Das große Unbehagen

von 
Mona Hatoum, Hot Spot III 2009 Foto: dotgain.com

Ihre Arbeiten suggerieren Stabilität und tragen doch den Kollaps in sich. Drei Häuser zeigen, wie Mona Hatoum die Verwerfungen der Gegenwart sieht. Hier geben die drei Direktor*innen dieser Häuser einen Einblick in ihre jeweiligen Ausstellungen.

Mona Hatoum gilt als eine der wichtigsten und ein­flussreichsten Künstler*innen ihrer Generation. Im Zentrum ihrer Performances, Videos, Fotos, Skulpturen und Installationen steht die Auseinandersetzung mit Vertreibung, Marginalisierung und staatlicher Gewalt—Themen, denen sie sowohl vor dem Hinter­grund ihrer eigenen Biografie als auch im Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen nachgeht. Ab September zeigen der Neue Berliner Kunstverein, das Kindl—Zentrum für zeitge­nössische Kunst und das Georg Kolbe Museum eine umfassende Präsentation von Hatoums Werk.

Seit den 1990er­ Jahren schafft Mona Hatoum Werke, denen ein subtiles Spiel von Widersprüchen die Anmutung latenter Gefährdung und Irritation verleiht. Die Arbeiten mit ihrer klaren Formensprache und den glänzenden Oberflächen industrieller Materialien sind von einer reduzierten Ästhetik gekennzeichnet. Das Performative und—eng damit verbunden—der Bezug zum Körper nehmen eine zentrale Rolle ein. In ihren jüngsten Werken konzentriert sich Hatoum insbesondere auf die Darstellung prekä­rer Zustände in einer globalisierten Welt. Für ihre raumgreifenden Installationen verwendet sie elementare Formen, die einerseits Ordnung suggerieren und andererseits das Potenzial eines plötz­lichen Zusammenbruchs in sich tragen. Diese Gratwanderung zwischen Stabilität und Kollaps, Vertrautem und Unbehaglichem, Schönheit und Schrecken kommentiert die widerstreitenden Gefühle, denen die menschliche Psyche in einer von machtpoliti­schen Konflikten geprägten Gegenwart ausgesetzt ist.

Mona Hatoum, Home 1999, Foto: Joerg von Bruchhausen, Courtesy by Galerie Max Hetzler

Die Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein richtet den Blick auf Hatoums Beschäftigung mit physischer und psychischer struktureller Gewalt, die sich in häuslichen ebenso wie in globa­len Szenarien manifestiert. Vier Installationen erforschen einen Zustand existenzieller Verunsicherung, den Hatoum einmal als »menschliche Grundbedingung des Exils« bezeichnet hat. So setzt Hatoum in ›Home‹ (1999) Küchenutensilien unter Stark­strom—als bedrohlich surrende Gefahrenquellen unterlaufen sie die Assoziation vom »trauten Heim« als einem sicheren und intimen Ort. Gezielt setzt die Künstlerin kartografische Systeme ein, um die Fluktuation von Menschen durch Flucht, Vertreibung und Migration zu adressieren; ihr von leuchtend roten Linien umris­sener Globus ›Hot Spot‹ (2009) zeigt die Welt als einen einzigen Krisenherd. Indem Hatoum die staatliche Kontrolle von Grenzen und Mobilität in den Blick nimmt, spannt sie den Bogen bis zu aktuellen Debatten über digitale Überwachungstechnologien und neuere Formen von Biopolitik.

Für das Georg Kolbe Museum hat die Künstlerin eine Reihe von Arbeiten ausgewählt, die auf den Ort—das ehemalige Künstler­atelier der klassischen Moderne—reagieren und überdies einen Überblick über ihr Schaffen seit den 1980er­ Jahren ermöglichen. Ihre frühen Performance­videos zeigen sie in Interaktion mit ihrem Publikum, oft Passant*innen auf öffentlichen Plätzen. In einfachen zumeist ritualisierten Handlungen schlagen alltägliche Routinen in bedrohliche Ambivalenz um. Kleine Gesten werden durch den Verlust oder die Mehrdeutigkeit ihres Zusammenhangs zu auf­geladenen Zeichen, die das Fremdsein in einem kulturell kodierten Umraum thematisieren. Verschlüsselungen, Signaturen und Zeichen der An-­ oder Abwesenheit des Körpers verweisen auf Kommunikationssysteme, ob als gesprochene oder geschriebene Sprache oder in Alltagsgegenständen wie Möbeln, Schmuck oder Haushaltsgeräten.

Mona Hatoum, Mobile Home II 2006 Berlin

Das Kindl—Zentrum für zeitgenössische Kunst entwickelt mit Mona Hatoum eine raumgreifende, kinetische und ortsspezifische Installation, die auf die Geschichte und Gegebenheitendes industriellen, zwanzig mal zwanzig mal zwanzig Meter großen Kesselhauses reagiert. An den teilweise gekachelten Wänden finden sich Spuren der ehemaligen Brauereiproduktion, aber auch Kriegsschäden infolge von Bombardierungen, bedingt durch die Nähe zum ehemaligen Flughafen Tempelhof. Hatoums Installation aus horizontal gegliederten Metallgittern ähnelt in Struktur und Proportion einem Hochhaus. Die Skulptur kollabiert in regelmäßi­gen Abständen und entwickelt im Wechsel von Zusammenbruch und Aufrichtung Bezüge zu den Verwerfungen der Gegenwart, zu Zerstörung wie auch zu Widerstand und Neuanfang.

Mona Hatoum, 3-D Cities 2008-2010 Foto: Florian Kleinefenn

Die künstlerischen Themen von Migration, Exil bis hin zu staat­licher Kontrolle sind untrennbar mit Hatoums Biografie verwoben. Die Künstlerin wurde 1952 in Beirut als Kind palästinensischer Eltern geboren. Als sie 1975 für einen kurzen Aufenthalt nach London reiste, brach der Bürgerkrieg im Libanon aus, und die Rück­kehr in die Heimat wurde ihr verwehrt. Hatoum lebt und arbeitet in London und hat seit einem DAAD­-Stipendium 2003/04 einen zweiten Wohnsitz in Berlin.

Das Ausstellungsprojekt mit Begleitprogramm und Publikation versammelt Schlüsselwerke Hatoums der letzten Jahrzehnte sowie ortsspezifische Neuproduktionen. Anlässlich der Ausstellungen findet am 29 OKT 2022 ein international besetztes Sympo­sium samt Künstleringespräch statt. Ziel ist es, eine kunsthistori­sche Annährung an Hatoums Werk unter dem Begriff der Skulptur mit gesellschaftspolitischen Perspektiven zu verbinden und gemeinsam Antworten auf die Frage zu formulieren, wie sich die Skulptur im Spannungsfeld von Technisierung, neuen Körperbildern und Globalisierung entwickelt.

So much I want to say, 1983 Schwarzweiß-Video mit Ton © Mona Hatoum. Courtesy the artist

Zuerst erschienen im Museumsjournal 22 MÄR

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