»Building Skin«

von 
Sandra Mujinga © Sjur Einen Sævik

Sandra Mujinga ist eine von vier Nominierten für den diesjährigen Preis der Nationalgalerie. Wir haben mit ihr über die Rolle der menschlichen Figur in ihrer Arbeit und Fragen der Tarnung und Undurchsichtigkeit gesprochen; und darüber, wie man den Körper durch Musik denkt. Ach ja, und über Dinosaurier.

Welche Rolle spielt die menschliche Figur und ihre Darstellung in Ihrer Arbeit?

Mich interessiert die Frage sehr, ab wann man zum Menschen wird. Dazu gehört zum Beispiel, darüber nachzudenken, was es bedeutet, ›Menschenrechte‹ zugesprochen zu bekommen—und diese Frage in den historischen Kontext des Kolonialismus einzuordnen. Wann also ist jemand ›ein Mensch‹? Wenn man menschlich aussieht? Woran kann man das Menschsein ablesen? Das sind die Fragen, mit denen ich mich beschäftige. Die Kategorie des Menschen beinhaltet auch ein großes Maß an Gewalt. Man muss sich nur einmal die Koexistenz von Menschen und Nicht-Menschen anschauen. Mich interessieren nicht zuletzt die Strategien, mit denen Tiere diese Gewalt überleben, wie beispielsweise Säugetiere immer nachtaktiver werden, um dem Menschen aus dem Weg zu gehen. Und schließlich wäre da noch ein weiterer Aspekt, der in meiner Arbeit eine Rolle spielt: die Sciene-Fiction-Perspektive—das Spekulieren darüber, was mit dem Menschen passieren könnte, und zu mutmaßen, wie der menschliche Körper sich unter unterschiedlichen Bedingungen in der Zukunft vielleicht verändert.

»Wann ist jemand ›ein Mensch‹? Wenn man menschlich aussieht? Woran kann man das Menschsein ablesen?«

Strategien der Tarnung, der Undurchsichtigkeit oder der Unsichtbarkeit scheinen in Ihrer Arbeit immer wieder aufzutauchen. Könnten Sie etwas mehr über Ihren Einsatz solcher Strategien sagen?

Der Ausgangspunkt für mich ist hier die Arbeit mit Textilien und die Übersetzung von Textilien in Haut—als etwas, das in der Welt auftaucht. ›Haut konstruieren‹ in diesem Sinne ist ein wichtiges Element meiner Arbeit, ein wichtiger Teil des Entwerfens von Figuren und der Weltbildung, eine Strategie des ›worlding‹. Was Tarnung angeht, fand ich den Umstand immer sehr interessant, dass militärische Tarnung eigentlich nur für das menschliche Auge gemacht ist—und wie sich dies entwickelt, wenn Camouflage nun auch für die Kameraaugen einer Drohne funktionieren muss. Erscheinung ist immer mit dem Blick verbunden. Sie existiert nur innerhalb dieser Beziehung. Diese Gleichung ist für meine Arbeit zentral. In der Tierwelt kann beispielsweise das, was für das menschliche Auge ziemlich grell und auffällig erscheint, für einen anderen Blick als Tarnung funktionieren. Daneben hat auch das Auftauchen von Anti-Überwachungs-Make-up um circa 2014 herum mein Interesse an derartigen Fragen der Tarnung geweckt. Damals fingen Leute an, sich bestimmte Formen ins Gesicht zu malen, damit Kameras ihr Gesicht nicht lesen und sie identifizieren konnten. Das ist nicht so weit davon entfernt, sich das Gesicht zu kodieren. Selbst bei meinen Skulpturen fühle ich mich immer vom Aspekt des ständigen Wandels angezogen. Vielleicht liegt das in meinem Performance-Hintergrund begründet. Und vermutlich finde ich deshalb auch die Handlungsfähigkeit von Stoffen an sich so reizvoll—ihre Wandlungsfähigkeit.

Sandra Mujinga, Ghosting, 2019, Installationsansicht Kunsthal Charlottenborg, Copenhagen © Sandra Mujinga / Croy Nielsen, Vienna, The Approach, London / David Stjernholm

»Erscheinung ist immer mit dem Blick verbunden. Sie existiert nur innerhalb dieser Beziehung.«

Gibt es ein spezifisches Konzept von Zeit, mit dem Sie arbeiten?

Musik spielt in meiner Arbeit eine wichtige Rolle. Mein Zeitgefühl und meine Erfahrung von Zeit kommen von der Arbeit mit Musik. Visuelles Material wird in meinem Werk oft repetitiv eingesetzt, die Klänge dagegen schaffen eine Art Klimax. Musik ist für mich ein Weg, um Zeit zu markieren, ebenso eine Art Werkzeug für Zeitreisen. Ich interessiere mich auch für die Techniken der Schichtung, wie sie mit Klang möglich sind. Das ist etwas, was mein bildnerisches Arbeiten stark beeinflusst. Wenn ich darüber nachdenke, dass Dinge nicht ganz oder klar sichtbar sind, dann immer durch Klang. In etwa wie im Falle eines unterliegenden Basses, der einfach da ist und sich dann plötzlich offenbart oder auf irgendeine Art seine Form verändert. Was würde es bedeuten, einen Körper auf diese Art zu denken? Wie würde ein solcher Körper aussehen?

 

Was planen Sie für Ihre Ausstellung für den Preis der Nationalgalerie in Berlin diesen Herbst? 

Sagen wir mal, es wird eine Weiterführung meiner Praxis des ›world-buildings‹. Und es wird neue Skulpturen geben. Im Moment interessiere ich mich für das Hin und Her von Aufbau und Zerfall, von Zusammenfügen und Auflösung. Deshalb reizen mich gerade Dinosaurierfossilien enorm. Moment mal, Dinosaurier—das klingt ziemlich seltsam! (lacht)

HAMBURGER BAHNHOF—MUSEUM FÜR GEGENWART—BERLIN
Preis der Nationalgalerie 2021. Lamin Fofana. Calla Henkel & Max Pitegoff. Sandra Mujinga. Sung Tieu
16 SEP 2021—27 FEB 2022
Vorbesichtigung im Rahmen der Berlin Art Week am 15 SEP ab 20 Uhr mit vorab gebuchtem Zeitfensterticket.

DAS KÖNNTE IHNEN AUCH GEFALLEN