15 Jahre KOW

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›Berliner Archipele‹, Arno Brandlhuber im Gespräch, 15 SEP 2012. Produktion: Arno Brandlhuber und Alexander Koch

Im September 2009 eröffnete KOW im Brandlhuber-Gebäude in der Brunnenstraße 9 in Berlin Mitte ihre Türen. Schnell wurde die Galerie zu einem Treffpunkt für die progressive Szene. Seitdem haben Nikolaus Oberhuber und Alexander Koch ein ambitioniertes Programm aus sozial orientierter Kunst und politisch engagierten Ausstellungen auf die Beine gestellt. Künstler*innen aus 16 Ländern, von Irak bis Chile, Russland bis Südafrika, verleihen dem Galerieprogramm thematische Tiefe und Vielfalt. Nun feiert die Galerie ihr 15-jähriges Jubiläum mit der Eröffnung neuer Räumlichkeiten in der Kurfürstenstraße. Alexander Koch erzählt in eigenen Worten von erinnerungswürdigen Ausstellungen der letzten 15 Jahre.

›Antirepresentationalism 1: Politics of Redescription‹, Ausstellungsansicht KOW, Berlin, 2009. Foto: Alexander Koch

2009

Mitten in der Finanz- und Bankenkrise eröffnete KOW 2009 in einem radikalen Neubau—mit einer Ausstellungstrilogie, deren Titel sperriger nicht hätte sein können ›Antirepresentationalism: Politics of Redescription. Conceptual and Socially Oriented Art in Leipzig 1997—2009.‹ Mit 27 künstlerischen Positionen bot die Ausstellung einen Überblick über die Leipziger Konzeptkunst im zweiten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung. Auf dem Bild sind die offenen Türen des Neubaus zu sehen, die die Grenze zwischen Stadtraum und Ausstellungsraum auflösen.

Clemens von Wedemeyer, ›Die Vierte Wand‹, 2010, Ausstellungsansicht KOW, Berlin, 2010. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und KOW, Berlin. Foto: Alexander Koch

2010

Die künstlerischen Themen der Anfangsjahre von KOW waren oft so hart wie der Beton der Ausstellungsräume. Soziale Gewalt, Rassismus, neofeudale Ungerechtigkeit und koloniale Ausbeutung—und natürlich die Verletzlichkeit des Individuums in diesen Kontexten—waren und bleiben bis heute wiederkehrende Themen. Das Bild zeigt die Ausstellung von Clemens von Wedemeyer.

Franz Erhard Walther, Ausstellungsansicht KOW, Berlin, 2011. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und KOW, Berlin. Foto: Alexander Koch

2011

Das Galerieprogramm war von Anfang an transmedial und generationsübergreifend. 2011 präsentierte KOW die erste Einzelausstellung von Franz Erhard Walther (1939) in der Galerie—ergänzt durch dokumentarisches Bildmaterial aus verschiedenen Schaffensphasen des Künstlers. Ebenfalls 2011 zu sehen waren Barbara Hammers (1939) erste Einzelausstellung, Cady Noland (1956), Santiago Sierra (1966) und Mario Pfeifer (1981).

 

›Berliner Archipele‹, Arno Brandlhuber im Gespräch, 15 SEP 2012. Produktion: Arno Brandlhuber und Alexander Koch

2012

Eine der radikalsten Aktionen der Galerie: Sechs Wochen lang flutete Arno Brandlhubers Projekt ›Archipele‹ den Ausstellungsraum—danach musste KOW komplett saniert werden. Das Thema der Ausstellung: Gentrifizierung und neoliberale Stadtplanung.

