In Interviews und Questionnaires, in Bildstrecken, Porträts und Features haben wir seit Anfang August im Berlin Art Week Journal vor allem eins gemacht: Ihnen die Künstler*innen und Ausstellungen der diesjährigen Berlin Art Week vorgestellt. Dazu kamen Texte, die sich mit der ›Berliner Kulturpolitik‹ beschäftigt haben, oder eine Runde, für die wir eine Reihe von Protagonist*innen aus der Berliner Kunstlandschaft gefragt haben, wo die Stadt in Sachen zeitgenössischer Kunst steht. Und wie wir ab hier weitermachen sollen.
Jetzt geht es erst einmal endlich los. Ab heute präsentieren die mehr als 50 Projektpartner ihr Programm. Für die Berlin Art Week selbst ist dieses Jahr ein kleines Jubiläum: Sie findet in dieser Form zum zehnten Mal statt. An den Start gegangen ist die Berlin Art Week 2012 mit dem erklärten Ziel, die verschiedenen Akteure der Berliner Kunstwelt zusammenzubringen und die Kunstszene der Stadt in ihrer ganzen Bandbreite zu präsentieren: von den Galerien bis zu den Projekträumen, von den großen Museen bis zu den Kunstvereinen. Zehn Jahre später ist das immer noch das Kernanliegen. Und doch sind dieses Jahr so einige Dinge anders—oder fühlen sich zumindest anders an.
»So wichtig es ist, ein verstärktes Augenmerk darauf zu richten, die internationale Vernetzung aufrechtzuerhalten und zu fördern, so sehr müssen Kunst und Kultur auch noch einmal anders in der Stadt verankert werden.«
Natürlich machen sich allen voran die Folgen die Corona-Pandemie bemerkbar. Die strukturellen Effekte der diversen Lockdowns, Kontaktbeschränkungen und Auflagen für Veranstaltungen und Reisen scheinen sich dieses Jahr noch einmal deutlicher abzuzeichnen als im letzten Jahr, als alle zunächst einmal froh gewesen zu sein schienen, dass überhaupt etwas stattfand. Nun aber meint man, eine gewisse Rückbesinnung auf das Lokale zu verspüren.
So wichtig es ist, in einer solchen Situation ein verstärktes Augenmerk darauf zu richten, die internationale Vernetzung aufrechtzuerhalten und zu fördern, liegt in dieser Bewegung aber auch die große Chance, Kunst und Kultur noch einmal anders in der Stadt zu verankern. Die verhältnismäßige Überschaubarkeit und Konkretion des Lokalen können die Entstehung und Pflege einer anderen diskursiven Dichte begünstigen—und damit auch eines anderen Gefühls der Beteiligung und Verantwortung ermöglichen. Man muss diese Chance aber auch ergreifen und das, was aus ihr erwachsen kann, entsprechend unterstützen. Sowieso scheint es höchste Zeit zu sein, aktiv zu werden. Hat doch die Pandemie in dieser Hinsicht Probleme verdichtet, die im Grunde schon länger virulent sind.
»Kunst ist das Ergebnis eines Netzwerks aus Produzent*innen, Protagonist*innen und Institutionen verschiedenster Art—und muss als solches gefördert werden.«
Berlin hat sich spätestens ab Mitte der Nuller Jahre vor allem einen Namen als ›Hub‹ gemacht, als internationales Drehkreuz für Künstler*innen und andere Angehörige des Kunstbetriebs. Berlin war vor allem ein Produktionsstandort. Hier in dieser Stadt mit den billigen Mieten und den großen Räumen, so die Erzählung, wurde Kunst gemacht. Gezeigt wurde sie aber häufig anderswo, in den Museen dieser Welt und auf den Biennalen, verkauft nicht selten an internationale Sammler*innen rund um den Globus. Diese internationale Dimension muss unbedingt garantiert werden, sonst sinkt die Stadt ins Provinzielle zurück. Und das kann niemand wollen. Und gerade deshalb muss mehr getan werden, um die lokalen Bedingungen zu verbessern und dafür zu sorgen, dass die Rede von der Kunststadt Berlin nicht vollends zum hohlen Stadtmarketing-Claim verkommt. Kunst ist das Ergebnis eines Netzwerks aus Produzent*innen, Protagonist*innen und Institutionen verschiedenster Art—und muss als solches gefördert werden.
»Die gewaltige Vielfalt und Bandbreite von Kunst in Berlin ist keine Selbstverständlichkeit. Sie ist historisch aus einer bestimmten Situation gewachsen und kann genauso gut wieder verschwinden.«
Dazu ist es wichtig, die Immobilienfrage anzugehen; es ist wichtig, Kunst und Kultur in der Stadt und ihrer Gesellschaft zu verankern; und es ist wichtig, genau hinzusehen und zu unterscheiden, wer denn nun für was verantwortlich ist und an welchen Schrauben gedreht werden muss, statt sich vorschnell mit Verallgemeinerungen zufrieden zu geben. Gerade letzteres erfordert, das Verhältnis von Politik und Kultur aktiv zu definieren—und das heißt: als kritische Auseinandersetzung und im besten Falle produktive Selbstverständigung.
Das allgemein gesteigerte Bewusstsein um die Verletzlichkeit und Prekarität von Infrastrukturen mag zuvorderst ein Effekt der Corona-Pandemie sein. Es schärft aber auch den Blick dafür, dass die gewaltige Vielfalt und Bandbreite, in der Kunst hier in dieser Stadt existiert, produziert und gezeigt wird, keine Selbstverständlichkeit ist. Sie ist historisch aus einer bestimmten Situation gewachsen und kann genauso gut wieder verschwinden. Wenn Sie die nächsten Tage also durch die Projekträume, Galerien, Museen und Kunstvereine streifen, wenn Sie Ausstellungen betrachten, Performances verfolgen oder Screenings besuchen, dann denken Sie daran: Auch wenn es oft nicht so scheint—wir hier in der Stadt haben es in der Hand, wie es weitergeht.