Der Eismann ist seit fast einem Jahrzehnt eine unserer zentralen Figuren. Er platzt in den Abend mit zwei über die Schulter geworfenen Plastiksäcken und einer nassen Quittung zwischen den Fingern. Als wir 2013 das New Theater betrieben, kam der Eismann, der immer ein eher großzügiges Zeitfenster für die Lieferung brauchte, oft während der Aufführungen herein. Das Publikum drehte sich dann nach dieser schwerfälligen Gestalt im Türrahmen um. Also fingen wir an, ihn in die Aufführungen hineinzuschreiben. Unsere Schauspieler*innen wussten, was sie sagen sollten: »Wurde auch Zeit.«
»Drei Würfel in einem Glas sind eine Uhr. Ein Kalender. Eine Maßeinheit.«
Und es wird auch Zeit. Eis ist beladen mit der Sorge der Gegenwart. Blickt man in ein Cocktailglas, sieht man dort winzige Gletscher und hält ein Model unseres aus den Fugen geratenen Klimas in Händen, für das nur wir allein mit unserer Wärme verantwortlich sind. Drei Würfel in einem Glas sind eine Uhr. Ein Kalender. Eine Maßeinheit.
Unser aktueller Eislieferant in der TV Bar war einmal Künstler. Wir haben uns mit ihm über die absurde und dennoch skulpturale ›Transformation‹ von Eis unterhalten, denn ihm ist sehr wohl bewusst, dass er uns Leitungswasser für 18 Euro pro Tüte verkauft. Für die jüngste Episode von ›Paradise‹, einer Serie, die wir in der TV Bar filmen, haben wir uns entschlossen, in der Augusthitze einen Ausflug zu unserem Eislieferanten zu machen. Dort filmten wir Männer in Wintermänteln, die Eiswürfel schaufelten und Tüten füllten. Die Ökostromrechnung beläuft sich auf über viertausend Euro im Monat. Es gibt eine gestiegene Nachfrage nach makellosen schmalen Eisrechtecken für achtzig Cent das Stück. Im Sommer sind sie immer ausverkauft.
Während die TV Bar geöffnet ist, zeigen wir die Episoden von ›Paradise‹ nur auf kleinen Fernsehern in anderen Bars oder alternativen Räumen. Und weil die Episoden ohne Ton auskommen, liefern die Umgebungsgeräusche dieser Orte den Soundtrack.
HAMBURGER BAHNHOF—MUSEUM FÜR GEGENWART—BERLIN
Preis der Nationalgalerie 2021. Lamin Fofana. Calla Henkel & Max Pitegoff. Sandra Mujinga. Sung Tieu
16 SEP 2021—27 FEB 2022
Vorbesichtigung im Rahmen der Berlin Art Week am 15 SEP ab 20 Uhr mit vorab gebuchtem Zeitfensterticket.