Alicja Kwade

von 
Alicja Kwade. Foto: Christian Werner

Die Künstlerin Alicja Kwade beantwortet unser Questionnaire: »Nicht mehr permanent irgendwelche Leute abknutschen müssen.«

Woran arbeiten Sie gerade?
Das ist eine Frage, die ich oft gestellt bekomme und die ich kaum beantworten kann, da ich immer an sehr vielen Sachen gleichzeitig arbeite—und das meistens weder logisch noch chronologisch. Im Moment ist es die nun endlich stattfindende Ausstellung in der Berlinischen Galerie, die dreimal verschoben wurde, eine Ausstellung in Korea, eine weitere Ausstellung in Paris, ein großes öffentliches Projekt in Nordrhein-Westfalen, einige Wettbewerbe für Kunst im öffentlichen Raum und so weiter …

Wer oder was hat Sie in Ihrer Arbeit beeinflusst?
Ich glaube mehr Philosoph*innen als Künstler*innen. Fragen zur Selbsterkennung, zu Gesellschaft, zum Bewusstsein … alles Mögliche. Ich habe früher sehr, sehr viel gelesen—jetzt habe ich leider nicht mehr so recht die Zeit dazu—darunter auch viel Wissenschaftliches: Steven Hawking maßgeblich, aber auch Niels Bohr und Nicola Tesla, Hegel, Kant, Freud, Marx. Aber ich habe mir auch viele neue Sachen angesehen, Markus Gabriel, Yuval Noah Harari, Elena Esposito, Karen Barad. Mir geht es weniger um die Autor*innen und mehr um die Dinge, die hier beleuchtet werden und die mich beeinflussen, da ich mir die gleichen Fragen stelle, diese aber eben anders für mich selbst zu lösen versuche, und zwar durch das was ich tue: Kunst.

Zu welchem Kunstwerk kehren Sie immer wieder zurück?
Ich kann mir die ›Pietà‹ von Michelangelo gar nicht oft genug anschauen. Ich finde es nach wie vor unfassbar, dass man so etwas Amorphes, Weiches, Sanftes und Anrührendes aus einem Stein schlagen kann.

Was würden Sie machen, wenn Sie keine Kunst machen würden?
Da gibt es ganz viele Möglichkeiten, ich könnte ein Immobilien-Mogul sein und ganze Städte verändern, formen, anders gestalten … (haha) oder immer wieder verschiedene Startups ausprobieren. Ich habe Ideen für eine Bar, für ein Geschäft für Dinge, die etwas mit der Sonne zu tun haben, vielleicht würde ich Kinderspielplätze entwerfen oder Sonnenschirme. In meinem Wunschtraum eines Lebens ohne die Last der Dinge wäre ich eine extrem erfolgreiche Schriftstellerin.

Was lesen oder hören Sie gerade?
Leider nicht viel, da ich wirklich sehr wenig Zeit habe und meine Tage sehr durchgetaktet sind. Ich hoffe, dass sich das bald wieder ändert. Ich lese momentan also im Grunde fast nur Sachen, die mir Freund*innen geben und zu denen ich also eine persönliche Beziehung habe. Ich bin eigentlich überhaupt nicht an Romanen interessiert und betrachte sie eigentlich als Zeitverschwendung, aber wenn ich die Autor*in kenne, ist das anders. Meistens lese ich mehrere Bücher gleichzeitig, zum Beispiel Timon Karl-Kaleytas ›Die Geschichte eines einfachen Mannes‹, ›August‹, das neue Buch von Peter Richter, Jacky Thomaes ›Brüder‹ und Rafael Horzons ›Das neue Buch‹. Entsprechend höre ich fast auch nur Sachen, die ich selbst mit meinem Freund zusammen bei Grzegorzki Records verlege, oder die wir verlegen wollen: Paar, Anne, Susanne Blech … und natürlich Rosin, die neue junge Künstlerin am Firmament.

Was muss Kunst heute Ihrer Meinung nach können?
Sie muss etwas tun. Sie muss die Gesellschaft mit einbeziehen, sie muss außerhalb der gebildeten und privilegierten Kreise auf Menschen und mit Menschen wirken. Sie muss Identifikationsmöglichkeiten bieten, um andere Ideologien zu verdrängen. Kunst ist das einzig Vernünftige, das wir Menschen überhaupt machen können und bis jetzt hinbekommen haben. Das muss wichtiger werden!

Welchem Aspekt der Prä-Pandemie-Welt weinen Sie eine Träne nach? Und welchem nicht?
Generell weine ich nie irgendetwas nach und bin eine absolut zukunftsgewandte, stoische Gesellschaftsoptimistin. Alles hat immer Vor-und Nachteile, aber ich bin auch nicht gerade traurig darüber, nicht permanent irgendwelche Leute abknutschen zu müssen. Das war mir noch nie so besonders angenehm. Eine gewisse altmodische Distanz ist mir ganz recht, und wenn mir in einer Schlange jemand nicht direkt im Rücken sitzt, ist das auch nicht unbedingt das Schlechteste. Zudem hat sich ja vieles beschleunigen lassen—auf digitalem Wege, Administratives, Liefermöglichkeiten und so weiter. Das war längst überfällig und ich denke da gab es einen guten Push. Ein Fan der Idee des Home-Office werde ich in meinem Beruf aber wohl niemals werden. Natürlich genieße ich große Dinner mit Freund*innen, Mitarbeiter*innen, Familie, am besten alle zusammen. Ich hoffe, dass das bald wieder zur Normalität gehören wird! Es gibt für mich aber nichts Schöneres, als im Sommer draußen auf der Straße zu sitzen. Und zum Glück das ist ja im Moment auch wieder möglich, jedenfalls fast.

Wenn Sie Ihre Arbeit auf einen Begriff bringen müssten—welcher wäre das?
Klarheit.

Haben Sie ein tägliches Ritual?
Hätte ich gern, habe ich aber nicht—dazu ist mein Leben viel zu hektisch.

Worauf freuen Sie sich in nächster Zeit im Kunst- und Kulturbereich?
Ich freue mich auf eine Ausstellung, die ich spontan und nur zum Spaß mache, und zwar mit Gregor Hildebrandt zusammen, im Kunstraum Konrad, das ist circa eine Stunde außerhalb von Wien. Das wird eine wahnsinnig tolle und schöne Ausstellung. Manchmal werden die Dinge gerade dann gut, wenn man sich eigentlich gar nicht besonders anstrengt. Leider fällt es mir sehr schwer, mich nicht anzustrengen, aber diesmal hat’s geklappt. Weil ich komplett die Orientierung verloren habe, was nun wann eröffnet oder geschlossen ist, und was wann stattfindet, kann ich mich noch nicht so wirklich auf irgendetwas fokussieren und freuen. Ich kann mir auf eine Art auch noch nicht wirklich vorstellen, dass die Biennale di Venezia nächstes Jahr tatsächlich stattfinden soll, ebenso die Documenta usw.—das Ganze scheint mir doch noch etwas abstrakt. Deshalb weiß ich gerade kaum, was außerhalb meines eigenen Radius passiert …

BERLINISCHE GALERIE
Alicja Kwade. In Abwesenheit
18 SEP 2021—4 APR 2022
Eröffnung 17 SEP, 19—22 Uhr

DAS KÖNNTE IHNEN AUCH GEFALLEN