Zu schön, um wahr zu sein

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Oliver Bak, ›Bouquet‹, 2024. © Oliver Bak, Courtesy. Künstler und Sprüth Magers. Foto: Timo Ohler

Der dänische Maler Oliver Bak wird mit seinen 32 Jahren schon als Star gefeiert. Was macht seine mystischen Bilder so begehrt?

Dieser Artikel erschien zuerst in der Freitag.

 

Eine der Legenden über den römischen Baby-Kaiser Marcus Aurelius Antonius, auch bekannt als Elagabal, geht so: Einmal füllte er die abnehmbare Zwischendecke seines Festsaals mit so vielen Veilchen und anderen Blumen, die er dann auf die Gäste seines Banketts niederregnen ließ, dass einige von ihnen, unter der opulenten Blütenlast begraben, ihr Leben aushauchten, weil sie an ihr erstickten.

Der »gekrönte Anarchist«, wie der französische Autor und Schauspieler Antonin Artaud den römischen Kaiser in seiner gleichnamigen Biografie von 1933 nennt, war berüchtigt für Orgien und Exzess. Mit nur 14 Jahren ergriff er die Macht, nur vier Jahre später wurde er ermordet. Er galt als brutal, feige, despotisch, sexuell unersättlich und pervers und wird bis heute als personifiziertes Sinnbild spätrömischer Dekadenz herangezogen. Sein lasterhaftes Leben beeinflusste Künstler*innen aller Genres und Epochen, vom britischen Maler Lawrence Alma-Tadema über den Dichter Stefan George bis zum Musiker John Zorn.

Auch der dänische Maler Oliver Bak, der mit seinen 32 Jahren schon jetzt als neuer Shootingstar des internationalen Kunstmarkts gehandelt wird, ließ sich von den Legenden um Schrecken und Schönheit des in den Jahren 218 bis 222 regierenden römischen Despoten für seine erste Einzelausstellung in der Galerie Sprüth Magers inspirieren. Unter dem Titel ›Ghost Driver, or The Crowned Anarchist‹ eröffnet sie nun zur Art Week.

In einer abgeschrabbelten Etage eines ehemaligen Bürogebäudes in Kopenhagens Stadtteil Nordvest liegt Baks Atelier. Die Gegend wirkt so gar nicht wie das pulsierende Konsumzentrum der Bilderbuchstadt, sondern international-bescheiden und recht sympathisch. Zwischen grauer Auslegteppichware und Kunststoffpaneelen an der Decke hängen Baks Gemälde in einem überraschend ordentlichen und minimal eingerichteten Atelier. Die Architektur bildet einen fast schon bizarren Kontrast zur evozierten Historizität der Bilder und passt in ihrer Simplizität doch gut zu dem sanften, hochgewachsenen, feingliedrigen Mann mit den blonden Locken, dessen einziger altmodisch wirkender Wesenszug seine ausgeprägt sympathische Bescheidenheit ist.

Seine Bilder dagegen sitzen mit einer so selbstverständlichen Autorität im Format, als hätte es sie immer schon gegeben. Ja, ganz so, als seien sie sowohl älter als das Gebäude, in dem sie sich befinden, als auch unmöglich von einem Maler erschaffen worden, der erst vor wenigen Jahren sein Studium an der Royal Danish Academy of Fine Arts abgeschlossen hat.

Neben den Verweisen auf Elagabals fatale Veilchen und die unter ihnen dahinsiechenden Menschen zitiert Bak in seinen Bildern selbstbewusst aus der europäischen Kulturgeschichte, da sind Symbole, Ästhetiken und Techniken aus Kunstgeschichte und Literatur, aus Mythos und Psychologie. Die Vergangenheit fasziniert den Maler. Er sagt: »Sie ist eine Konstruktion, eine Fantasie. Wir erzählen uns die Vergangenheit wie eine Geschichte, die auf diese Weise Teil unserer Gegenwart wird.«

Auf Baks Gemälden recken Blumen ihre Köpfe, winden sich kriechende Körper in halb transparenten Farben, spucken gebückte Gestalten Blüten auf die Leinwand. Ein geisterhafter Flötenspieler betört die Schlafenden, üppige Bäume wachsen über das Format hinaus, die Äste voll bewegter Blätter. Faune, Hunde, Skelette—es geht um Schönheit und Verfall. Irgendwo zwischen Symbolismus und Jugendstil, Nabis, Surrealismus und Expressionismus lassen sich seine Bilder ansiedeln.

