Dennis Brzek und Junia Thiede

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Junia Thiede und Dennis Brzek. © Fluentum

Dennis Brzek, Guest Curator, und Junia Thiede, Head of Exhibitions and Programs, von Fluentum beantworten gemeinsam unser Questionnaire.

Woran arbeiten Sie gerade?
Dennis Brzek und Junia Thiede: Im Moment arbeiten wir beide an zwei Dingen: Zum einen an der Gruppenausstellung ›Time Without End‹, die zur Berlin Art Week eröffnet und gleichzeitig unsere Programmreihe bei Fluentum einläuten wird; und zum anderen an der ersten Publikation der parallel erscheinenden Reihe, die den Titel ›In Medias Res #1: Histories Read Across‹ trägt und zur Ausstellungseröffnung publiziert wird.

Wer oder was hat Sie in Ihrer Arbeit beeinflusst?
JT: Oh, so vieles! Die Ausstellung ›TIES, TALES AND TRACES‹, die vor einigen Jahren in den KW Institute for Contemporary Art zu sehen und dem 2016 verstorbenen Berliner Kurator Frank Wagner gewidmet war, fand ich sehr wegweisend, und zwar dahingehend, wie sich persönliche Narrative mitteilen und auf welchem Weg Stimmen heute eine gewisse Handlungsfähigkeit erhalten können. Die Ausstellung wirkte wie ein offengelegter Archivierungsprozess, gespickt mit Kunstwerken, Dokumenten, aber auch vielen persönlichen Schätzen—diese Methode entsprach Wagners eigener Handschrift, innere Verhältnisse nach außen zu kehren und zu politisieren. Dabei zeigte sich auch eindrücklich, wie viel Eigenleben sich selbst in den scheinbar banalsten Details verbirgt.
DB: Ich schätze für viele, die Ausstellungen machen, gibt es ganz bestimmte, aber oft auch nur schwammig erinnerte Erfahrungen, die einen dazu veranlasst haben (und die es im Unterbewusstsein weiterhin tun), selbst kuratorisch arbeiten zu wollen. Was mich darin stark angetrieben hat, ist das Vermögen von kuratorischen Situationen, Objekte und ihre Diskurse so zu inszenieren, dass über deren ästhetische Erfahrung Wissen erzeugt wird—so wie es die Essayausstellungen von Anselm Franke oder die kuratorisch-künstlerischen Projekte von Alice Creischer und Andreas Siekmann tun. Siekmann stammt übrigens aus derselben westfälischen Stadt wie ich und ging zur gleichen Schule, ihm kommt daher zu, die erste Ausstellung, die ich je gesehen hatte, gemacht zu haben.

Zu welchem Kunstwerk kehren Sie immer wieder zurück?
DB: Nicht ein Werk im Besonderen, sondern ein Werk im Allgemeinen: das von Harun Farocki. Niemand sonst hat die Verkettung des Dokuments mit seiner Inszenierung so tiefreichend beleuchtet wie er. Das dokumentarische Vokabular seiner filmischen Werke ist gerade auch für die kuratorische Arbeit an unserer Programmreihe absolut wegweisend, weil Farocki so zwingend deutlich macht, dass Zeigen und Abbilden unweigerlich mit Politik verknüpft sind. Nicht allein seine Themen, sondern auch die den Werken zugrundeliegenden Produktionsmechanismen, die immer Teil des Formprozesses sind, treten unabdingbar für eine kritische und solidarische Gemeinschaft ein.
JT: Ich finde die Art und Weise herausragend, wie Moyra Davey alltägliche Objekte und (literarische) Begegnungen zum Ausgangspunkt und Anlass nimmt, vertraute Dinge in einem dichten Netz aus Referenzen in einem unbemerkten Licht zu betrachten. Fotografie, filmische Praxis und Schreiben gehen oft Hand in Hand, im Sinne der Fortsetzung eines Themas in einem anderen Medium und durch andere visuelle und narrative Mittel. Gerade wenn mir die eigene Arbeit mal eintönig und statisch vorkommt, schätze ich ihre wahnsinnig klare, kohärente Sprache, die sofort wieder für gedankliche Neuausrichtung sorgt.

