Zeichnung und Gedächtnis

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Marc Bauer. © Studio Marc Bauer
Marc Bauer. © Studio Marc Bauer

Für seine Ausstellung in der Berlinischen Galerie beschäftigt sich Marc Bauer mit dem digitalen Leben und nähert sich ihm über sein bevorzugtes Medium: die Zeichnung. Ein Gespräch mit dem diesjährigen Gewinner des Gasag Kunstpreises über die Vorzüge von E-Paper, unterschiedliche Bildkulturen—und darüber, was Zeichnung mit Erinnerung verbindet

BAW JOURNAL: Als Gewinner des Gasag Kunstpreises eröffnen Sie während der Berlin Art Week eine Einzelausstellung in der Berlinischen Galerie. Soweit ich informiert bin, geht es thematisch um die frühen Tage des Internets, richtig? Ein ziemlich großes Thema, oder?

Marc Bauer: Ja, stimmt. Das war mein allgemeiner Startpunkt: das Internet, das digitale Leben, seine Ursprünge in der Informatik nach dem Zweiten Weltkrieg, AI—das ganze, zugegebenermaßen ziemlich breite Spektrum eben. Ich wollte mich mit dieser Verschiebung auseinandersetzen, die sich beobachten lässt: vom utopischen und demokratischen Tool, als das das Internet noch in den 1990er Jahren galt, zu diesem dystopischen, düsteren, kaputten Ding, das es jetzt ist—Falschinformation, Verschwörungstheorien und all das.

 

Was kann man in Ihrer Ausstellung denn konkret erwarten?

Die Ausstellung heißt ›The Blow-Up Regime‹ und umfasst zwei Räume. Der erste setzt sich stärker mit der Geschichte des Internets auseinander. Dort wird zum Beispiel eine Arbeit zu sehen sein, die den Z1 von 1937 zeigt, einen Vorläufer des modernen Computers von Konrad Zuse. Im Deutschen Technikmuseum in Berlin ist übrigens eine Reproduktion ausgestellt. Andere Zeichnungen zeigen Standbilder aus Filmen wie ›2001: Odyssee im Weltraum‹ (1968), ›Metropolis‹ (1927) oder ›Terminator‹ (1984)—Filme also, die sich um die Idee einer »intelligenten Maschine« drehen, die an die Macht kommt. Im zweiten Raum gibt es dann vor allem Wandmalereien, für die ich online gefundenes Bildmaterial re-kombiniert habe—meist Landschaften aus Videospielen. Ich habe für die Ausstellung auch mit der Autorin Sibylle Berg zusammengearbeitet und ihre Texte in meine Zeichnungen eingearbeitet. Der Musiker Pyrit hat zudem einen Soundtrack für die Ausstellung komponiert. Oh, und ich werde E-Paper-Screens verwenden!

Marc Bauer, V2, A4, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 60 cm x 42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann
Marc Bauer, V2, A4, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 60 cm x 42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann

Marc Bauer, The Blow-Up Regime, The Fall, 2020, Zeichnung, Farbstift und Bleistift auf Papier, 42 cm x 30 cm. Courtesy of Marc Bauer und Galerie Peter Kilchmann Foto: Studio Marc Bauer
Marc Bauer, The Blow-Up Regime, The Fall, 2020, Zeichnung, Farbstift und Bleistift auf Papier, 42 cm x 30 cm. Courtesy of Marc Bauer und Galerie Peter Kilchmann Foto: Studio Marc Bauer
Marc Bauer, Born Free, Instagram, S.B., 2020, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 30 cm x 42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann
Marc Bauer, Born Free, Instagram, S.B., 2020, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 30 cm x 42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann

Marc Bauer, Brainfuck, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 30 cm x 42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann
Marc Bauer, Brainfuck, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 30 cm x 42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann

E-Paper—eine interessante Wahl, bedenkt man, dass Sie versuchen, sich dem Internet und der Digitalisierung über Ihr bevorzugtes Medium der Zeichnung zu nähern. Denn E-Paper-Technologien imitieren ja nicht zuletzt die Anmutung und das Gefühl analogen Schreibens, Zeichnens und Lesens.

Genau, stimmt. Ich arbeite manchmal auch mit Animationen, aber sobald man Zeichnungen animiert, kommt man automatisch beim Film heraus. Wahrscheinlich reicht schon die Verwendung bestimmter Geräte und Technologien—Projektionen, Flat Screens und so weiter—, damit Zeichnung wie Film wirkt. Ich habe dann begonnen, mit E-Paper-Technologien zu experimentieren, um eine spezifische Präsentationsform für Slideshows zu entwickeln. Im Grunde ist das eine ziemlich alte Technologie, irgendwie fast analog. Denn sie funktioniert elektromagnetisch. Dazu kommt, dass diese Technologie sehr energieeffizient ist. E-Paper verbrauchen fast keinen Strom.

 

Wenn wir schon bei Medientechnologien sind: Es gibt eine ziemliche Kluft zwischen der sogenannten digitalen Kultur und der Zeichnung. Ist diese offensichtliche Distanz zwischen Medium und Gegenstand beabsichtigt?

