Bendik Giske

von 
Bendik Giske. Foto: Luis Alberto Rodriguez

Der Künstler Bendik Giske beantwortet unser Questionnaire: »Das Rohrblatt zu befeuchten, erdet mich jedes Mal.«

Woran arbeiten Sie gerade?
Dieser Moment fühlt sich ein bisschen so an wie aus dem Schneckenhaus zu kriechen. Jetzt kann jene Arbeit mit anderen geteilt werden, die während einer Zeit gegärt ist, die sich nur schwer mit Adjektiven beschreiben lässt. ›Cracks‹, mein zweites Studio-Album für Solo-Tenorsaxophon erscheint Ende August bei Smalltown Supersound, gleich danach folgt ›Perspicus‹, eine Auftragsarbeit für die Programmreihe The New Infinity der Berliner Festspiele im Zeiss-Großplanetarium in Berlin. Letzteres entsteht in Kollaboration mit Florence To und Bridget Ferrill, zwei Künstlerinnen, mit denen ich schon eine ganze Weile zusammenarbeite. Wir werden mit Projektionen in der Kuppel Räume und im räumlichen Soundsystem Resonanzen erkunden und schaffen.

Wer oder was hat Sie in Ihrer Arbeit beeinflusst?
Da kommen mir ›Grind‹ des Choreographen und Tänzers Jefta von Dinther und ›Tribute‹ des Choreographen Frédéric Gies in den Sinn. Ersteres ist eine Performance für eine*n Solotänzer*in. Im Zusammenspiel mit Licht, Klang und Bewegung zeigt sich hier in wiederholenden Kapiteln eine große Verletzbarkeit und Präsenz. Gies’ Arbeit mit der Musik von Fiedel schöpft aus dem Tanz und somatischen Praktiken, in denen sich meine Erfahrungen gemeinsamen Tanzes und Selbstausdrucks weitgehend wiederfinden. Beide Stücke enthalten Elemente einer ständigen Arbeit und fortlaufenden Praxis, die mir auf eine Art einen Weg aufgezeigt haben, auf dem die Grenzen zwischen Bewegung, Klang und Raum verschwimmen.

Zu welchem Kunstwerk kehren Sie immer wieder zurück?
Evan Parkers ›Monoceros 1‹ ist eine absolut umwerfende 20-minütige Improvisation für Sopransaxofon, die mein Verständnis von Struktur und Performance einfach komplett auseinandernimmt—und zwar immer wieder. Parker ist einer von vielen Saxophonspieler*innen, deren Arbeit mich immer wieder dazu inspirieren, auf und mit dem Instrument Dinge zu entdecken.

Was würden Sie machen, wenn Sie keine Kunst machen würden?
Wenn ich das wüsste, hätte ich vielleicht schon vor langer Zeit das Handtuch geworfen. Mich interessiert Handwerk, es macht mir Spaß, mich mit den winzigsten Details zu beschäftigen und zu beobachten, wie die Dinge über lange Zeit entstehen und wachsen. Vielleicht wäre ich Gärtner geworden.

Was lesen oder hören Sie gerade?
Eine Freundin von mir, die Komponistin Laure M. Heindl, war so nett, mir ›The Oxford Handbook of Critical Improvisation Studies‹ zu schenken, herausgegeben von George E. Lewis und Benjamin Piekut – sozusagen als Erweiterung unserer Gespräche über Improvisation und Komposition. Da ich einen praktischen Ansatz habe, setze ich mich mit beiden Praktiken auseinander, seit ich denken kann. Ich fände es seltsam künstlich, Improvisation und Komposition zu trennen. Mich in das Denken über Improvisation in ihren vielen Formen zu vertiefen, ist für mich in diesem Moment der Kreation, in dem ich mich gerade befinde, sehr inspirierend.

Was muss Kunst heute Ihrer Meinung nach können?
Große Frage—sie einzugrenzen schließt da nicht unbedingt etwas aus. Kunst kann gleichzeitig Entdeckung und Kommunikation sein. Sie kann den Verstand für die Existenz anderer Perspektiven sensibilisieren und auf diese Weise zu einer konstruktiven Weltgestaltung beitragen, die Diversität einschließt und bejaht. Das Bewusstsein, dass es auch noch andere Perspektiven gibt, und die Konsequenzen, die das für das Denken und die Entwicklung haben kann, sind nach meiner Überzeugung in den heutigen Zeiten enorm wichtig.

Welchem Aspekt der Prä-Pandemie-Welt weinen Sie eine Träne nach—und welchem nicht?
Der Existenz von Subkulturen, die ohne Leitung und Führung auskommen und die dann entstehen, wenn es dafür Raum und Gelegenheit gibt. Jetzt besteht die Chance, diese Räume neu zu konfigurieren und die positiven Elemente einer solchen Gemeinschaftsbildung zu betonen. Mir fehlt es auch ziemlich, nicht über die Pandemie zu sprechen.

Wenn Sie Ihre Arbeit auf einen Begriff bringen müssten—welcher wäre das?
Arbeitsam.

Haben Sie ein tägliches Ritual?
Meine Wirklichkeit entsteht aus täglichen Praktiken. Selbst wenn Projektarbeit meine täglichen Routinen oft unterbricht, versuche ich sie nicht zu vergessen und sie wieder aufzunehmen, sobald ich kann. Es gibt kaum einen Tag, an dem ich nicht mein Tenorsaxofon in die Hand nehme. Das Saxofon ist modular in dem Sinne, dass jede*r Spieler*in sich auf jeder Ebene ganz persönlich für ein Rohrblatt, Mundstück und Blattschraube entscheiden muss. Das Rohrblatt zu befeuchten erdet mich jedes Mal.

Worauf freuen Sie sich in nächster Zeit im Kunst- und Kulturbereich?
Ich kann es nicht erwarten, mich wieder in Techno zu verlieren, im Dunkeln unter Fremden und Freund*innen. Für mich ist das eines von jenen Dingen, die alles wieder ins Lot rücken. Theater und Live-Musik gehören zu den Erlebnissen, die mir wichtig sind, und diejenigen, die diese Dinge auf die Bühne bringen, haben gerade mit großer Unsicherheit zu kämpfen. Ich glaube, es gibt eine Menge guter Ideen, die nur darauf warten, Form anzunehmen und mit Zuversicht und Selbstvertrauen erschaffen zu werden, sobald die Dinge wieder etwas planbarer sind.

BERLINER FESTSPIELE/THE NEW INFINITY
Perspicus Florence To & Bendik Giske & Bridget Ferrill
Performance 17 SEP, 20 Uhr und 19 SEP, 21.45 Uhr

DAS KÖNNTE IHNEN AUCH GEFALLEN