Woran arbeiten Sie gerade?
Gerade arbeite ich mit Ewa, Billy, Studio Labour, Lou, Sofie und anderen am Tod der Hochzeit mit dem Titel ›karadeniz‹, eine Performance, die im September im tanzhaus nrw und während der Berlin Art Week 2021 im HAU Hebbel am Ufer Premiere haben wird. Wir werden uns in ein Zeitalter der Post-Identitätspolitiken hineintransformieren, Darstellungen auf der Bühne zur Auflösung bringen, die Institution der Ehe kritisieren—und dabei queer, antikapitalistisch, intersektional, transformativ, verantwortlich und parasitisch sein.
Wer oder was hat Sie in Ihrer Arbeit beeinflusst?
Die SNDO—School for New Dance Development in Amsterdam hat meine Arbeiten in den letzten beiden Jahren geprägt. Mit ihrem Schwerpunkt darauf, in Diskursen wie Queer Theory, Postcolonial Studies und dem Choreografieren von Körpern einen Raum für das Lernen und Verlernen zu schaffen, bot mir SNDO eine Plattform, um die Ansätze in meiner eigenen künstlerischen Forschung zu überarbeiten. Für diese Erfahrung bin ich so dankbar. Ich habe dabei gelernt, an der Schwelle zwischen Theorie und Bewegungspraxis zu arbeiten.
Zu welchem Kunstwerk kehren Sie immer wieder zurück?
Es ist die Arbeit meiner ›Kins‹, die mich fasziniert—meiner Freund*innen, die in Strip-Clubs, im Nachtleben gearbeitet haben, die während der Pandemie Demonstrationen organisiert haben. … Joy Mariama Smiths Forschung über Dunkelheit und Black Joy fand ich sehr beeindruckend, ebenso Lou Dragos Vortrag über ›Radical Sociability‹ oder Mias Text über Intimität während der Pandemie. Göksu Kunaks Performance ›AN(A)KARA‹ fragmentiert den Orientalismus in neuen queeren Ästhetiken. Die Leute, mit denen ich arbeite, gehören meist meiner queeren Familie an—und das sind die ›Kunstwerke‹, zu denen ich zurückkehre. Die Kunstwerke, die in Institutionen platziert sind, werden mir nie einen äquivalenten Zugang einräumen.
Was würden Sie machen, wenn Sie keine Kunst machen würden?
Schichtarbeit in ›night life awareness‹. Würde ich Stripper werden, würde wahrscheinlich ein Traum in Erfüllung gehen. Ein Traum, den ich dagegen aufgegeben habe: ein MMA*-Kämpfer zu werden.
Was lesen oder hören Sie gerade?
Die Praxis des Lesens prägt meine Arbeit schon lang, jetzt und in alle Ewigkeit. Ich lese gerade ›Emergent Strategy‹ von adrienne maree brown, ›Transgender History‹ von Susan Stryker und ›Queering Anarchism: Addressing and Undressing Power and Desire‹. Alle diese Bücher bieten einen Einblick in die »Bewegung über eine gesellschaftlich gezogene Grenze weg von einem nicht selbstgewählten Ausgangspunkt« (Susan Stryker in ›Transgender History‹).
Was sollte Kunst heute Ihrer Meinung nach können?
Sie sollte sein: ein Übersetzen, Transformieren, Transfigurieren, Transmutieren, Transponieren, Transsubstantiieren, Umarbeiten, Umdefinieren, Umgestalten, Umbauen, Ummodeln, Umarbeiten, Umbilden, Umdenken.
Welchem Aspekt der Prä-Pandemie-Welt weinen Sie eine Träne nach—und welchem nicht?
Den Räumen der queeren Communities, die unsere eigenen waren.
Wenn Sie Ihre Arbeit auf einen Begriff bringen müssten—welcher wäre das?
›Trans‹ im Sinne von ›darüber hinaus gehen, hinüber, jenseits, queer‹.
Haben Sie ein tägliches Ritual?
Meditation hilft mir sehr dabei, ein Gefühl von Klarheit und Empfindsamkeit zu erreichen. Wenn ich im Studio arbeite, finde ich Mindmapping extrem hilfreich, um Verbindungen zu entdecken, die nicht linear verlaufen, und wilde Zusammenhänge entstehen zu lassen. Lesen ist ein wichtiger Teil meiner Praxis. Ich weiß gar nicht, wie viele Bücher ich dieses Jahr gekauft habe, aber ich versuche, eine Stunde am Tag zu lesen. Eine weitere tägliche Praxis, die durch die Teilnahme an Joy Mariama Smiths Workshop über Einverständnis im Color Block bei Ponderosa verstärkt wurde, ist das Verarbeiten von Schuld, Verletzung und Scham. Ich habe verletzt, und ich wurde verletzt.
Worauf freuen Sie sich in nächster Zeit im Kunst- und Kulturbereich?
Lecken!
HAU HEBBEL AM UFER
caner teker. karadeniz
17—19 SEP, 19—21 Uhr