 

Michael E. Smith, ›Fat Albert‹, 2013, Ausstellungsansicht KOW, Berlin, 2013. Foto: Alexander Koch

2013

Im Jahr 2013 tobte der Karikaturenstreit: Wie viel Humor und Satire sollten Muslime ertragen? Wie stark dürfen wir auf den Gefühlen islamisch-religiöser Menschen herumtrampeln? Der blinde Fleck der Debatte: In Deutschland und »im Westen« herrschen religiöse Regime, die nicht wissen, wie man Spaß hat. Die Ausstellung ›Believers‹ zeigte 19 Positionen dazu, darunter Pussy Riot und Christoph Schlingensief.

Die zweite Schau des Jahres mit neuen Skulpturen von Michael E. Smith (1977) war die zweite Einzelausstellung des Künstlers in der Galerie in der Brunnenstraße: Alle Installationen entstanden größtenteils vor Ort und bewohnten den Ausstellungsraum. Im Programm desselben Jahres war auch Santiago Sierras Projekt ›40 cbm of Earth from the Iberian Peninsula‹.

 

Chto Delat, › Time Capsule. Artistic Report on Catastrophes and Utopia‹, 2014, Ausstellungsansicht KOW, Berlin. Mit freundlicher Genehmigung der Künstler*innen und KOW. Foto: Alexander Koch

2014

Für das russische Künstlerkollektiv Chto Delat war bereits 2014 klar, dass sich Russland nun im Krieg mit der Ukraine befindet. Putins herrschendes Regime ließ keinen Raum für Kunst und Kritik. Ihre Ausstellung bei KOW handelte von Katastrophe, Chaos und künstlerischer Ohnmacht. Heute leben alle Mitglieder von Chto Delat im Ausland, viele von ihnen als politische Flüchtlinge.

CATPC, 2015, Ausstellungsansicht KOW, Berlin, 2015. Foto: Ladislav Zajac

2015

2015 widmete KOW ein ganzes Jahr den Filmemacher*innen des Galerieprogramms und veranstaltete das Filmfestival ›A Summer of Film‹. Außerdem präsentierte KOW skulpturale Arbeiten von CATPC—erstmalig in der Galerie und in Deutschland. 2024 vertritt CATPC den niederländischen Pavillon auf der Biennale in Venedig.

 

 

 

Candice Breitz, ›Love Story‹, 2017, Ausstellungsansicht KOW, Berlin, 2017. Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und KOW, Berlin. Foto: Ladislav Zajac

2017

Candice Breitz‘ fulminante Ausstellung ›Love Story‹ war auch 2017 ein Publikumsmagnet. Julianne Moore und Alec Baldwin zitieren in der aufwendigen Videoinstallation Texte von Geflüchteten. Trotz aller schauspielerischen Fähigkeiten und allem Einfühlungsvermögen passen die Inhalte nicht zu den weißen privilegierten Gesichtern aus Hollywood.

 

Henrike Naumann, ›Ohne Titel‹, 2013, Ausstellungsansicht von ›Was Euch am Leben hält, ist, was bei uns zu Asche zerfällt‹ KOW, Berlin, 2018. Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und KOW. Foto: Ladislav Zajac

2018

Als hunderte Rechtsextremist*innen durch die Stadt Chemnitz marschierten und das Land empört aufschrie, stellte KOW spontan eine Ausstellung zusammen, um gegen den Rechtsruck zu demonstrieren, aber auch um zu zeigen, wie lange sich Künstler*innen schon mit diesem Thema beschäftigen und das Thema in einzelnen Werken präsent ist.

 

Henrike Naumann, ›Ostalgie‹, 2019, Ausstellungsansicht KOW, Berlin. Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und KOW. Foto: Ladislav Zajac

2019

Henrike Naumanns erste Einzelausstellung in einer Galerie drehte den Ausstellungsraum um 90 Grad. Immenser Aufwand, immense Wirkung. Zwischen DDR-Romantik, Baseballschläger-Nationalismus und deutschem Unsinn verortete Naumann die rechte deutsche Alltagsmentalität irgendwo in der Steinzeit, die für manche noch die Gegenwart ist.

