Daniela Bershan

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Daniela Bershan

»Alles kommt von irgendwoher und alles ist immer schon da«—die Künstlerin Daniela Bershan beantwortet unser Questionnaire.

Woran arbeiten Sie gerade?
Ich arbeite an Beziehungsstrukturen und der Politik der Intimität. Meine neueren Arbeiten sind der Versorgung und der Reproduktionsarbeit gewidmet, den täglichen Ritualen, die (unser) Leben erhalten. Ich sehe diese Rituale als Orte der Handlungsmacht und der Möglichkeit, unterschiedliche Beziehungsmuskeln zu trainieren. Ich glaube, der Erhalt des Lebens, die Verbindung zum Netzwerk des Lebens—jenseits einer anthropozentrischen Agenda—spielt bei der Suche nach so vielen kunstvollen Werkzeugen und Wegen wie möglich zu einer miteinander verbundenen, reichhaltigeren und lebbareren Zukunft eine ganz zentrale Rolle. ›Ocean‹—eine Manifestation der Fürsorge in Form einer rituellen Performance—wird als ein solches Werkzeug praktiziert und gedacht. Ein weiteres meiner derzeitigen Projekte ist ›Groundwerk‹—eine langfristig angelegte Plattform, die zukünftigen ›Worldings‹ und reproduktiven Zukünften gewidmet ist.

Wer oder was hat Sie in Ihrer Arbeit beeinflusst?
Die kollektiven Umgebungen, für die ich mich seit 15 Jahren engagiere, waren und sind wichtige Lehrerinnen für mich. Insbesondere FATFORM, Performing Arts Forum und Elsewhere & Otherwise. Es handelt sich dabei um Orte des Experimentierens beim Aufbau kollaborativer Ökologien und Landschaften, gemeinsam mit anderen in einem Prozess des aktiven Engagements. In einem langsam wachsenden Prozess bieten sie Alternativen zu den binären Gegenpolen von öffentlich/privat, häuslich/Arbeit, intim/politisch. Sie haben mich gelehrt, wie mikro-intime Gesten mit der Zeit und mit Einsatz zu makro-politischen Veränderungen führen können. Neue Plattformen und Infrastrukturen wachsen zu lassen, die auf erotischen Verbindungen im Geiste von Audre Lorde basieren, einer Vielfalt von Stilen und Beziehungskomplexität—der Raum und die Zeit, die sie öffnen, die Herausforderungen, die sie mit sich bringen—, das alles ist genauso Teil meiner Arbeit wie die Werke, die zirkulieren. Alles kommt von irgendwoher und alles ist immer schon da. Ich und meine Arbeit sind ein affektiver, erotischer, politischer Remix von vielerlei Praktiken und Denker*innen, die (Geistes-)Verwandte zu nennen ich dankbar bin.

Zu welchem Kunstwerk kehren Sie immer wieder zurück?
Wenn ich eine Krise mit der Kunst habe—oder vielmehr sollte ich sagen, mit der historischen Disziplin der westlichen Kunst und ihrem Markt—dann wende ich mich Volkskunst und Outsider Art zu. In letzter Zeit habe ich mich viel mit alten Göttinnenskulpturen befasst, denen ich durch Marija Gimbutas’ Arbeit begegnet bin. Die Fähigkeit, Materie energetisch aufzuladen, Denken, Empathie, Zuneigung, Bewusstsein in Objekten außerhalb des menschlichen Körpers zu speichern—wie ein anderes Wesen Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte später berührt werden kann—das ist etwas, was mich zutiefst bewegt. Ich fühle mich einer kreativen Kraft zugehörig, die Kategorien und Disziplinen überwindet. Schon seit meiner Kindheit bin ich fasziniert und gefesselt von Mustern. Ich kann die Menschen um mich herum mit der wilden—und manchmal krassen—Art, wie ich sample und Verbindungen ziehe, in den Wahnsinn treiben. Aber ich kann nicht anders; ich öffne meinen Kühlschrank und sehe die Welt.

Was würden Sie machen, wenn Sie keine Kunst machen würden?
Es gibt so vieles, was mich interessiert und neugierig macht: mich mit dem Erdreich auseinanderzusetzen und Selbstorganisation, mit Ritualen, Liebesarbeit, Trauma, Magie, Sex, Raum und Zeit, mit Musik zu experimentieren, Pflanzen und Heilen, Fürsorge, Communities, Kinder, Alte. Ich bin keine Spezialistin. Ich versuche, den Communities und Anliegen, für die ich mich engagiere, dienlich zu sein. Ich bin ein oktopoidales Wesen, eine Remixerin, und als Künstlerin bezeichnet zu werden ist mir nicht mehr so wichtig.

