Selbstporträt und kollektive Erzählung

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Samuel Fosso, Selbstporträt aus der Serie ›70’s Lifestyle‹, 1975—1978, Collection Maison Européenne de la Photographie, Paris, Geschenk des Künstlers 2023

Er inszeniert sich als Martin Luther King, als Angela Davis, als Schwarzer Papst—der Fotograf Samuel Fosso ist dafür bekannt, in Rollen zu schlüpfen und so die Geschichte nochmal neu zu erzählen und zu hinterfragen. Mit seinen Selbstporträts schärft er den Blick für ikonische Vorbilder der Schwarzen Widerstandsbewegungen abseits des rassistischen Blicks westlicher Kolonisator*innen, schlüpft aber auch in ambivalente Figuren, um den Bogen zu imperialen Ansprüchen auf dem afrikanischen Kontinent heute zu spannen. Zur Berlin Art Week eröffnet seine erste Berliner Einzelschau ›Samuel Fosso. Black Pope. Werke 1975—2017‹ im Kindl—Zentrum für zeitgenössische Kunst.

Samuel Fosso, Selbstporträt aus der Serie ›70’s Lifestyle‹, 1975—1978, Collection Maison Européenne de la Photographie, Paris © Samuel Fosso

Ein lächelnder junger Mann mit kurzem Afro sitzt auf einem schwarzen Plastikstuhl und lehnt lässig an einem Eisentrapez, das neben ihm steht. Er trägt eine schwarze Hose, sein mit Rosen bedrucktes Hemd ist fast bis zum Bauchnabel geöffnet. Mit der rechten Hand hält er ein altmodisches Wählscheibentelefon, in der linken, verbunden mit einem klassischen Spiralkabel, den Hörer. Man fühlt sich zurückversetzt in die Zeit, in der man zuhause das Telefon mit aufs Zimmer nahm, um sich stundenlang mit Freund*innen auszutauschen und dabei auf dem Boden vor der Zimmertüre lag, da das Kabel nicht weiter reichte.

 

Samuel Fosso, Selbstporträt aus der Serie ›70’s Lifestyle‹, 1975—1978, Collection Maison Européenne de la Photographie, Paris © Samuel Fosso

»If you play with me, I will play with you«, heißt es im Song ›Simplicity‹ des Sängers Prince Nico Mbarga, der in den 1970er Jahren mit seiner Band Rocafil Jazz in Westafrika berühmt wurde. Diese Zeile passt gut zu dem Lebensgefühl, das Samuel Fosos erste Fotoserie ›70’s Lifestyle‹ ausstrahlt, die zwischen 1975 und 1978 entstand. Die Fotos sind spielerisch inszeniert—Fosso experimentiert mit Posen und Kostümen im extravaganten Stil des titelgebenden Jahrzehnts. Die Charaktere, in die er schlüpft, sind mal selbstbewusst, mal nachdenklich; sie probieren sich aus, versuchen sich in verschiedenen Identitäten. Sie erinnern an die in den 1960er Jahren entstandenen Studiofotografien von Seydou Keïta oder Malik Sidibé, die in Werken wie ›Un Ye-Ye en position‹ (1963) oder ›Avec Mon Sac, Bagues et Bracelets‹ (1968) eben dieses Aufbruchsgefühl einer jungen Generation dokumentiert, die sich neue, postkoloniale Identitäten erkämpft hat. Wenn die Ausstellung ›Samuel Fosso. Black Pope. Werke 1975—2017‹ im Kindl—Zentrum für zeitgenössische Kunst nun Fossos Werke aus mehr als 40 Jahren in großer Breite präsentiert, dann darf auch diese erste Serie nicht fehlen.

Der 1962 in Kamerun geborene und in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, und in Paris lebende Samuel Fosso zählt zu den weltweit renommiertesten zeitgenössischen Fotografen. Bis 1975 lebte Fosso mit seinem Großvater in Biafra, Nigeria, bevor er im Alter von 13 Jahren vor dem Bürgerkrieg in die Zentralafrikanische Republik fliehen musste. Als Teenager eröffnete er dann in Bangui sein erstes Fotostudio, Studio Photo Gentil, in dem er nach getaner täglicher Arbeit verbleibende Bilder auf der Filmrolle nutzte, um sich selbst in Szene zu setzen. Große Sonnenbrillen, Schlaghosen, High Heels, die an die Plateauschuhe des Sängers Prince Nico Mbarga auf seinen Albumcovern erinnern—Fosso orientiert sich deutlich am damaligen Style der Afro-Amerikaner*innen aus Magazinen und Zeitungen. Die Serie ›70’s Lifestyle‹ bleibt jedoch noch lange Zeit ungesehen. Erst 1994 wurde sie in der Öffentlichkeit präsentiert, als Fosso eingeladen wurde, an der Bamako-Biennale teilzunehmen und dort den 1. Preis der African Photography Encounters erhielt.

