Kapital und Körper

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Anna Uddenberg, Fake Estate © Anna Uddenberg

Grotesk verwundene Körper, ergonomische Sitzmöbel, aalglatte Immobilienfassaden—in ihren Skulpturen und Performances beschäftigt sich Anna Uddenberg immer wieder mit den ganz realen körperlichen Zurichtungen des Kapitalismus und den dahinterliegenden Machtmechanismen. Im Schinkel Pavillon ist während der Berlin Art Week Uddenbergs erste institutionelle Einzelausstellung in Berlin zu sehen.

Sammler*innen und Galerist*innen haben sich nach einer Stockholmer Kunstmesse zum Dinner versammelt. Sie begrüßen einander mit Luftküssen und beherzten Schultergriffen, ein Austausch von Gesten der geschäftlichen Vertrautheit, und betrachten mit routiniert umherschweifendem Blick die im Raum verteilten Gemälde und Skulpturen. Hostessen in eleganter Abendgarderobe tragen pink schimmernde Schaumwein-Flaschen umher, befüllen leer getrunkene Gläser und lassen sich den Sekt von den Gästen direkt in den Mund schütten. Die Posen, die die drei Frauen dabei einnehmen—auf dem Boden hockend die Arme hinter dem Rücken verschränkt, den gehobenen Blick fest auf die Augen ihres Gegenübers gerichtet— trägt unverkennbar fetischistische Züge. Immer wieder versammeln sich die drei zur Darbietung einer Choreografie, die dank des tiefen Vorbeugens und der weit ausgestreckten Armen an Yoga-Übungen und Untergebenheits-Gebärden gleichermaßen erinnert. Im Hintergrund erklingt dazu ein Soundtrack aus jenen sanften Feedback-Klängen, mit denen Smartphone-Apps Funktionalität und Verlässlichkeit signalisieren.

»Der Fokus von Anna Uddenbergs Arbeit liegt auf konsumkulturellen Spielformen der Gender-Performativität sowie den diffusen Konzeptionen von Macht, die ihr Regelwerk bilden.«

Anna Uddenberg ist bekannt für ihre Skulpturen, doch ihre Karriere begann mit Performances wie dieser namens ›Body Mind (Stretch and Submission)‹, an der die schwedische Künstlerin 2011 mit Korsage und Bleistiftrock bekleidet selbst teilnahm. Von Anfang an liegt ihr Fokus auf konsumkulturellen Spielformen der Gender-Performativität sowie den diffusen Konzeptionen von Macht, die ihr Regelwerk bilden. Für ›Truly Yours‹ beauftragte sie 2011 junge Hostessen, sich bei einer Ausstellungseröffnung gemäß ihren Vorstellungen eines It-Girls zu verhalten. Das goldene Vlies aus meterlangen Haar-Extensions, vor dem die jungen Frauen dabei posierten, materialisierte sich später in den glatten Epoxidharz-Körpern, die sich bei der elften Berlin Biennale mit einer ans Hysterische grenzenden Flexibilität um Selfie-Sticks, sportive Kinderwägen und Rimowa-Koffer wunden. Bei der vom New Yorker Kollektiv DIS kuratierten Epochenschau der sich damals an ihrem Zenit befindenden Post Internet Art gehörten Uddenbergs Skulpturen zu den am häufigsten fotografierten Arbeiten.

Die Faszination, die von ihren figurativen Skulpturen ausgeht, rührt neben Uddenbergs Gespür für die Marker zeitgenössischer Trends auch aus der bildhauerischen Präzision, mit der sie schönheitsideale Körper in Haltungen zwischen Euphorie und Agonie einfängt. »Viele ihrer Arbeiten kreisen um eine lustvolle Unterwerfung unter das Kapital«, erklärt Samuel Staples, der Uddenbergs bevorstehende Ausstellung ›Fake Estate‹ im Schinkel Pavillon kuratiert. Eine zentrale Metapher in der Praxis der Künstlerin seien dabei die spielerischen Rituale rund um Macht und Unterwerfung aus der BDSM-Kultur. In ihrer Autofiktion ›Aliens and Anorexia‹ beschreibt Chris Kraus die entscheidende Rolle, die Fetische für den Ablauf des sadomasochistischen Akts spielen: »S/M ist eine Umkehrung der Objekt-Immanenz im Theater: Die Objekte sind nicht leer und warten darauf, von der Präsenz der Schauspieler und des Stücks ausgefüllt zu werden. Die Objekte sind Bedeutungskarten, sie enthalten alle Informationen.«

