Dieser Artikel erschien zuerst in der Freitag.
In Hinterhöfen, Schaufensterfronten und Pavillons, auf Plakatwänden oder als Audiostream—überall kann einem in Berlin Kunst begegnen. Künstlerische Projekträume und -initiativen beleben mit ihren spontanen Ausstellungen und unkonventionellen Aktionen die kulturelle Infrastruktur der Stadt. An diesen physischen, virtuellen oder nomadischen Orten werden Ideen weitergedacht, Diskurse gesetzt und Freundschaften geknüpft. Zur Berlin Art Week laden nun sieben Projekträume, die mit dem seit 2012 jährlich vom Senat vergebenen Project Space Award honoriert wurden, zum Kunst-Parcours ein. Preisträger und Teil des Rundgangs sind: alpha nova & galerie futura, Centrum, DOOM SPA, Horse & Pony/Xanadu, Kotti- Shop, Kreuzberg Pavillon und NEW FEARS. Der Besuch dieser Projekträume verspricht ein facettenreiches Programm: Kuratiert von Antonie Angerer zusammen mit Heiko Pfreundt und Lisa Schorm zeigt der Kreuzberg Pavillon eine Arbeit der Künstlerin Jing Y: Mit ›Sweat, Stop, Rewrite! (SSR)‹ begründete diese ein Projekt, das unter anderen Arbeitsmigrantinnen dabei unterstützt, ihre Erfahrungen in visuelle Erzählungen zu übersetzen. Nicht allzu weit entfernt, am Kottbusser Tor, sind im Kotti-Shop Videoarbeiten in der Schau ›WHO CARES?‹ zu sehen sowie installative Eingriffe im urbanen Umfeld.
Im Projektraum Centrum in Berlin-Neukölln präsentiert zum ersten Mal eine der beiden Betreiberinnen und Kuratorinnen selbst ein Werk. Rachel Monosov kollaborierte dafür mit der Opernsängerin Julia Shelkovskaia sowie mit den Tänzerinnen Camilla Brogaard und Rachell Clark. In ihrer performativen Installation ›Dead Earth, A Place of No Escape‹ beleuchtet Monosov, wie geopolitische Machtkämpfe durch Kontrolle über Land und Ressourcen ausgefochten werden.
Mit der Schau ›Temple of Dead Hypes‹ widmet sich der Weddinger Projektraum NEW FEARS toten Hypes. Entgegen der heutigen Schnelllebigkeit werden Themen, die einmal für viel Begeisterung gesorgt haben, in dieser Gruppenausstellung erneut zum Material. Auch die Besucher*innen sind eingeladen, eine Manifestation eines persönlichen Hypes aus der Vergangenheit für eine performative Beerdigung am Donnerstag, 14 SEP um 20 Uhr mitzubringen. July Weber und Emilio Cordero Checa zeigen dort außerdem eine gemeinsam gestaltete Installation. Und in der alpha nova & galerie futura in Alt-Treptow ist die von Li Yang kuratierte Ausstellung ›I Made You to Find Me‹ mit Arbeiten von Cai Yaling, Zhou Yujie und Magdalena Kallenberger zu sehen, in denen es um feministische Mutterschaft geht.
Die Jury—bestehend aus Chan Sook Choi, Pauline Doutreluingne, Judith Laub, Max Pitegoff und Steffi Weismann—hat für die Vergabe des Preises Projekträume ausgewählt, die sich nicht nur in ihren thematischen und medialen Schwerpunkten, sondern auch in ihren Arbeitsweisen stark unterscheiden:
Carrick Bell leitet den Neuköllner Projektraum Horse & Pony/Xanadu und legt den Fokus auf Bewegtbild. July Weber wiederum bringt im Rahmen von NEW FEARS künstlerische Stimmen aus Tanz und Performance zusammen. DOOM SPA, initiiert von Roseline Rannoch, entwickelt ästhetische und diskursive Überlegungen an der Schnittstelle zwischen Gesellschaftspolitik und Technologie. Im Kreuzberg Pavillon hingegen stellen Heiko Pfreundt und Lisa Schorm Mechanismen konventioneller Ausstellungen infrage und bieten Raum zur Diskussion von Klassenfragen in der bildenden Kunst. Rachel Monosov und Jorgina Stamogianni geben bei Centrum etablierten wie jungen Positionen gleichberechtigt eine Plattform und lassen deren künstlerische Beiträge in einen Dialog mit längerfristigen Forschungsvorhaben treten. Die Ausstellungen in der alpha nova & galerie futura widmen sich unter der Leitung von Sylvia Sadzinski und Katharina Koch künstlerischen Fragen aus emanzipatorischer und feministischer Perspektive.
Definition zwecklos
Den beiden Leiterinnen geht es um die Verbindung von Kunst und politischem Engagement. Deshalb bieten sie auch Beratung zu Themen wie Konzeptentwicklung, Antragstellung oder Portfolio sowie ein regelmäßiges Netzwerktreffen für im künstlerischen Bereich tätige Frauen* an. Auch Stefan Endewardt und Julia Brunner setzen
sich mit dem nach der Nachbarschaft benannten Kotti-Shop für einen Austausch mit dem urbanen Umfeld ein und laden neben Ausstellungen regelmäßig zu ›Verweilformaten‹ und Workshops ein.