 

Durch die Einverleibung und die bildliche Erzählung gelingt es Fosso, eine persönliche Erfahrung in eine kollektive Erzählung über Macht und Unterdrückung zu verwandeln—nicht ohne in den Werken den Akt seiner eigenen Selbstermächtigung mitzuerzählen.

»Wenn ich arbeite, ist es immer eine Performance, die ich freiwillig durchführe. Es ist kein Subjekt oder Objekt, es ist ein weiteres menschliches Wesen. Ich verbinde meinen Körper mit dieser Figur, weil ich ihre Geschichte übersetzen möchte«, sagt Fosso über seine Serie ›Mémoire d’un ami‹ aus dem Jahr 2000. Sie thematisiert den Mord an einem Freund, der von Mitgliedern einer bewaffneten zentralafrikanischen Miliz getötet wurde, während sich Fosso im selben Haus versteckte. Die querformatigen, kleinen Schwarzweißbilder zeigen Fosso auf einem schmalen Bett, schwarze Lackschuhe stehen davor, hinter dem Bett hängt ein Fliegennetz an einem dünnen Seil. In dem karg eingerichteten Zimmer zeigt sich der Fotograf vulnerabel, nackt. Er hockt, die Hand vor dem Geschlecht, liegt halb aufgestützt, wendet den Betrachter*innen das Gesäß zu oder steht mit geballten Fäusten an der Tür. Wenngleich nur Fosso auf den Bildern zu sehen ist, ist die Anwesenheit einer weiteren Person deutlich spürbar. Fosso zieht die Betrachter*innen in dieses Geschehen hinein: Mal schaut er direkt in die Kamera, dann wieder wendet er den Rücken zu—immer im Wissen, dass er beobachtet wird. Die Betrachter*innen werden zu Voyeur*innen seiner Einsamkeit und seiner Trauer. Durch die Einverleibung und die bildliche Erzählung gelingt es Fosso, eine persönliche Erfahrung in eine kollektive Erzählung über Macht und Unterdrückung zu verwandeln—nicht ohne in den Werken den Akt seiner eigenen Selbstermächtigung mitzuerzählen.

 

Dass diese Erzählung von Macht und Unterdrückung immer wieder geprägt ist von Fragen der Erinnerung und des kollektiven Gedächtnisses, davon erzählen Fossos Serien ›Tati‹ (1997), ›African Spirits‹ (2008) oder ›Black Pope‹ (2017). Die Ausstellung im Kindl—Zentrum für zeitgenössische Kunst platziert die Fotografie ›La Bourgoise‹ aus ›Tati‹ prominent im Eingangsbereich. Fosso setzt sich darauf in enganliegendem Paillettenkleid, Stola, schulterlanger Perücke und goldenen Kreolen vor einem roten Hintergrund in Szene. Kathrin Becker, die Kuratorin der Ausstellung und künstlerische Leitung des Kindl—Zentrum für zeitgenössische Kunst, betont, dass gerade das Spiel mit Identitäten und medialen Bildern sowie das Hinterfragen von gesellschaftlichen Codes, Klasse und Gender sehr gut zu Berlin passe. ›Tati‹ steht im Werk Fossos für eine neue Arbeitsweise—weg von der Studiofotografie und hin zu einem professionellen Set, ähnlich einer Filmproduktion. Das gilt auch für die Serie ›African Spirits‹. Hier schlüpft Fosso in die Posen großer afrikanischer und afroamerikanischer Widerstandskämpfer*innen und Ikonen der panafrikanischen Befreiungsbewegung. Darunter sind einige, die auch in einer westlichen, weiß geprägten Geschichtsschreibung bekannt sind, etwa der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King, die Philosophin und Aktivistin Angela Davis oder Malcolm X, die Ikone der Black-Power-Bewegung. Andere sind in dieser Historiografie weniger präsent, vermutlich auch deshalb, weil sich ihre Geschichten nicht ohne die Gräueltaten, die Ausbeutung von Rohstoffen und eine Thematisierung der daraus resultierenden Machtgefüge erzählen lassen, die westliche Kolonisator*innen zu verantworten haben.

