Chronik eines Andersdenkenden

von 
Pier Paolo Pasolini in seinem Haus in Monteverde, Rom, 1962. Foto: Vittorio La Verde

Die Ausstellung ›Pier Paolo Pasolini. Porcili‹ (dt. ›Schweineställe‹) im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) rekonstruiert anhand zahlreicher Originalmaterialien—darunter Fotografien, Filme, Zeitungen, Typoskripte und Filmkostüme—den ›corpo‹ Pasolinis. Sie zeichnet sein Schaffen und seine Gedankenwelt nach und widmet sich dem visionären Leben und Werk des Filmregisseurs, Dichters und Denkers in der Pasolini eigenen, radikalen Diversität und Auflehnung gegen gesellschaftliche Regeln und Konventionen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Museumsjournal.

 

Pasolinis Leben und seine Stellung innerhalb der italienischen Kulturlandschaft und Politik der 1950er bis 1970er Jahre haben stets Anstoß und Empörung erregtso provozierte er vor allem durch seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei und durch seine offen gelebte Homosexualität. Seine Bücher, Zeitungsbeiträge und Filme sowie insbesondere seine schiere physische Präsenz lösten zahlreiche Skandale aus und provozierten Reaktionen von öffentlicher Verhöhnung bis hin zu gerichtlicher Verfolgung. 1975 wurde er unter nicht ganz geklärten Umständen ermordet, seine Leiche wurde am Strand von Ostia gefunden. 

Die Ausstellung im n.b.k. zeichnet eine Chronik dieser Ereignisse: Die hier präsentierten, hunderte von Dokumenten sind das Ergebnis von akribischen Recherchen mit dem Ziel, eine Mystifizierung, Revision oder fromme Umdichtung der Person Pasolinis zu vermeiden. Sie führen die Brutalität seiner Verfolgung und die Schonungslosigkeit der medialen Berichterstattung vor Augen, die aus Gerüchten, Anschuldigungen, Anzüglichkeiten, Drohungen und gezielten Beleidigungen bestand.

Der Ausstellungsrundgang beginnt mit einer Mauer der Prozesse: Die Besucher*innen treffen eingangs auf eine lange Wand, auf der zahlreiche Gerichtsverfahren dokumentiert sind, die gegen Pasolini eingeleitet wurden. Er wurde u. a. wegen Pornografie, Obszönität, Verunglimpfung der Religion und Staatsbeleidigung verklagt. Obgleich sich zahlreiche Beschuldigungen als fingiert herausstellten, wurden sie bis zur letzten Instanz verfolgtselbst die unplausibelste, wie die eines bewaffneten Raubüberfalls Pasolinis auf eine Tankstelle mit einer mit Goldpatronen geladenen Pistole. Wie der Rechtswissenschaftler Stefano Rodotà zwei Jahre nach der Ermordung Pasolinis feststellte, war der Künstler von 1960 bis 1975 nahezu ununterbrochen in gerichtliche Verfahren verwickelt. Die Prozesse dürften vor allem dem Zweck gedient haben, Zweifel über die Legitimität der gesellschaftlichen und kulturellen Existenz einer Persönlichkeit wie Pasolini zu streuen. Kein Aspekt seines öffentlichen Wirkens, kein Winkel seines Privatlebens blieben von Verleumdungen und Delegitimierung verschont. Neofaschistische Gruppierungen verstanden körperliche Angriffe auf Pasolini als eine Art moralische Pflicht und stellten diese ostentativ zur Schau. Gleichzeitig war Pasolini der Staatsgewalt, der Justiz und ihrer Institutionen sowie der Polizei ausgesetzt. 

In der Ausstellung im n.b.k. sind zahlreiche Karikaturen, Witze und Fotomontagen aus Zeitungen, Zeitschriften und Wochenmagazinen zu sehen, die Pasolini als Schriftsteller des Subproletariats oder als Dichter des Abschaums verspotteten. Dabei wird kontinuierlich auf seine sexuelle Devianz angespielt. Die bürgerliche und patriarchale Welt Italiens fühlte sich in ihrem Männlichkeitskult von dem offen homosexuell lebenden Pasolini bedroht.  

