Schrumpfende Räume

von 
Rachel Rossin, ›The Maw Of‹, 2022 © Rachel Rossin

Die Künstlerin Rachel Rossin spricht über ihr neues Projekt ›The Maw Of‹, das während der Berlin Art Week im Tieranatomischen Theater zu sehen sein wird.

Die künstlerische Praxis der in New York lebenden Künstlerin und Programmiererin Rachel Rossin umfasst die ganze Bandbreite von traditionellen Medien bis hin zu allerneuesten, sich gerade erst formierenden Technologien. Sie arbeitet mit Malerei, Skulptur und Installation, verschiebt aber auch die Grenzen dessen, was virtuelle, erweiterte oder vermischte Realitäten vermögen. Bei ihrem bevorstehenden Projekt, das teilweise gemeinsam vom Whitney Museum of American Art in New York und den KW Institute for Contemporary Art in Berlin in Auftrag gegeben wurde, sollten die Besucher*innen nichts weniger erwarten als all das auf einmal.

Vom 15—18 SEP wird Rossin eine ausgedehnte Mixed-Reality-Installation mit dem Titel ›The Maw Of‹ im Berliner Tieranatomischen Theater installieren, die online von einer Augmented-Reality-Arbeit ergänzt wird, auf die man über die Webseiten der beauftragenden Institutionen zugreifen kann. Im Interview spricht sie über die Elemente des physischen Erlebnisses, die Taxonomie der Technologie, und darüber, was es bedeutet, die Arbeit an einem Ort zu zeigen, der einmal ein tieranatomisches Theater war.


Dem Ausstellungstext zufolge geht es bei ›The Maw Of‹ um »das Zusammentreffen von Körper, Maschine, Wahrnehmung und Code, das im Rahmen aktueller Forschungen zur Gehirn-Computer-Schnittstelle entsteht.« Das kling ein klein wenig undurchsichtig—können Sie in Ihren eigenen Worten etwas über Ihre Herangehensweise an dieses Projekt sagen und dazu, wie es dann ganz konkret umgesetzt wird?

Ich fange mal mit den konkreten Teilen an. Es handelt sich um eine transmediale, multimediale, physische und virtuelle Installation. Es gibt eine fünfkanalige Videoinstallation und Skulptur sowie eine Virtual-Reality-Installation, die darin eingebettet ist. Man soll den Raum betreten—und dann ist da eine ziemlich überwältigende Videoinstallation. Hinter einem sitzen in dem Amphitheater andere Besucher*innen mit VR-Headsets, die ihre Hände betrachten, denn das Programm verwendet einen sehr raffinierten Algorithmus für maschinelles Lernen, in den ein Hand-Tracking eingebaut ist. Der Auftrag war ursprünglich für einen virtuellen Raum, und ich ging so vor, dass ich die Black Boxes um die Anatomie herum erörterte—in welche Richtung entwickelt sich die Technologie hinsichtlich unserer Autonomie eigentlich, insbesondere im Hinblick auf körperliche Souveränität? Also: Wie bewegt sich Technologie in den Körper hinein? Und welche Sprache müssen wir dafür entwickeln? Zusätzlich zur virtuellen Arbeit wollte ich auch etwas Physisches machen. Das erschien mir sehr wichtig.


Sogenannte Black Boxes rund um Autonomie und Technologie—das ist ein Riesenfass. Könnten sie mir ein paar spezifische Schlüsselpunkte nennen, die Sie ansprechen wollen?

Seit drei Jahren beschäftige ich mich in meiner Arbeit mit dem Verhältnis von Körper und Technologie. Die ersten Gehversuche bestanden darin, einem Kanarienvogel beizubringen, Dubstep zu singen. Mir ging es dabei darum, dass Biologie einmal Technologie war. Über Technologie zu sprechen, hieß letztlich, eine ›Sentinel Species‹ (also eine Tierart, die den Menschen warnt) vorzulagern—man erweiterte den menschlichen Erfahrungsraum, indem man die Biologie anpasste. Ebenso reitet man beispielsweise ein Pferd, um sein eigenes Tempo zu erhöhen. Ganz buchstäblich bedeutete Technologie, eine weitere biologische Einheit hinzuzufügen, und die Sprache, die zu dieser Technologie gehörte, hat überlebt. Um die Sprache der Technologie herum existiert also eine Latenz, und das meine ich, wenn wir von Black Boxes sprechen: Denn wir haben es hier eigentlich nicht mehr mit einem Raum des Körpers zu tun, sondern längst mit einem Raum der Erkenntnis und des Verstandes. Wenn ich also von Autonomie spreche, dann meine ich dabei einen Rahmen, in dem wir Technologie als peripher zur Kognition betrachten, und die Black Boxes, denen ich mich in ›The Maw Of‹ widme, haben damit zu tun. Im Moment ist Technologie noch von unseren Körpern getrennt, aber allmählich können wir beobachten, wie der Raum zwischen Gehirn und der Maschinenschnittstelle, der Raum im Körper, schrumpft und komprimiert wird.


Wie werden diese Ideen in der Arbeit umgesetzt?

Die Arbeit ist stark symbolisch kodiert, aber es gibt auch zahlreiche Dinge, die das Erlebnis der Autonomie emotional reflektieren. Ich verwende das als Rahmen, um eine visuelle Sprache für das zu erschaffen, was ich vorausnehmen möchte. Mir ist auch an einem Kalibrierpunkt gelegen, ich will, dass wir dort sitzen und uns fragen: »Moment mal, wo sind wir? Ist das vollkommen einvernehmlich?« Es gibt eine ganze Taxonomie der Technologie, die in einem Teil der Arbeit steckt, und da geht es darum, wo wir eigentlich im Hinblick auf die Hirn-Maschine-Schnittstellen und die Peripherien der Kognition stehen. Die Kunst stellt häufig eine Sprache für Dinge zur Verfügung, die schwer in Worte zu fassen sind—ich möchte ein Gefühl der Souveränität auszudrücken, und zwar während wir Hightech-Konsumartikel betrachten und mit immens ausgeklügelten Algorithmen interagieren, die wir nach wie vor nicht vollkommen verstehen.


Können Sie auch etwas über die Bedeutung des Ortes, des Tieranatomischen Theaters, für die Arbeit sagen?

Worüber wir in der Arbeit sprechen, ist genau das, worum es in der Geschichte dieses Theaters geht. Vielleicht nicht so sehr das Tierische, aber die Tatsache, dass es ein anatomisches Theater ist … Wenn wir über die Geschichte der Technologie oder der ›Sentinel Species‹ nachdenken—denn das ist die Keimzelle dieser Arbeit—, dann ist es das, was Tiere und Biologie für die Menschen waren: Technologie. Aber wir erkennen das so selten an. Wir denken oft, Technologie beträfe nur die Entwicklungen ab der industriellen Revolution, aber wenn man die wirkliche Geschichte der Technologie betrachtet, wird alles sehr viel komplexer, auch in ethischer Hinsicht. Und wenn wir über die Taxonomie der Technologie und diese Komplexität sprechen, dann ist ein anatomisches Theater der perfekte Ort dafür. Es hat auch etwas Unheimliches oder Merkwürdiges, diese Sachen, die so neu, die gerade im Entstehen begriffen sind, an einem solch alten Ort zu zeigen. Es fühlt sich einfach richtig an. Man spürt, dass die Geschichte stark im Körper verwurzelt ist.

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