Da wäre etwa Patrice Émery Lumumba, der 1960 erster Premierminister des unabhängigen Kongo war und sich mit friedlichen Mitteln für die Befreiung des Landes aus der belgischen Kolonialherrschaft einsetzte. Er wurde im Beisein belgischer Offiziere und Beamter ermordet. Oder Kwame Nkrumah, erster Präsident Ghanas, der einer der wichtigsten Sprecher der panafrikanischen Bewegung war, bevor er 1966 durch einen Militärputsch gestürzt wurde, der vermutlich vom US-Geheimdienst CIA unterstützt wurde.  

Fosso versetzt sich nicht nur in die Rolle seiner Vorbilder, er wird selbst zur jeweiligen Person.

 

 

»Schwarze Kulturbewegungen müssen sich immer mit dieser Frage der Erinnerung auseinandersetzen, denn sie ist nur Rohmaterial, der einzige Bestand, auf den sie zurückgreifen können«, schreibt die Wissenschaftlerin Aïcha Mehrez, die sich in ihrer Arbeit mit dem Erbe des Versklavungshandels im Kontext zeitgenössischer Kunstmuseen auseinandersetzt. Samuel Fosso macht genau das—er gräbt sich hinein in das Material und versetzt sich nicht nur in die Rolle seiner Vorbilder, er wird selbst zur jeweiligen Person. Er imaginiert sich als Martin Luther King, als Angela Davies, als Kwame Nkrumah und verbindet sich somit mit ihren Kämpfen, ihren Ängsten und ihren Visionen. Indem er sich selbst in diesen Personen miterzählt, vereint er die Spannung zwischen Individuum und Kollektiv, Erinnerung und Geschichte, Wahrheit und Fiktion.

 

 

 

Selbstporträt aus der Serie ›Black Pope‹, 2017. © Samuel Fosso, Courtesy Samuel Fosso & JM Patras, Paris

In ›Black Pope‹ geht er sogar noch einen Schritt weiter—er inszeniert sich als Schwarzer Papst. Damit wird die Komplexität einer möglichen Zukunft ebenso erzählt, wie es die problematische koloniale Vergangenheit in den Blick nimmt: Einen Papst of Color gab es in der Kirchengeschichte noch nie. Vielmehr ist die katholische Kirche tief verstrickt in die weltweite Kolonialgeschichte und hat mit der christlichen Botschaft imperialistische und rassistische Ideologien verbunden. Heutzutage leben in Afrika fast so viele Katholik*innen wie in Europa, kommentiert der nigerianische Kurator Azu Nwagbogu Fossos Serie.

 

 

Samuel Fosso, Selbstporträt aus der Serie ›Emperor of Africa‹, 2013 © Samuel Fosso

Wie vielschichtig die wirtschaftliche und politischen Lage eines Großteils der Länder Afrikas im Kontext kolonialer Geschichte und Gegenwart ist, zeigt Fossos Serie ›Emperor of Africa‹ (2013), in der er sich als chinesischer Machthaber Mao Tse-tung in Szene setzt—vor einem Getreidefeld mit asiatischem Bambushut, vor einer chinesischen Flagge mit der Afrikasilhouette statt der gelben Sterne oder als historisch anmutende Schwarzweißaufnahme mit Soldatenhelm. Hier inszeniert er sich nicht als Befreier, sondern als Gründer und Symbol eines modernen, imperialen Ungetüms, das sich über den Kontinent ausbreitet. Einmal mehr vereint Fosso dabei Fragen nach Verantwortung, Machtanspruch und Ambiguität in seiner Person.

In vielen seiner Werke macht Samuel Fosso deutlich, wie stark die Vorstellungswelt Schwarzer Menschen durch Kolonialgeschichten, Rassismen und Zuschreibungen geprägt ist. An seinen Arbeiten werden aber auch die klaffenden Leerstellen offenbar, die in Bezug auf die Repräsentation Schwarzer Menschen in vielen Lebensbereichen vorherrscht. Mit seinem persönlichen wie politischen Werk ermutigt Fosso gerade Schwarz positionierte Menschen und People of Color, viele zu sein und vielschichtige Identitäten zu verkörpern: »Jeder Mensch hat beides: viele undefinierbare Besonderheiten als auch universelle Aspekte, die jeder von uns in sich selbst wiedererkennt.« Genau diese Aspekte gilt es, durch Fossos Werk zu erkunden.

 

 

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