Für mich geht es da im Grunde um einen bestimmten Moment der Übersetzung. Es macht einen riesigen Unterschied, einem Bild, das man normalerweise auf einem Bildschirm zu sehen bekäme, plötzlich in Form einer Zeichnung zu begegnen. Darin liegt auch die Möglichkeit, das Tempo runterzuschalten und sich von Neuem mit diesen Bildern auseinanderzusetzen—und vielleicht ja auch mit der Internetkultur im Gesamten. Normalerweise scrollt man ja—wenn man Bilder auf Facebook, Instagram oder TikTok betrachtet—permanent weiter: und noch ein Bild und noch eins und noch eins. Man konsumiert das wie Süßes. Im Gegensatz dazu hat das Medium der Zeichnung eine gewisse Kostbarkeit. Die Leute wissen, dass eine bestimmte Zeit in die Produktion einer Zeichnung geflossen ist—und sind bereit, auch der Erfahrung dieser Bilder mehr Zeit zu geben. Aber noch etwas anderes ist hier für mich wichtig: Zeichnung ist ein eher ungenaues Medium. Jede Zeichnung hat notwendigerweise ihre kleinen Eigenheiten, und auch wenn man ein bereits existierendes Bild nachzeichnet, dann entspricht diese Zeichnung nie genau dem Original. Auch das funktioniert wie eine Art Filter zwischen dem ursprünglichen Bild und den Betrachter*innen. Daran bin ich vor allem interessiert, wenn ich bereits existierende Bilder nehme und sie noch einmal nachzeichne: an dieser Entortung und dem Wechsel von Kontext und Medium—denn das führt auf eine Art auch zu einer anderen Erfahrung.

»Zeichnung imitiert den Prozess der Erinnerung. Man beginnt mit einer einzelnen Linie, und irgendwann wächst daraus ein Bild.«

Durch das 20. Jahrhundert hindurch war es die Fotografie, die eine privilegierte Beziehung zur Geschichte unterhielt. Davor war es die Malerei. Aber nie war es die Zeichnung. Wie sehen Sie denn die Beziehung von Zeichnung und Geschichte?

Was ich an der Zeichnung mag, ist, dass sie ohne das schwere Gewicht der Kunstgeschichte auskommt. Zeichnung wurde immer als Medium der Skizze wahrgenommen, als Medium, um Ideen festzuhalten und Notizen zu machen. Es ist schlicht eine sehr viel vorläufigere Technik und wurde niemals als derart formvollendet begriffen wie die Malerei. Für mich bedeutet das eine gewisse Freiheit. Außerdem imitiert Zeichnung den Prozess der Erinnerung. Man beginnt mit einer einzelnen Linie, und irgendwann wächst daraus ein Bild. Das ist ein bisschen wie eine Erinnerung, die einen bei einem bestimmten Duft überkommt—und plötzlich entsteht im Kopf das komplette Bild eines Moments aus der Vergangenheit. Beim Zeichnen kann man sich in diesen Prozess des Erinnerns einmischen, kann das erinnerte Bild verändern, indem man etwas Neues hinzuerfindet oder einbringt. Die Zeichnung als Technik hat viel mit Prozesshaftigkeit zu tun—und das gilt zuvorderst für sie selbst. Wenn ich nach bereits existierendem Bildmaterial zeichne, dann ist die Zeichnung stets eine Rekonstruktion, ein erneutes Zusammensetzen. Das ist ein Prozess, der zugleich extrem präzise abläuft, da ich immer versuche, meiner Erinnerung an dieses oder jenes Bild so nahe wie möglich zu kommen, und extrem unpräzise, weil in der Rekonstruktion notwendigerweise viel verloren geht.

 

Ihren Ausstellungen geht normalerweise jede Menge Recherche voraus. Wie zeigt sich die Recherche in Ihren Kunstwerken? Schlägt sie sich direkt nieder?

Nein, nicht notwendigerweise. Ich sehe jede Arbeit, die ich mache, als Anlass, um etwas Neues zu begreifen und dazuzulernen. Doch an einem bestimmten Punkt im Arbeitsprozess geht es mir mehr ums erneute Vergessen dessen, was ich mir angeeignet habe, was ich mir erarbeitet habe. Ich versuche dann eine Art Narrativ zu entwickeln, in dem diese Recherchen eher wie Zitate behandelt werden. Ab einem bestimmten Moment geht es mir dann hauptsächlich darum, mich an meinen eigenen Erinnerungen zu bedienen und nach ihnen zu zeichnen—und buchstäblich eine Linie aus ihnen heraus zu ziehen.

 

Das Gespräch führte Dominikus Müller.
Marc Bauer, Brainfuck, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 30 cm x 42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann
Marc Bauer, Brainfuck, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 30 cm x 42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann

Marc Bauer, Brainfuck, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 30 cm x 42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann
Marc Bauer, Brainfuck, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 30 cm x 42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann
Marc Bauer, Konrad Zuse, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 60 cm x42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann
Marc Bauer, Konrad Zuse, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 60 cm x42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann

Marc Bauer, Brainfuck, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 30 cm x 42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann
Marc Bauer, Brainfuck, Zeichnung, Bleistift auf Papier, 30 cm x 42 cm, 2020. © Marc Bauer. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann

BERLINISCHE GALERIE
Marc Bauer. The Blow-Up Regime
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