Flädlesuppe, Curry und Tischtennis

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Rirkrit Tiravanija, ›Lung Neaw Visits His Neighbors‹, 2011. Courtesy des Künstlers

Den Performancekünstler Rirkrit Tiravanija verbindet mit Deutschland und insbesondere mit Berlin eine über 30-jährige Geschichte. Der Gropius Bau zeigt nun die erste Überblicksausstellung, die diese Beziehung genauer in den Blick nimmt

Dieser Artikel erschien zuerst in der Freitag.

 

Rirkrit Tiravanija ist vielleicht eines der interessantesten und sympathischsten Phänomene des an interessanten Phänomenen durchaus nicht armen Kunstbetriebs. Tiravanija wurde 1961 in Buenos Aires geboren, wuchs in Thailand auf und machte dann eine internationale Künstlerkarriere, die ihn früh auch nach Berlin führte, wo bis heute sein Archiv beheimatet ist. Hier, im Gropius Bau unter der neuen Direktorin Jenny Schlenzka, die die Ausstellung gemeinsam mit Yasmil Raymond und Christopher Wierling kuratiert hat, findet jetzt seine erste große Retrospektive statt, die über 80 Werke aus seiner seit mehr als 40 Jahren andauernden Karriere umfasst.

Das klingt ehrwürdig und geradezu hochtrabend, obwohl die Arbeit von Tiravanija eigentlich genau das Gegenteil ist. Sie ist zugewandt und vor allem zugänglich. Dabei zeigte sich Deutschland für ihn erst mal gar nicht so zugänglich. Zu seiner ersten Ausstellung in Deutschland, 1993 in der Galerie Max Hetzler in Köln, wurde ihm aufgrund seines unsicheren Aufenthaltsstatus in den USA das Visum verweigert. Er realisierte die Arbeit ›untitled 1993 (café deutschland)‹ trotzdem. Damals noch mit der Brückentechnologie Fax verschickte er die Aufbau-Anweisungen für eine Bar, an der man türkischen Kaffee brühen konnte. Ein kluger, ein warmer und dennoch schmerzhafter Kommentar zum erstarkenden Rassismus der deutschen Nachwendezeit, der in einem Brandanschlag auf zwei Wohnhäuser in Mölln, in denen türkische Familien lebten, kurz zuvor einen tragischen Höhepunkt gefunden hatte, der auch in den USA Schlagzeilen machte.

Aber kann das helfen: als Reaktion auf solche Grausamkeit gemeinsam Kaffee zu trinken? Wenn es nach Tiravanija geht, wohl schon. Jeder Mensch muss essen, und manchmal reicht das als kleinster gemeinsamer Nenner. Tiravanija stellte das, was man von einem Museum erwartete, radikal infrage. Er erklärte das gemeinsame Kochen und Essen, Musizieren oder Kaffeetrinken zur Kunst und holte all diese Aktivitäten in die ehrwürdigen Räume der Institutionen.

Aber kommt das Dinner nicht normalerweise erst nach der Kunst? Jetzt sollte also das Dinner selbst schon die Kunst sein? Das lockere Gespräch mit dem Sitznachbarn, die Tatsache, dass man jemandem, den man vorher nicht kannte, zuprostete? Alles Kunst? Alles Kunst, versicherten Tiravanija wie auch der Kurator Nicolas Bourriaud, der mit seiner Relationalen Ästhetik den theoretischen Überbau zu dieser damals noch neuen Idee lieferte. Affektive Kunst kann man das auch nennen. Kunst, die auf gemeinsame Erfahrungen setzt: Zusammenkommen, Feiern, Plaudern. Das, was man oft als Freizeitbeschäftigung begreift, wird in den Stand der intellektuell aufgeladenen Tätigkeit gehoben, wird zum politischen, gar zum rebellischen Akt.

Aber Tiravanija ist nicht nur »der mit dem Thai-Curry«. Auch wenn er folgendermaßen zitiert wird: »I am not interested in leaving (any)things behind; I am interested in leaving ideas behind«, hat er doch einige Objekte produziert und zurückgelassen, die man jetzt im Gropius Bau begutachten kann. Dabei ist er tief in die deutsche Psyche eingedrungen. Hat sich in Super-8-Filmen, Zeichnungen und weiteren Papierarbeiten mit der Geschichte der sogenannten Gastarbeiter in Deutschland befasst, hat Filme zu Rainer Werner Fassbinder gemacht, dessen Vorspann zu ›Angst essen Seele auf‹ von 1974 auch der Titel der Retrospektive entliehen ist. Auch Fassbinder beschäftigte sich mit der sozialen Unterdrückung und Ausgrenzung der sogenannten Gastarbeiter. Alles Themen, die heute so aktuell sind wie damals. Leider, muss man sagen.

Mehr als Kaffee und Kochen

Davon, wie umfangreich Tiravanijas Werk ist, und wie viele Facetten es neben dem Essen, Kochen und Plaudern birgt, davon kann man sich in der Ausstellung überzeugen. Doch Tiravanija ermöglicht es eben, dass der Kunstbesuch mehr ist als kontemplative Versenkung angesichts einer Skulptur oder eines Bildes. Im Gegenteil: Die bereits genannte Kaffeeküche wird aufgebaut, und man kann gemeinsam Mokka schlürfen, es gibt 15 Tischtennisplatten, auf denen gespielt werden kann, und mit Köchinnen aus dem Berliner Thai-Park werden seine »free food-actions« ›untitled 1991 (tom ka soup)‹ und ›untitled 1993 (flädlesuppe)‹ zubereitet. Außerdem gibt es im kostenfrei zugänglichen Lichthof des Gropius Baus eine Bühne, die immer wieder aktiviert wird, wie das im Kunstjargon heißt, wenn auf dieser Bühne also etwas passiert.

Das, was dort dann unterhaltsam und vielleicht auch wie etwas wirkt, das eigentlich nicht im Museum stattfindet, stellt eben auch die größeren Fragen danach, wer in so ein Museum hineingehen darf, wer sich den Eintrittspreis leisten kann, wer sich darin wohl fühlt und wer fehl am Platz. Denn so wird auch reglementiert, wer an dem Kunstwerk teilnimmt und wer nicht. Und genauso, wie Tiravanija das infrage stellt, stellt er auch die größere Frage danach, was in so einem Museum gesammelt und bewahrt wird, wer da hineinkommt in den Kanon. Dass er in den hineingehört und drin ist, das hat er wohl bewiesen mit dieser Retrospektive, bei der der Gropius Bau vom Duft nach Fischsoße und Zitronengras durchzogen sein wird, während im Lichthof die Tischtennisbälle geschmettert werden. Etwas, das der alte Bau auch noch nicht erlebt hat.

›Rirkrit Tiravanija: Das Glück ist nicht immer lustig‹ Gropius Bau, 12. September 2024 bis 12. Januar 2025

 

 

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