ›Absalon‹ zu sehen, einer 2010 von Susanne Pfeffer kuratierten, umfassenden Retrospektive des Werks des früh verstorbenen israelischen Künstlers.

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›Die Wette—eine Untersuchung über Zweifel, Kontingenz und Sinn in Ökonomie und Gesellschaft‹ war ein Performance-Wochenende, das die KW 2013 bald nach dem Einstand der neuen Kuratorin Ellen Blumenstein in Kooperation mit den Berliner Festspielen realisierten. In dem Programm scheinen einige Motive auf, die Blumensteins Arbeitsweise charakterisieren, etwa das Begreifen eines Rahmenprogramms als nicht bloß begleitend, sondern wesentlich zugehörig und gleichwertig mit der jeweiligen Ausstellung, aber auch die Anbindung an lokale Institutionen und Akteur*innen. Neben der Funktion, eine Plattform für das internationale zeitgenössische Kunstgeschehen zu bieten, wie es im Rahmen der Institution am besten durch die von Gabriele Horn geleitete Berlin Biennale abgebildet wird, ist eine solche Anbindung der Hauptaufgaben eines Vereins wie der KW. Anhand des Programmfaltblatts, hier in seiner zugeklappten Form, kann man auch den Wechsel des Grafikdesigns beobachten: Statt LSD zeichnet für die nächsten Jahre das Studio Quentin Walesch verantwortlich.

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Ein Ausflug durch die Geschichte eines Vereins für zeitgenössische Kunst sollte in der Gegenwart und somit bei dem Programm von Krist Gruijthuijsen und Anna Gritz enden: Zurzeit laufen in den KW bis zum 19 SEP 2021 die Ausstellungen ›Michael Stevenson. Disproof Does Not Equal Disbelief‹ und die Gruppenausstellung ›Zeroes and Ones‹, ab dem 21 AUG ergänzt durch die ›BPA// Exhibitions‹. Von ersterer habe ich das von Marc Hollenstein designte Ausstellungsplakat ausgewählt, das eines ihrer Bildmotive aufgreift: Die Schiphol-Fliege, deren Funktion es ist, die Aufmerksamkeit der Betrachter*innen auf sich zu ziehen.

Alle Bilder: Courtesy KW Institute for Contemporary Art

KW INSTITUTE FOR CONTEMPORARY ART
30 Jahre KW
Performance & Programm
Sonderöffnungszeiten Berlin Art Week
18 SEP, 11—22 Uhr
19 SEP, 11—19 Uhr

Michael Stevenson
3 JUL—19 SEP 2021

Zeros and Ones
21 AUG—19 SEP

BPA// Exhibitions 2021
21 AUG—19 SEP 2021

KW Digital: Open Secret
16 JUL—31 DEC 2021

DAS KÖNNTE IHNEN AUCH GEFALLEN