»Formationen aus Mikrofaser, Kunstfell, Leder, Holzimitat und Plastik-Cupholdern mit Marketing-Dada-Titeln wie ›Psychotropic Lounge‹ und ›Cuddle Clam‹ evozieren Gaming-Stühle, Massageliegen und Sportwagen-Interieurs.«

In Uddenbergs Sitzmöbel-Skulpturen, die unter anderem 2019 in ihrer Ausstellung ›Power Play‹ in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen waren, verschwimmt die von Kraus beschriebene performative Aufladung von Gebrauchsgegenständen mit den warengebundenen Verheißungen des Spätkapitalismus. Formationen aus Mikrofaser, Kunstfell, Leder, Holzimitat und Plastik-Cupholdern mit Marketing-Dada-Titeln wie ›Psychotropic Lounge‹ und ›Cuddle Clam‹ evozieren Gaming-Stühle, Massageliegen und Sportwagen-Interieurs—oftmals in Transitzonen anzufindende Sitzelemente, deren an Normkörper angepasste Ergonomik ihre Nutzer*innen sanft in die optimale Haltung befördert. Die Skulpturen laden einerseits dazu ein, Platz zu nehmen, scheinen einen jedoch, käme man dieser Einladung nach, in ähnlich überdehnten Posen wie Uddenbergs figurative Arbeiten zurückzulassen.

Während der Berlin Art Week zeigt die Künstlerin im Schinkel Pavillon eine neue Skulpturen-Serie, die an Hightech-Exoskelette erinnert, jedoch auch avantgardistischen Gyms oder Zahnarztpraxen entstammen könnte. Bei der Auswahl ihrer industriell gefertigten Materialien hat sich Uddenberg von den neu hochgezogenen Luxus-Apartment-Fassaden inspirieren lassen, die das oktagonale klassizistische Gebäude des Kunstvereins umgeben. Denn unweit der kontroversen Stadtschloss-Replik sind angrenzende Brachflächen und Baumkronen im Zuge der letzten Dekade einer Kulisse aus hochpreisigen Wohnkomplexen gewichen. Deren Jalousien, Glasfassaden und Panorama-Balkone finden nun Eingang in die Ausstellung. In Vorbereitung auf die Show hat sich Uddenberg, vor kurzem durch die angespannte Mietsituation aus ihrem Berliner Atelier verdrängt, mit der hyperrealen Ästhetik des Luxus-Immobilienmarkts auseinandergesetzt. Referenzpunkte waren dabei unter anderem all die Interieurs voller geglätteter Oberflächen, die uns in unseren Social Media-Feeds begegnen, und die an ewige Renderings erinnernden Villen, die von den Maklerinnen der Netflix-Reality-Show ›Selling Sunset‹ zum Kauf angeboten werden.

Und schließlich markiert Uddenbergs erste institutionelle Einzelausstellung in ihrer aktuellen Heimatstadt auch ihre Rückkehr zur Performance. Im Laufe der Schau erproben Bodybuilder*innen die Affordanz, also den Angebotscharakter der Skulpturen und vereinen so erstmals zwei maßgebliche Elemente ihrer Praxis. Uddenbergs Interesse an gemäß viralen Trends athletisch und kosmetisch modulierten Körpern hat sich vergangenen Jahren über Formen der Hyperfemininität hinaus erweitert. Entsprechend werden männliche, weibliche und nichtbinäre Performer*innen teilnehmen. In Interaktion mit ihnen werden die Zuschauenden ähnlich wie bei ›Body Mind (Stretch and Submission)‹ zu Parteien eines nonverbalen Vertrags. Im Dialog mit den Skulpturen finden die Performenden dabei die ultimative Ekstase in Uddenbergs Warenfetischismus: den Rollentausch zwischen Subjekt und Konsumobjekt.

SCHINKEL PAVILLION
Anna Uddenberg. Fake-Estate
15 SEP—30 DEZ 2022

Eröffnung 15 SEP, 18-22 Uhr

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