Wie Böden, Bänke oder Fenster und dann eben auch wieder nicht—Thea Djordjadzes Arbeiten sind ein Echo der uns umgebenden Oberflächen des Alltags. Sie umgeben uns, drängen sich also nicht in den Mittelpunkt, sondern verweisen auf die Ränder, die Rahmen unserer Wahrnehmung. Im Verlauf ihrer nun schon über 20-jährigen Karriere hat die Künstlerin immer wieder mit einem derartigen Ensemble von Nebenfiguren gearbeitet: von ihrer richtungsweisenden Installation auf der Documenta 13, die die Form von Podesten, Vitrinen und Wänden in den Vordergrund rückte, bis zur nüchternen Ausstellung ›o potio n‹ im Portikus, in der fast nichts außer Fenster, Bodenbeläge und ein Aluminium-Screen zu sehen war. Djordjadze selbst gibt an, dass ihre Faszination für Displays auf die prägenden Besuche im Staatlichen Simon-Dschanaschia-Museum Georgien zurückgehen. Dort faszinierten sie insbesondere die von Alexander Javakhishvili und Avto Varazi entworfenen Vitrinen für die Präsentation der archäologischen Sammlungen, die es den Besucher*innen ermöglichen, einen »Eindruck von den Seelen dieser alten, zeitlosen Objekte« zu bekommen, wie sie einmal schrieb. Auch ihre bevorstehende Ausstellung im Gropius Bau—das Gebäude beherbergte früher übrigens die archäologischen Sammlungen des Landes Berlin—lebt von einer ähnlichen Faszination. Und doch sind Djordjadzes Präsentationen alles andere als didaktisch. Trotz all ihrer formalen Klarheit bleibt oft im Vagen, was genau man eigentlich betrachten soll.
Trotz all der formalen Klarheit von Thea Djordjadzes Präsentationen bleibt oft im Vagen, was genau man eigentlich betrachten soll.
Im Großen und Ganzen ist Djordjadzes Methode so intuitiv wie ihre Quellen eklektisch. Auch wenn ihre Arbeiten nicht selten beim Herumprobieren im Atelier oder mit Skizzen auf dem Weg zum Herstellerbetrieb beginnen, so erhalten die Dinge erst in der Ausstellung ihre letztendliche Form. Die einzelnen Elemente werden für ortsspezifische Installationen in situ kombiniert und arrangiert—ein langwieriger Prozess des Ausprobierens, der sich über Wochen hinziehen kann. Und auch dann werden bestimmte Dinge immer wieder recycelt, beispielsweise die Bänke aus ihrer Ausstellung ›INVENTUR SGSM‹, die ursprünglich gemacht wurden, um speziell angefertigte Vitrinen für Arbeiten aus der Staatlichen Graphischen Sammlung in München zu begleiten, aber inzwischen längst ein eigenes Leben als unabhängige Skulpturen angenommen haben (unter dem Titel ›Power of No Excuses‹). Zusammen mit ihrem erklärtermaßen ungegenständlichen Ansatz erschwert dieser improvisatorische, offene Prozess festgefügtes Wissen über ihr Werk, geschweige denn eine stabile Interpretation ihrer Arbeiten. Zudem zieht es Djordjadze vor, ähnlich wie Rosemarie Trockel, bei der sie studierte, ihre Kunst für sich sprechen zu lassen. In ihren Ausstellungen finden sich demnach für gewöhnlich keine erklärenden Texte. Und wenn sie den Betrachter*innen ihrer Werke irgendetwas wünscht, dann wohl am ehesten, dass sie vor allem sich selbst überlassen bleiben sollen.