Was lesen oder hören Sie gerade?
Bei meiner Lektüre und meinen Studien bin ich ziemlich langsam. Es ist sowohl eine Herausforderung als auch ein Talent, dass ich wenig Erinnerungsfähigkeit habe, wenn es um geschriebene Worte geht. Ich muss mit Dingen, die mich faszinieren, viel Zeit verbringen, sie immer wieder in Gesprächen mit Freund*innen remixen, oder Karten oder Pläne machen, bis sich etwas konkretisiert. Im letzten Jahr habe ich viel Zeit mit ›Subversive Spiritualities—How Rituals Enact the World‹ von Frederique Apffel-Marglin verbracht und mit den Werken von Alexis Pauline Gumbs, insbesondere ›Undrowned‹. In ihrem Ansatz und ihrer Art sind die beiden ziemlich unterschiedlich; mich interessiert, wie beide aber mit Wiederholung und Praxis umgehen und wie die Politik mit dem Ritual verwandt ist. Das ist für mich insofern stimmig, als jedes Mal, wenn ich etwas wiederhole, es an Muskeln und Gewicht gewinnt. Ihre Forschung, Erfahrung und ihr Engagement dockt daran an, wie ich mit Ritualen experimentiere, wie ich unterschiedliche Ontologien remixe, und wie die Fantasie mit dem Erinnern und der Intuition jenseits von Kategorien und Disziplinen verbunden ist.

Was sollte Kunst heute Ihrer Meinung nach können?
Die Kunst ist von der Welt und für die Welt. So wie ich es sehe, sollte die Kunst unerwartete Bewegungen und Begegnungen ermöglichen. Für mich geht es in der Kunst darum, Raum und Zeit für mehr als nur menschliche Perspektiven zu öffnen. Sie kann das menschliche Bewusstsein erweitern und die Intuition fördern. Zu unterschiedlichen Zeiten ist die Kunst mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. Im Moment kann die Kunst ein besonderes Reich sein, um Beziehungsmuskeln wachsen zu lassen und Formen des Zusammenlebens jenseits ausbeuterischer und extraktiver Arbeitsweisen zu entwickeln. Sie kann einen Horizont für das Anderssein bieten.

Welchem Aspekt der Prä-Pandemie-Welt weinen Sie eine Träne nach—und welchem nicht?
Im Großen und Ganzen gibt es wenig, dem man an der monströsen sogenannten Normalität der vorpandemischen Welt nachtrauern sollte. Das Gefühl der Trauer und des Verlusts spezifischer Dinge wie das Reisen, der unbegrenzte Zugriff auf das soziale Leben und Unterhaltung sind vor allem bei den Privilegierten zu beobachten. Allerdings hat die Pandemie Möglichkeiten eröffnet, angesichts der Herausforderungen unserer Zeit verletzbar zu sein: die Umweltzerstörung, systemische Unterdrückung und allgemeine Spaltung. Sie hat einen Raum eröffnet, in dem man sich mit sich selbst konfrontiert sieht als Teil von Lebensweisen, die einfach untragbar und nicht nachhaltig sind und auf Kosten anderer gehen, ob diese anderen nun Menschen sind oder nicht. Wir sind alle unvollkommene, widersprüchliche Wesen. Viele von uns sind sozialisiert, unseren Scheiß im Klo runterzuspülen, statt ihn als eine Ressource zu sehen und zu nutzen. In manchen Kreisen hat die Pandemie es Individuen und Kollektiven ermöglicht, sozusagen ihren Scheiß gemeinsam zu betrachten. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass Teile der Gesellschaft auf ›Normalität‹ und die nächste technische Lösung warten, um davon abzulenken, was tatsächlich auf dem Spiel steht.

Wenn Sie Ihre Arbeit auf einen Begriff bringen müssten—welcher wäre das?
Remixing.

Haben Sie ein tägliches Ritual?
Jeden Abend frage ich meine sechsjährige Tochter, ob es ein guter oder ein schwerer Tag war, und dann sprechen wir darüber, wofür wir dankbar sind, was herausfordernd war, wie wir es das nächste Mal in einer ähnlichen Situation besser machen können. Wir erzählen uns Träume, Anekdoten und Geschichten. Wir stellen uns gegenseitig Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Wir erden uns durch Umarmungen. Zeit mit Kindern zu verbringen hilft mir, das Wichtige vom eher weniger Wichtigen zu unterscheiden. Das kann Dinge relativieren, und es erinnert mich daran, dass einer zukünftigen Erde und einem zukünftigen Horizont zu dienen, die ich selber nie erleben werde, nicht verhandelbar ist.

Worauf freuen Sie sich in nächster Zeit im Kunst- und Kulturbereich?
Ich freue mich auf den von Gabriel Catren organisierten Chaos-Workshop beim Performing Art Forum in Frankreich im September, und ich freue mich immer auf MaerzMusik—Festival für Zeitfragen in Berlin im März—und natürlich auf die Berlin Art Week.

COVEN BERLIN
Somabog
16 SEP—26 SEP 2021
18 SEP, 15—21.30 Uhr Performance ›Ocean‹
Teil des ›BAW Garten‹ Programms am Mi 15 SEP, 17.30—18.15 Uhr

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