Der ars viva Preis gehört zweifelsohne zu den etablierten und zentralen Preisen für Nachwuchskünstler*innen in Deutschland—und zu den ältesten. Schon seit 1953 vergibt der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e. V. diesen Preis an Künstler*innen im Alter unter 35 Jahren. Dieses Jahr findet die Ausstellung zum Preis im Brücke-Museum und damit seit längerem wieder einmal in einer Berliner Institution statt. Kommendes Frühjahr steht dann eine weitere Ausstellung im Kai Art Center in Tallinn, der Hauptstadt Estlands, an.
In Berlin werden die Arbeiten der drei Preisträger*innen aber zunächst im Dialog mit den Werken der Brücke-Künstler zu sehen sein. »Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Geniessenden rufen wir alle Jugend zusammen«, heißt es im 1906 von Ernst Ludwig Kirchner verfassten Programm dieser zentralen deutschen Künstlergruppe des beginnenden 20. Jahrhunderts. »Und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen, älteren Kräften.« Abstrahiert man einmal von der altertümlich wirkenden Rhetorik, so ließe sich dies auch für die heutige Situation junger Künstler*innen, wie sie der ars viva Preis fördert, unterschreiben.
Bei den Gemälden von Tamina Amadyar kann man sich gut vorstellen, wie sie mit den Werken der Brücke-Künstler zusammenwirken. Amadyar verwendet für ihre ungewohnlich leuchtenden Bilder Hasenleim als Bindemittel, einen Tierleim, der verhältnismäßig schnell trocknet und ihren Kompositionen die spezifisch strahlende Offenheit und Leichtigkeit verleihen. Oftmals wirken ihre Leinwände damit eher wie Aquarelle und weniger wie Ölgemälde—egal, ob auf ihnen nun abstrakte, für sich stehende Farbflächen übereinanderlappen oder Amadyar ihre Leinwände über Titel, die nicht selten auf Straßenszenen oder architektonische Elemente verweisen, konkret auflädt.
Auch Lewis Hammond arbeitet auf Leinwand. Doch anders als die leuchtenden und farbenfrohen Abstraktionen von Amadyar wirken seine Bilder eher düster und gedrängt. Die Palette ist erdig, dunkel und bräunlich, die Bildsujets kommunizieren Vereinsamung, Beschränkung, Schmerz, die Unmöglichkeit von Nähe. Immer wieder malt Hammond Metallgestänge und Dornen, melancholisch-verlassene Stillleben oder Menschen, wahlweise einsam, gekrümmt und gebogen, oder paarweise, sich umarmend. Doch auch diese Geste der Nähe und Gemeinsamkeit kommuniziert hier weniger Geborgenheit als vielmehr den vergeblichen Versuch Trost zu spenden, wo er schon lange nicht mehr möglich ist. Blicke treffen sich auf diesen eindrücklichen Seelenlandschaften nicht. Stattdessen gehen sie hinaus über die Schultern der anderen ins düstere Nirgendwo.
Bleibt die dritte im Bunde, Mooni Perry. Anders als Amadyar und Hammond hat Perry die Malerei hinter sich gelassen und gegen ein multimediales Arbeiten eingetauscht. In ihren Videos und Installationen setzt sich die Künstlerin aus stets feministisch informierter Perspektive mit Veganismus, Tierrechten oder ›Human-Animal-Studies‹ auseinander. Momentan arbeitet Perry gemeinsam mit der Kuratorin Hanwen Zhang an der Gründung der Plattform ASFAR (Asian Feminist Studio for Art and Research). Immer wieder tastet Perry in ihrer Arbeit, die sich als Montage fragmentarischer Einzelteile versteht, die Grenze zwischen Mensch und Tier ab und fragt danach, was es denn genau heißt, den Menschen zu ›dezentrieren‹, wie es immer wieder gerne gefordert wird. Mit derlei Themen richtet die Künstlerin ihren Blick entschieden Richtung Zukunft—ganz so, wie die Brücke-Künstler dies vor mehr als hundert Jahren ebenfalls getan haben.
BRÜCKE-MUSEUM
ars viva 2022
19 SEP—28 NOV 2021
Eröffnung 18 SEP, 12—20 Uhr