Die einzigen Hinweise auf konventionelle Bedeutungen finden sich demnach in den Titeln, die sich nicht selten aus der Erinnerung oder aus literarischen Fragmenten speisen—auch wenn Djordjadze in einem Interview mit dem Schriftsteller Andrew Maerkle klarstellt, dass die Poesie ihrer Titel für sie »genauso ein Material ist wie Gips … keine Erklärung oder Übersetzung«. Tatsächlich beschwören diese Titel, ganz wie der industriell hergestellte Stahl, das Glas und Aluminium, die sich in den meisten ihrer Installationen finden, ein unternehmerisches, ja bis manchmal gar ausgesprochen neoliberales Ethos. Neben dem zuvor erwähnten ›Power of No Excuses‹ finden sich diesbezüglich etwa solch großartige Titel wie ›Why hold on to that?‹ oder insbesondere ›She didn’t have friends, children, sex, religion, marriage, success, a salary or a fear of death. She worked.‹ Angesichts der Tatsache, dass Djordjadze alt genug ist, in ihrem Heimatland Georgien den gewaltsamen Zusammenbruch der UdSSR selbst miterlebt zu haben, ist es nicht allzu weit hergeholt, in derartigen Anspielungen eine gewisse Doppelbödigkeit zu vermuten. Nichtsdestotrotz, diese Titel transportieren sehr wohl auch einen verstärkt individuellen Modus der Erfahrung, wie er sich im Zentrum von Djordjadzes Werkes wiederfindet. Im selben Interview mit Maerkle bemerkt die Künstlerin dann auch: »Wenn etwas dich sehr tief berührt, dann ist das allein deine Erfahrung und kann nicht auf genau dieselbe Art mit anderen geteilt werden«.
In Thea Djordjadzes Ausstellungen stellt sich ein Gefühl der Freiheit ein: der Freiheit, zu beobachten, wie die Dinge sich verschieben, wie sie sich verändern und zu dem werden, was sie sind—ohne es sich selbst oder anderen gegenüber rationalisieren zu müssen.
Im frühen Stadium der nach wie vor andauernden Pandemie freuten sich viele meiner Freund*innen über die Einführung des Home Office. Sie hießen das Arbeiten von zuhause aus als dringend benötigte Erleichterung willkommen. Aber mit dem Mehr an Freiheit, sich die Zeit selbst einzuteilen, stieg bald auch der Druck, sich dafür zu rechtfertigen, wie man seine Zeit verwendet—nicht nur anderen, sondern auch sich selbst gegenüber. Dieses Gefühl von Freiheit— Freiberufler*innen kennen das schon lange—wandelte sich rasch zu einer allumfassenden professionellen Anspannung und Besorgtheit. Bald ist jeder ›freie‹ Moment von irgendeiner unbeantworteten E-Mail oder einem noch anstehenden Rückruf überschattet. Parallel gerieten viele Museen während den letzten Jahren in eine Art Legitimationskrise. In Ausstellungen geht es nun nicht mehr nur um Kunst, nun wird auch erwartet, das Ausstellungen Ausdruck eines konkreten kulturellen Auftrags sind. Das, so scheint es, entspricht nicht Djordjadzes Denken über Kunst.
Wenn ich daran denke, wie es ist, durch ihre Ausstellungen zu laufen, so stellt sich ein Gefühl der Freiheit ein, das der Freiheit der Freiberufler*in diametral entgegengesetzt zu sein scheint: die Freiheit, zu beobachten, wie die Dinge sich verschieben, wie sie sich verändern und zu dem werden, was sie sind—ohne es sich selbst oder anderen gegenüber rationalisieren zu müssen. In ihrem Interview mit Maerkle beschreibt Djordjadze ihre Arbeitsweise als einen Prozess, in dessen Verlauf sie „die Dinge nimmt, wie sie sind, und dann, indem ich die Verrücktheit von Zufällen akzeptiere, irgendwie auch die Kontrolle darüber gewinne. Es geht um Mehrdeutigkeit: Unsere Mehrdeutigkeit gehört uns selbst.“ Und wenn wir Mehrdeutigkeit als das Nebeneinander zu vieler verschiedener Optionen begreifen, angesichts derer wir die Freiheit besitzen, uns gerade nicht entscheiden zu müssen, so ließe sich über Djordjadzes Arbeiten folgendes sagen: Sie bieten uns einen Ort an, ein Refugium, an dem das wergeschätzt werden kann, was aus unseren instrumentalisierten Leben zunehmend verschwindet.
GROPIUS BAU
Thea Djordjadze
18 SEP 2021—16 JAN 2022
Eröffnung 17 SEP, 14—22 Uhr