Mire Lee

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Mire Lee

Die Künstlerin Mire Lee beantwortet unser Questionnaire. Thomas Bernhard lesen und laut lachen.

Woran arbeiten Sie gerade?
Ich arbeite an mechanischen Skulpturen mit Industriepumpen und Motoren. Ich mache außerdem Vorhänge, Behälter, Objekte, die man anziehen kann, und möbelähnliche Gebilde. Aktuell bereite ich eine Doppelausstellung mit HR Giger für den Schinkel Pavillon vor.

Wer oder was hat Sie in Ihrer Arbeit beeinflusst?
Am meisten bin ich von dem direkten Erleben dessen beeinflusst, wie Menschen das Leben unterschiedlich navigieren. Wenn ich Menschen kennenlerne, dauert es eine Weile, bis ich verstehe, warum sie bestimmte Entscheidungen treffen oder warum sie auf eine bestimmte Art und Weise denken und handeln. Vor diesem Moment der Erleuchtung gibt es immer falsche Vorstellungen, die ich mit mir rumschleppe. In dem Moment aber, in dem das bricht und sich neu ordnet, verändert sich auch meine Art des Denkens und Handelns. Ich könnte auch sagen: Es ist dieser Moment der Erleuchtung, der mich am meisten beeinflusst.

Zu welchem Kunstwerk kehren Sie immer wieder zurück?
Zu allen Kunstwerken von Louise Bourgeois und zu ›Endless House‹ von Friedrich Kiesler. Bourgeois’ Arbeiten und Kieslers ›Endless House‹ machen mich sprachlos, fast ein wenig hilflos, und dieses Gefühl bewegt mich sehr. Es ist fast so, als würden mir diese Arbeiten gebieten zu schweigen.

Was würden Sie machen, wenn Sie keine Kunst machen würden?
Ich spiele dieses Spiel ständig mit anderen Künstler*innen. Und ich nenne dabei immer viel zu viele Sachen, ohne mich richtig festzulegen. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich sonst machen könnte. Vielleicht auf dem Bau arbeiten?

Was lesen oder hören Sie gerade?
Seit letztem Jahr bin ich süchtig nach Thomas Bernhard. Es wirkt für mich so, als ginge es in allen seinen Büchern um dieselbe Geschichte, und wenn ich ein Buch fertig habe, kann ich gleich ein neues lesen. Ich mag an Bernhards Werk, dass man oft laut loslachen muss. Und beim Lesen eines Romans laut zu lachen, fühlt sich irgendwie komisch und intim an. Man hat es hier mit einer ganz anderen Art des Lachens zu tun, die auf eine Art die tiefsten Abgründe offenzulegen scheint. Die andere Eigenschaft, die ich an Bernhards Büchern wirklich sehr gerne mag, ist seine extreme, unironische Verwendung von Negativität. Doch während seine Worte voll des Hasses sind und es—dank des starken Einsatzes der Negativität—diese ständige Spannung zwischen dem Sadistischen und dem Masochistischen gibt, gelingt es ihm irgendwie, Zuneigung, Verletzlichkeit, Sentimentalität und eine bemerkenswerte Wärme zu zeigen, die mir sofort das Herz brechen. Gerade lese ich ›Beton‹.

Was muss Kunst heute Ihrer Meinung nach können?
Darauf habe ich keine Antwort.

Welchem Aspekt der Prä-Pandemie-Welt weinen Sie eine Träne nach—und welchem nicht?
Ich glaube, mir fehlen all die verschiedenen Spielarten kollektiver Situationen mit großen Gruppen, in denen es möglich ist, zu verschwinden oder niemand zu sein. Ebenso geht mir die häufige und aufgeregte Vorfreude auf irgendwelche Aktivitäten in der nahen Zukunft ab. Was mir nicht fehlt, sind die allgemein fehlende Empathie und Wertschätzung der Nähe anderer Menschen. Ebenso wenig die die Angst, irgendetwas zu verpassen.

Wenn Sie Ihre Arbeit auf einen Begriff bringen müssten—welcher wäre das?
Hierauf habe ich keine Antwort.

Haben Sie ein tägliches Ritual?
Ich chatte täglich zwischen einer halben und einer ganzen Stunde mit derselben Person in Korea. Das hilft mir wirklich in meinem Leben und ich fühle mich ganz komisch, wenn ich es mal einen oder zwei Tage vergesse.

Worauf freuen Sie sich in nächster Zeit im Kunst- und Kulturbereich?
Ich besuche bald das HR Giger Museum in Gruyères. Darauf freue ich mich sehr.

SCHINKEL PAVILLON
HR Giger & Mire Lee
18 SEP 2021—2 JAN 2022
Eröffnung 17 SEP, 18 Uhr

 

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