All diese Projekte zeugen von einer organisatorischen und konzeptuellen Vielfalt und verdeutlichen einmal mehr, wie sich das Phänomen Projektraum dem Versuch einer abschließenden Definition entzieht. Als bewegliche Gefüge für temporäre temporäre Ausstellungen, Veranstaltungen und interdisziplinäres Arbeiten bieten Projekträume die Möglichkeit, schnell auf aktuelle Entwicklungen und Themen zu reagieren. Diese Flexibilität der Orte, die sich starren, bürokratischen Verfahren entziehen, begründet ihre Besonderheit gegenüber Galerien und Institutionen. Als Räume, die sich bewusst abseits der kommerziellen Verwertungslogik und der hierarchischen Strukturen des Kunstbetriebs positionieren, bieten sie Kunst- und Kulturproduzierenden flexible Plattformen, sich zu entfalten und ohne Druck auszuprobieren.
July Weber denkt diesen Ansatz weiter und öffnet NEW FEARS für unterschiedliche Künstler*innen und Theoretiker*innen im Rahmen eines Residenzprogramms. Webers Anliegen ist es, Theorie, Reflexion und künstlerische Praxis ineinandergreifen zu lassen. Darüber hinaus gestaltet er den Raum als Safe Space für die LGBTQIA+- Community. Diese Einbettung in lokale Infrastrukturen und Gemeinschaften zeichnet Projekträume besonders aus.
Auch die Betreiberinnen von Centrum, Stamogianni und Monosov, betonen die Bedeutung, Teil des sozialen Gefüges im Flughafenkiez in Berlin-Neukölln zu sein. Sie wollen nicht nur künstlerische Netzwerke knüpfen, sondern auch mit ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ins Gespräch kommen und künftig noch zugänglicher werden. In der Umsetzung erfordert dieses Vorhaben jedoch Präsenz vor Ort und entsprechend Zeit—Zeit, die aufgrund der notwendigen Lohnarbeit neben dem unentgeltlichen Engagement für das Projekt häufig nicht bleibt. Der programmatischen Unabhängigkeit und ideellen Ausrichtung der Orte steht eine Realität gegenüber, die von prekären Arbeitsbedingungen, finanzieller Unsicherheit und Gentrifizierung bestimmt ist.
Unentgeltliches Engagement, die notwendige Lohnarbeit: Für vieles fehlt häufig die Zeit
Während die Auszeichnung des Senats zwar eine wertvolle Anerkennung der Tätigkeit und der Eigeninitiative der Projektraum- Betreiber*innen bedeutet, ist die Zukunft der Räume trotzdem ungewiss. Das Team vom Kreuzberg Pavillon berichtet von den Verdrängungsprozessen, die sie in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft in der Naunynstraße in Kreuzberg beobachten.
Unsichere Zukunft
Auch dort werden zunehmend Häuser an große Immobilienkonzerne verkauft. Die immer angespanntere Lage stellt sie vor die Frage, ob und wie sie inhaltlich auf die Situation im Kiez reagieren. Auch July Weber erzählt, dass er NEW FEARS aufgrund fehlender Förderungen und einer sich mittlerweile verdoppelten Miete neu denken
muss.
Wie kann langfristige und nachhaltige Planungssicherheit gewährleistet werden, ohne gleichzeitig die freie Ausrichtung der Projekträume zu beschränken und diese zu institutionalisieren? »Diese Themen können nicht nur in einem Projektraum allein, sondern müssen auch auf breiter Ebene verhandelt werden«, sagen Lisa Schorn und Heike Pfreundt, die gemeinsam den 2011 gegründeten Kreuzberg Pavillon betreiben. Sie engagieren sich daher im Netzwerk freier Berliner Projekträume und Initiativen. Seit 2019 organisieren sie zudem das Project Space Festival, das mit seinem Programm seit einer Dekade jährlich über einen Monat hinweg Einblicke gibt in die künstlerische und kuratorische Arbeit selbstorganisierter Räume.
Klar ist: Damit Projekträume als Gegenstück zum traditionellen Kunstbetrieb weiterhin den (Kunst-)Diskurs bereichern können, braucht es eine größere Sichtbarkeit ihrer Leistungen und bessere Förderinstrumente. Wie substanziell die Rolle von Projekträumen als autonom agierenden Produktions- sowie Aushandlungsorten künstlerischer und gesellschaftspolitischer Fragen für die freie Kunstszene ist, wird weiterhin unterschätzt. Diese Orte repräsentieren die Kunstproduktion Berlins unmittelbar und sind (noch) offen für Träume und Experimente. Es gilt, diesen kleinen Utopien abseits der großen Kunstinstitutionen verstärkt Aufmerksamkeit zu schenken.