 

Oliver Bak, ›Bouquet‹, 2024. © Oliver Bak, Courtesy. Künstler und Sprüth Magers. Foto: Timo Ohler
Schwere Zeit in Paris

Die Geschichte, die Konstruktion, die Fantasie, der Mythos. Schon sein gesamtes Studium über interessierte sich Bak für diese Topoi. Er habe Tage in der Bibliothek verbracht, alte Kataloge durchgeblättert, immer auf der Suche nach Gemälden, die er noch nicht kannte, berichtet Bak, fragt man ihn nach den Ursprüngen seines visuellen Repertoires. Doch ist es nicht nur die Malerei, die ihn fasziniert. Seine Bezüge reichen bis in die Literatur, die Poesie. Während eines Arbeitsaufenthalts in Paris war es die erste Gedichtsammlung ›Caves en plein ciel‹ (Höhlen unter freiem Himmel) des bei Veröffentlichung im Jahr 1925 lediglich 18 Jahre alten französischen Dichters Roger Gilbert-Lecomte, die Bak zu einer ganzen Serie von Arbeiten anregte. »Es war, als würde ich durch meine Kunst mit dem Autor kommunizieren«, erzählt er. »Ich hatte eine schwere Zeit in Paris, und ich weiß, dass er damals ebenso eine schwere Zeit in Paris hatte. Was zuerst da war, kann ich nicht sagen: mein eigenes Gefühl—oder ob ich seine Erfahrung durch die intensive Auseinandersetzung mit seinen Gedichten adaptierte.” Bak überlegt kurz und resümiert im Rückblick auf diese Zeit: »Es kann schön sein, mit etwas Vergangenem zu kommunizieren und daraus die eigenen Bilder aufzubauen.«

Mit Ölfarbe und Bienenwachs bannt Bak seine Motive auf die Leinwand—aufgespannt auf höchst zeitgenössische Aluminiumleisten. Lange sitzt er an seinen Bildern, er malt nicht viele pro Jahr, zu zeitaufwendig sind Trocknung, Schichtung, Übermalung und Entfernung. Oft kratzt Bak die aufgetragene Farbe vom Bildträger wieder ab, übermalt sie, lässt Fragmente bestehen. Wie präsent ist das Unsichtbare? Kann man das Abwesende anwesend machen? Spürbar? Wie materialisiert sich das Unbewusste? Und ist die Übermalung Versteck oder Zerstörung? Stellt man Bak diese Fragen, gerät er ins Grübeln. Direkte Antworten hat der Künstler nicht, und trotzdem merkt man, dass die Fragen an Themen rühren, die ihn beschäftigen und dominoartig so viele Assoziationen in ihm wecken, dass sie wohl unmöglich zu sortieren sind.

Dass Baks Werk mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet, könnte ein Geheimnis seines frühen Erfolgs sein, der sich auch dieses Frühjahr bei der Kunstmesse Art Basel zeigte, wo die Galerie Sprüth Magers seine Arbeiten erstmals präsentierte. Die aktuelle Ausstellung ist nun sein Deutschland-Debüt, Berlin mit seiner fragmentierten Geschichte der perfekte Hintergrund für seine schwer greifbaren Bilder, die ebenso wie die Stadt immer komplexer werden, je mehr man sich ihnen nähert, in ständiger Synthese begriffen.