Barbara Hammer, ›Would You Like to Meet Your Neighbor?‹, Ausstellungsansicht KOW, Berlin, 2020. Foto: Ladislav Zajac

2020

Barbara Hammer, die 1939 in Hollywood geboren wurde, war eine Pionierin der queeren Filmkunst. Ihre Dokumentar- und Experimentalfilme gehören zu den frühesten und umfassendsten Darstellungen lesbischer Identität, Liebe und Sexualität. 2011 zeigte KOW die erste Einzelausstellung von Barbara Hammer. ›Would You Like to Meet Your Neighbor?‹ war eine der ersten Ausstellungen in den neuen Räumlichkeiten von KOW in der Lindenstraße 35 in Kreuzberg.

Mario Pfeifer, › What Must Not Be, Cannot Be‹, 2021, Ausstellungsansicht KOW, Berlin. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und KOW. Foto: Ladislav Zajac

2021

Der Fall Oury Jalloh ist einer der größten Polizei- und Justizskandale der jüngeren deutschen Geschichte. Alles deutet darauf hin, dass die Beamt*innen den Schwarzafrikaner in einer Polizeizelle mit Benzin übergossen und verbrannt haben. Klärung? Keine Chance. Mario Pfeifer hat den Fall in mehreren Etappen neu aufgerollt. Im Jahr 2021 zeigte er eine Nachbildung der Zelle bei KOW, dank der ein/e Brandexpert*in dann neue Beweise erstellte, die 2022 bei KOW vorgestellt wurden.

Anna Boghiguian, ›The Silk Road‹, 2020—2021, Ausstellungsansicht KOW, Berlin, 2022. Foto: Ladislav Zajac

2022

Anna Boghiguian (1946), geboren in Kairo, lebt bis heute in vielen Teilen der Welt. Sie verbindet und erzählt Geschichten über Menschen und Ereignisse rund um den Globus. Der Niedergang des Bergbaus und seiner Kulturen im englischen Cornwall war eines der Themen ihrer ersten Ausstellung bei KOW, ebenso wie ›The Silk Road‹.

 

Hiwa K, ›View from Above‹, 2017/2020, Ausstellungsansicht KOW, Berlin, 2023. Foto: Ladislav Zajac

2023

Mit Werken von 19 Künstler*innen aus dem Programm der Galerie formulierte KOW in der Gruppenausstellung ›Das Auto Rosi Aber‹ ein Plädoyer für die Offenheit der Bedeutung und Freiheit der Kunst. Seit der documenta 15 häufen sich politische und mediale Angriffe, die darauf abzielen, die künstlerische Freiheit einzuschränken, künstlerische Positionen zu zensieren und kritische Stimmen einzuschüchtern. Die Ausstellung reagierte mit einer Ästhetik, die für den Widerstand geeignet ist. 2023 war auch ein Jahr, in dem KOW den kurdisch-irakischen Künstler Hiwa K zu Gast hatte. Der Künstler präsentierte ein Ensemble von Werken, darunter eine neue Videoinstallation, in der er in seine Heimatstadt Sulaymaniya zurückkehrte. 2023 wurde auch ›My Mountain Has No Summit‹, Simon Lehners (1996) erste Einzelausstellung bei KOW, gezeigt.

 

›Vulnerable‹, Ausstellungsansicht KOW, Berlin, 2024, courtesy KOW, Berlin. Foto: Ladislav Zajac

2024

Zehn Jahre in Mitte, fünf Jahre in Kreuzberg—jetzt Schöneberg. Mit dem neuen Standort in der Frobenstraße / Ecke Kurfürstenstraße 145 rückt KOW weiter ins Zentrum der Stadt und in die Nachbarschaft zahlreicher hochwertiger Galerien. Eine Gruppenausstellung mit 28 Positionen aus 14 Ländern betrachtet die Kriege und Krisen unserer Zeit durch eine universelle Brille: Die Wahrnehmung der Verletzlichkeit, welche menschlichen Körpern und Ordnungen unveränderlich innewohnt.

 

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