Eine weitere Sektion der Ausstellung ist dem Skandal um den Film La ricotta (dt. Der Weichkäse, 1963) gewidmet, der Pasolini eine Verurteilung wegen Verunglimpfung der Religion eintrug. Die Staatsanwaltschaft verlangte die Aufstellung einer Moviola im Gerichtssaal, um die fragwürdigen Filmszenen minutiös zu analysieren und blasphemische Absichten nachzuweisen. Seziert und diskutiert wurde insbesondere eine Szene, in der Christus bei der Kreuzabnahme hinfällt und daraufhin mit Maria Magdalena, Johannes und den Engeln in anhaltendes Gelächter ausbricht. 

In weiteren Sektionen der Ausstellung wird Pasolinis künstlerischer Hinwendung zu noch provokanteren Themen nachgegangen. Im Film ›Porcile‹ (dt. ›Der Schweinestall‹, 1969) werden Kannibalismus und erotische Zoophilie emblematisch als asoziale körperliche Praktiken dargestellt, als mystische Entrückungen der Jugend. Die beiden jungen Protagonisten des Filmsnicht zufällig zwei Kultfiguren des Kinos jener Jahre, Pierre Clémenti und Jean-Pierre Léaudsind zwei moderne Heilige, die vor den bürgerlichen Erwartungen und der heuchlerischen Generation ihrer Väter fliehen. Ebenso viel Aufmerksamkeit wird der brutalen wie gnadenlosen Metapher des Films ›Die 120 Tage von Sodom‹ (1975) gewidmet, die jegliche Art der Macht (ob politische, wirtschaftliche oder religiöse) als Gewalt am Körper entlarvt. 

Der Ausstellungsrundgang schließt mit einer Reihe von Artikeln Pasolinis, die zwischen November 1974 und Oktober 1975 auf den Titelseiten der damals wichtigsten italienischen Zeitung Corriere della Sera erschienen. Er forderte darin, die gesamte Führungsschicht Italiens vor Gericht zu stellen, plädierte für die Rebellion gegen jedwede Einengung und Kontrolle des Körpers und schlug die Abschaffung der Schulpflicht und des Fernsehens vor. Die Reihe an Beiträgen des Schriftstellers wird jäh beendet: Am 2. November 1975 erschien in allen Medien die Nachricht von der Ermordung Pasolinis am Hafen von Ostia (Idroscalo) und dem Fund seiner Leiche im Schlamm zwischen Baracken und Müll. 

Das Ausstellungskonzept basiert auf der Überlegung, die Unbeugsamkeit des Dichters und die Botschaft, die Pasolini in seinem künstlerischen Wirken vermitteln wollte, mithilfe der präsentierten originalen Zeugnisse anschaulich zu machen. In diesem Zusammenhang verlebendigt eine Auswahl von Originalkostümen aus Pasolinis Filmenvom Umhang der von Silvana Mangano gespielten Madonna in ›Decameron‹, 1971, bis zu den Morgenmänteln der Peiniger in einer der schockierendsten Szenen von ›Die 120 Tage von Sodom‹die Poesie seiner Werke, die sich nicht nur den Geschichten der Unterdrückten widmet. In Pasolinis Filmen fungieren die Kostüme des richtungsweisenden Szenenbildners Danilo Donati als Klartext sprechende Banner der Wahrheitals ›verkörperte Realität‹. 

Die Ausstellung ›Pier Paolo Pasolini. Porcili‹ rekonstruiert die systematische Diskriminierung eines Andersdenkenden, der zwischen Gerichtssälen, Straßenangriffen, Zensur und Spott Gedichte schrieb und in seinen Filmen und Büchern das Gefühl von Freiheit und den Körper der Freiheit besang. 

Die Ausstellung wird von Giuseppe Garrera und Cesare Pietroiusti kuratiert, mit Clara Tosi als Co-Kuratorin für die Filmkostüme.

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