Was würden Sie machen, würden Sie nicht mit Kunst arbeiten?
JT: Ich wäre auf jeden Fall Beziehungstherapeutin.
DB: Als Teenie wollte ich mal Regisseur werden—okay, das ist jetzt nicht total fern von der Kunst—, wusste aber nicht so recht, wo ich da überhaupt anfangen sollte.

Was lesen oder hören Sie gerade?
DB:
Neben der Archivarbeit für unsere Publikationsreihe, für die wir regelmäßig so Sachen wie alte Dokumente aus dem Bauaktenarchiv Zehlendorf durchstöbern, lesen wir gerade vor allem auch das, was unsere Künstler*innen von ›Time Without End‹ beschäftigt, zum Beispiel die Romane ›Timequake‹ und ›Cat’s Cradle‹ von Kurt Vonnegut, die D’Ette Nogle für ihre neue Arbeit liest. Außerdem liegt auf meinen Schreibtisch gerade noch ›Critique of Architecture‹ von Douglas Spencer, das mir der Künstler Noah Barker empfohlen hat. Spencer zeigt darin sehr gekonnt auf, wie bestimmte, vermeintlich als politisch ausgewiesene Diskurse inzwischen vollkommen ohne ihren ursprünglichen kritischen Impetus zirkulieren.
JT: Bei einem dieser typischen wurmlochartigen Streifzüge durchs Internet bin ich über den Blog von Vaginal Davis gestolpert, eine großartige Entdeckung. Ihr Schreibstil ist eigen wie einzigartig: eine Mixtur aus nicht ganz so bierernster Kulturkritik, Gossip und Begehren, gepaart mit einer verloren geglaubten aufrichtigen Offenherzigkeit, die sie gegenüber ihren Themen und Subjekten an den Tag legt. Der Blog gibt außerdem einen unvergleichlichen Einblick in die vielen Facetten der Berliner Kunstwelt in den 2000er-Jahren. Wer Spaß an exzentrischen Lokalgeschichten hat, sollte auf jeden Fall das Archiv durchforsten!

Was muss Kunst heute Ihrer Meinung nach können?
JT: Andersherum: Ich glaube die Tage des großen Witzes, der großen Geste sind heute (bitte, hoffentlich) gezählt.
DB: Ich denke, Kunst sollte immer ein Interesse daran zeigen, wo sie gerade auftaucht und unter welchen Bedingungen sie das tut. Außerdem brauchen wir alle ein bisschen weniger Angst davor, ›zu wenig‹ zu machen.

Welchem Aspekt der Prä-Pandemie-Welt weinen Sie eine Träne nach—und welchem nicht?
DB: Das klingt vielleicht etwas merkwürdig, aber beim Einkaufen oder Besuchen von Ausstellungen vermisse ich tatsächlich den Geruchssinn. Denken Sie mal darüber nach! Dagegen bin ich ganz froh, dass Händeschütteln und Ins-Flugzeug-Steigen weniger selbstverständlich geworden sind.
JT: Spontanität hat vor der Pandemie schon besser funktioniert. Und überfüllte Räume. Allerdings finde ich die relative Ruhe heute auch nicht schlecht.

Wenn Sie Ihre Arbeit auf einen Begriff bringen müssten—welcher wäre das?
JT: Darüber nachzudenken, verursacht mir leider Kopfschmerzen.
DB: E-Mails!

Haben Sie ein tägliches Ritual?
DB: Ohne den grünen Tee um—mehr oder weniger—Punkt zwölf geht’s nicht.
JT: Kaffee und Nachrichten am Morgen, da habe ich nicht mehr zu bieten. Hilft mir aber trotzdem zuverlässig in quasi allen Lebenslagen.

Worauf freuen Sie sich in nächster Zeit im Kunst- und Kulturbereich?
DB und JT: Nach einem arbeitsreichen Sommer freuen wir uns natürlich auf die vielen Veranstaltungen im Berliner September: Ganz oben auf der Liste stehen die Ausstellungen ›Illiberal Arts‹ im Haus der Kulturen der Welt sowie ›Henrike Naumann: Einstürzende Reichsbauten‹ im Kunsthaus Dahlem. Und wir werden auf jeden Fall einen Abstecher nach München machen, um uns die Einzelausstellung von Bea Schlingelhoff im Kunstverein München anzuschauen.

FLUENTUM
Time Without End
15 SEP—11 DEC

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