Sophia Gräfe und Arkadij Koscheew 

von 
Sophia Gräfe und Arkadij Koscheew, Foto: Stephanie Neumann

In den Uferhallen kuratieren Sophia Gräfe und Arkadij Koscheew zur Berlin Art Week die Ausstellung ›On Equal Terms‹. Hier beantworten die beiden schon einmal unser Questionnaire.

Woran arbeiten Sie gerade?
Wir bereiten gerade zusammen die Ausstellung ›On Equal Terms‹ vor, die pünktlich zur Berlin Art Week in den Uferhallen im Berliner Wedding stattfindet. Gemeinsam mit unserem Team haben wir uns angeschaut, welche doch sehr starken, teils zermürbenden Effekte der fortwährende Kampf um bedrohte Atelierstandorte in Berlin auf die Sprache, die Selbstwahrnehmung, aber auch die Handlungsformen von Künstler*innen hat. Herausgekommen ist eine Gruppenausstellung mit Positionen aus den Uferhallen sowie eingeladenen Gästen, dazu gibt es ein Film-, Performance- und Vermittlungsprogramm. Wir sind gespannt!

Was lesen oder hören Sie gerade?
Sophia Gräfe:
Ich lese mich gerade querbeet durch eine ganze Reihe zeitgenössischer Literatur aus dem Osten Deutschlands. Denn ich komme von dort und habe diese Herkunft lange nicht aus der Perspektive von Kunst oder gar Literatur betrachtet. Ich bin Medien- und Kulturwissenschaftlerin und eigentlich gewohnt, Texte und Theorien über andere Kulturräume zu lesen. Aber nun macht es mir langsam Spaß zu verfolgen, wie Personen meiner oder auch älterer Generationen versuchen, Worte für den Erfahrungsraum ›Ost‹ zu finden. Mal trifft mich das ganz privat, mal analysiere ich Motivketten, und, ja, jetzt schon auffällige Dauerbrenner wie die vollkommen schreckliche Hochhaussiedlung, den neu bestückten Supermarkt nach 1990—überwältigend!—oder traurige Schuleinführungsfeiern. Ich warte noch auf den Roman, der in einer DDR-Altbauwohnung spielt. Er ist hiermit bestellt.
Arkadij Koscheew: Wann immer ich Zeit finde, lese ich gerade Carlo Ginzburgs ›Der Käse und die Würmer—Die Welt eines Müllers um 1600‹, ein wunderbares mikrohistorisches Buch über die Inquisition eines Bauern im Italien des 16. Jahrhunderts. Das Buch ist von 1976 und stellt erstmals ein Individuum aus der illiteraten Schicht ins Zentrum einer Mentalitätsgeschichte. Ich finde vor allem die Frage der Wertigkeit spannend: Welche gesellschaftlichen Schichten sind Subjekt von Geschichte? Und welche werden eher als ›passive Masse‹ beschrieben?

Was würden Sie machen, wenn Sie nicht mit Kunst arbeiten würden?
SG: Seit Langem lautet meine Antwort auf diese Frage: Ich wäre Apfelbäuerin in Südfrankreich.
AK: Ganz klar: Ich mache mein Hobby zum Beruf und eröffne mit meinem vogelbegeisterten Lebenspartner auf seine Initiative hin eine Wildvogelstation auf dem Land. Gern auch neben einer Apfelplantage.

Haben Sie ein Lieblingsgebäude?
SG: Oh, das ist schwer zu entscheiden. Wenn ich jetzt sage, eine dieser gigantomanen U-Bahn-Stationen in Moskau, so klingt das doch nach Ost-Fimmel. Auch die alte Bibliothèque nationale de France in Paris mit ihrem verwunschenen Lesesaal ist sicherlich eine eitle Wahl. An grünen Tischlampen sitzen dort u. a. Komponisten am Nachbarplatz, die per Hand Noten aufs Papier setzen. Ich glaube, ich mag lieber solche Momente als die Architektur an sich.
AK: Auf meinem Fahrrad komme ich fast täglich am Gebäude der Tschechischen Botschaft in Berlin vorbei, erbaut von Věra Machoninová und Vladimír Machonin. Ein brutalistisches UFO inmitten der Stadt, das mich jedes Mal aufs Neue in die Zukunftsvisionen einer vergangenen Zeit hineinversetzt.

Welches Tier wären sie gerne?
SG:
Ein Tier? Auf keinen Fall.
AK: Ich könnte mir gut vorstellen, mir als Seeanemone entspannt das Tiefseewasser durch die Tentakel fahren lassen. Mich lockt das entschleunigte Leben auf dem Meeresgrund.

Wen würden Sie gerne einmal kennenlernen?
SG:
Meine Verwandten vor 1945.
AK: Diese Frage kam mir bisher nicht in den Sinn. Ich schätze die Menschen, die mich umgeben sehr und freue mich über ungeplante Begegnungen. Aber wenn ich so darüber nachdenke: Vielleicht könnte mich Patricia Schlesinger bei einem Abendessen in die hohe Kunst der Vergütungsmodelle einweihen.

Haben Sie ein tägliches Ritual?
SG:
Arkadij, hast du eines?
AK: Tatsächlich fülle ich jeden Morgen eine Wasserschale für die gefiederten und summenden Besucher meines Balkons auf und grüße die Nebelkrähe und den Eichelhäher, die inzwischen Stammgäste sind. Das hilft mir dabei, sich als Mensch nicht allzu ernst zu nehmen.

Was war der größte Fehler, den Sie sich bislang eingestehen mussten?
SG:
Ein nicht angetretenes Studium in London und Basel, ein Praktikum in Paris, all die schönen Schlenker meines Lebenslaufs, die ich wegen Lohnarbeit nicht umsetzen konnte.
AK:

Welches Accessoire oder welcher Gegenstand darf nicht fehlen?
SG:
Ein schlichter, schwarzer Kugelschreiber mit extra dünner Miene. Nutzen: obvious. Marke verrate ich gern in den DMs.
AK: Als visuell arbeitender Mensch wäre das wohl meine Sehhilfe.

Was machen Sie nach getaner Arbeit?
SG:
Weiter.
AK: Ich verstehe die Frage nicht. (lacht) Im Ernst, ich gehe durch die Hasenheide in Berlin-Neukölln spazieren.

UFERHALLEN
On Equal Terms
14 SEP—25 SEP 2022

Das könnte Ihnen auch gefallen