Blickt man auf Baks Bilder, dann findet man leicht Bezüge zu Malern wie Gustav Klimt, Edvard Munch, Paul Sérusier und anderen Vertretern progressiver, ja teils revolutionärer Kunstbewegungen ihrer Zeit. Und doch liegt in Baks Zitaten keine Regression, keine kitschige Reproduktion, finden sich keine Wiedergänger einer klebrig-historischen Bildsprache. Stattdessen erschafft er seine eigenen Geister. ›Greyhound Ghost Dog‹ (2024) heißt eine seiner neuen Arbeiten. Eine androgyne Figur mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen kniet hinter einem Windhund. Die Schnauze des Tiers ist direkt auf die Betrachtenden gerichtet. In verschwommenem Weiß füllen die beiden wie ephemere Lichtgestalten einen dunklen Raum, die Perspektive ist lediglich erahnbar. »Im alten Rom galten Windhunde als Omen für Geister«, erklärt Bak. Und wie ein Zerrbild kündigt auch in der aktuellen Ausstellung der Hund die omnipräsente Anwesenheit von Baks Geistern an. Die wenigen menschlichen Gestalten, die auf seinen Gemälden doch hin und wieder auftauchen, halten den Blick stets gesenkt. Sie wirken introvertiert, zwischen Kontemplation und Melancholie, Spiritualität und Vergänglichkeit.

Als sei der Niedergang der Schönheit die Voraussetzung für ihre Existenz, ist in Baks Bildern stets der bevorstehende Verfall sichtbar, der Schrecken des Endlichen, des Abjekten. Wiederkehrende Motive, wie sein von ihm so genannter »flower spitter«, eine Figur, die Blüten erbricht, scheinen die Brutalität zu offenbaren, die benötigt wird, um Schönheit zu materialisieren. Die Kraft, die es Bak kostet, das Schöne aus den eigenen Gedanken nach außen zu kehren und dafür eine Form der Sichtbarkeit auf seinen Bildern zu finden.

Bak beginnt seine Bilder auf intensiv farbigen Grundierungen, die er Schicht um Schicht abtönt: »Es ist wie das Überlagern von Emotionen, was auch ein großer Teil des Malprozesses ist.« Die teils sichtbaren Spuren der Entfernung und Übermalung vorheriger Stadien verweisen gleichermaßen auf den materiellen wie auf den intellektuellen Prozess. Auf Zeit und Arbeit, doch auch auf Überwindung und Zerstörung, als würde sich der Maler vor seiner eigenen Schaffenskraft erschrecken—vor den Geistern, die er rief.

Wann weiß Bak, ob ein Bild fertig ist? Er sucht nach dem Moment der Überraschung, des Unerwarteten—auch für sich selbst: »Vielleicht nimmt die Arbeit eine eigene Wendung und wird zu einem Bild, von dem ich nicht dachte, dass ich es malen würde. Wenn ich diesen Moment erreiche, weiß ich, ich kann es loslassen.«

Das letzte Bild, das in der Ausstellung zu sehen sein soll—zumindest wünscht sich der Maler zum Zeitpunkt des Treffens die Hängung so—, ist ein an ein Porträt erinnerndes Stillleben vertrockneter Orchideen. Die Blumen sind eines der wenigen explizit auf Baks Biografie verweisenden Motive in der Ausstellung. Baks Vater züchtet nämlich seit seinen Kindertagen leidenschaftlich gern Orchideen. Der Hang zur langsamen Schönheit, er liegt in der Familie, auch wenn Bak der Einzige ist, der den Berufsweg des bildenden Künstlers eingeschlagen hat. Die Züchtung der schönsten Blüten—vielleicht die perfekte Metapher für die Malerei Baks. Wie in der Biologie entsteht seine Bildsprache durch prozesshafte Mutation und über lange Zeiträume. Und wie bei der Orchideenzucht geht es um wenig anderes als um die pure Lust an der überbordenden, überirdisch anmutenden Schönheit. Vielleicht liegt darin das ganz eigene, rebellische Moment des Malers. Alles ist Schönheit. Und während Kunst und Aktivismus um Deutungshoheit und Relevanz ringen und der wahnsinnig gewordene Elagabal wie ein Zerrbild des globalen Zustands einer Welt erscheint, in der die einen am Luxus ersticken und die anderen für diesen Überfluss geopfert werden, malt ein junger Däne bescheiden und still seinen ganz eigenen dionysischen Kampf zwischen Wahnsinn und Ekstase, mit so bedachtem Strich, dass er über alles erhaben ist. Die Moden, Zweifel und Diskurse einer wild gewordenen (Kunst-)Welt.

 

›Oliver Bak. Ghost Driver, or The Crowned Anarchist‹, Galerie Sprüth Magers, 14. September bis 2. November 2024

 

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