Via Lewandowsky

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In Kooperation mit Berlin Art Link haben wir Via Lewandowsky in seinem Berliner Studio besucht. Mit uns sprach er über künstlerisches Multitasking, die Bedeutung von Kunst für Sammler und zeigte uns, woran er aktuell arbeitet.

In Kooperation mit Berlin Art Link

Die prägende Eigenschaft von Via Lewandowskys Praxis ist weder ein Material noch ein Thema, sondern eine Haltung—eine fast greifbare, rastlose Neugier. Deswegen ist es so schwierig, seine Arbeit zu definieren. Zu seinem Output gehören unter anderem Skulpturen, Klangarbeiten, Kunst im öffentlichen Raum und Performances. »Eine Faszination mit den Dingen des Alltags treibt mich in meiner Arbeit an«, erklärt er, und er zeigt mir diverse Objekte in seinem Atelier: eine verlängerte hölzerne Blöckflöte, ein 3-D-Druck, ein Band aus gerahmtem Haar, das wie wahnsinnig immer wieder »Fuck« wiederholt, ein Stück Glas… »Ich sehe etwas und denke: Das funktioniert nicht so, wie es sollte‘ und dann muss ich es reparieren.« Über dem Kopf des Künstlers hängt eine analoge Uhr, deren Zeiger sich nicht bewegen, but das Ziffernblatt dreht sich in einem schwindelerregenden Tempo.

Via Lewandowsky, Photo. Laura Schaeffer

In den späten 1980er Jahren studierte Lewandowsky Bühnenbild in Dresden, aber seine Abschlussarbeit war eine besonders instinktive Vier-Personen-Performance, die dann später zu einem locker definierten Kollektiv namens ›Autorenperforationsartisten‹ führte. Obgleich ihre Blut-und-Eingeweide-Ästhetik sich zu Vergleichen mit Hermann Nitsch anbietet, ist der Kontext der Gruppe—deren ursprüngliche Mitglieder neben Lewandowsky Micha Brendel, Else Gabriel und Rainer Göß waren—nicht im Geringsten esoterisch oder dogmatisch. Eher ermöglichte das noch nicht regulierte Gebiet der Performance, die streng definierten Vorgaben des kommunistischen Regimes der DDR zu umgehen. Betrachtet man dies aus der Perspektive von Lewandowskys aktueller Praxis, könnte man sagen, seine frühen Performancearbeiten zeichnen sich durch dieselbe Neugier aus, die jetzt seine Herangehensweise an Materialien ausmacht. Nur was damals das Material der Körper selbst.

Wenn das Gegenstück zur Selbstverletzung der Autoperforationsartisten mit Lewandowskys Idee des »Reparierens« gewöhnlicher Gegenstände verbunden werden kann, wird schnell deutlich, dass die vom Künstler vorgeschlagenen ›Reparaturen‹ eine Welt propagieren, die sich um eine leicht andere Achse dreht. Gegenstände und Körper bleiben erkennbar, aber sie sind aus dem Gleichgewicht, und die üblichen Beziehungen zwischen ihnen müssen neu konfiguriert, wenn nicht gar zerstört werden. Hinsichtlich streng regulierten und überwachten Körper des früheren kommunistischen Regimes geht, könnte man meinen, die irrationalen Spektakel und die Selbstverletzung in Lewandowskys Kollektiv hätten geholfen, das Individuum in einer unleugbaren, physischen Realität zu erden. Ihre Arbeiten führten eine Flucht auf, wenn auch keine machbare Alternative zum penetranten, paranoiden Dogma ihrer Zeit. Mit dem Fall des Kommunismus befreit von diesem Dogma, löste sich die Gruppe 1991 auf.

Via Lewandowsky, Photo: Laura Schaeffer

Heute sind Künstler*innen mehr oder weniger frei, sich so auszudrücken, wie sie das wünschen, und so blüht in Lewandowskys Atelier die Frage ›was, wenn…?‹ in eine Vielzahl von Möglichkeiten auf. Während ich mich im Raum umschaue, sehe ich Belege für die überaus produktive Arbeit des Künstlers. Zahlreiche 3-D-Drucke von cartoonartigen Kritzeleien schmücken eine Wand (»ich weiß noch nicht, ob sie schon eine ›Arbeit‹ bilden«, sagt er), auf einer anderen hängen große schwarz-weiße Siebdrucke, Stapel von quadratischen Malereien schwanken auf einem Tisch (»die entstehen ständig sozusagen im Hintergrund«), Kringel aus Neon finden sich auf dem Boden und an den Wänden. Ich höre den Gebetsruf einem Imams, nachdem der Künstler eine kleine, ominös tickende Kuckucksuhr anstellt (»diese Arbeit ist mit der Zeit kontroverser geworden«). Im Verlauf unseres Gesprächs bekomme ich den Eindruck, dass diese sichtbar überschäumende kreative Freiheit auch ihren gewissen Preis hat.

 

Das schiere Potential der materiellen Kultur lastet auf den Projekten, die Lewandowsky umsetzt. Tatsächlich lastet es auch auf dem Künstler selbst. »Das Leben ist zu kurz, um nur bei einer Sache zu bleiben«, wiederholt er mehrere Male während des Atelierbesuchs. Der Druck der Kürze führt zu einem Gefühl der Dringlichkeit in seinen Arbeiten. Am direktesten kommt das in seiner rasenden Uhr zum Ausdruck, aber es gilt für sein Werk insgesamt. Gemeinsam betrachtet, wird seine vielfältige Praxis zu einem Vorschlag. Sie verweist auf Wege, die nicht genommen wurde, auf all die Anordnungen, die noch nicht verwirklicht worden sind. In dieser Hinsicht liest sich das fluchende Band aus Haar wie die panikartige Erkenntnis, dass man in Zeitnot gerät. Während das Ende der Geschichte nicht, wie Fukuyama einmal dachte, 1991 stattfand, endete vielleicht etwas anderes.

 

Auf dem Boden neben einem Fenster, dessen Fensterbrett von kleinen 3-D-Drucken bedeckt ist, steht ein langer, mit Verpackungswürmchen aus Styropor gefüllter Holzkasten, in dem weich gebettet das Wort ›bedeutungslos‹ liegt, in Neon hingekritzelt. Die Arbeit begann mit dem Erwerb der Holzkiste, die oft, noch mehr als die Galerie oder das Museum, das letzte Zuhause für ein Kunstwerk ist. Die meisten Kunstsammlungen verbleiben im Depot, und viele Sammler*innen sammeln Kunst vor allem als Statussymbol oder Investment. »Was bedeutet diese Arbeite eine*r solchen Sammler*in?«, fragt Lewandowsky, »und was ist in diesem Fall überhaupt die Bedeutung des Kunstwerks?«

Via Lewandowsky, Photo: Laura Schaeffer

Als alleinstehende Frage wiederholt die Arbeit einfach eine weitverbreitete Klage über die Kunstbranche, aber im Lichte der Praxis des Künstlers insgesamt betrachtet, ist ›Version of concern (meaningless)‹ (2021) eine Arbeit, die unter dem Gewicht des Potentials ringt. Wenn alles möglich ist, welchen Weg sollte man dann auswählen, und ist Auswahl dann jemals etwas anderes als beliebig? Die Kehrseite der kreativen Freiheit, oder vielleicht der kreativen Freiheit in einer (relativ) freien Marktwirtschaft, ist ein hartnäckiges Gefühl des Zweifels. Es ist daher keine Überraschung, dass der Künstler in den späten 1990er und Nuller Jahren ziemlich viel Zeit damit verbracht hat, mechanisierte Selbstmordmaschinen zu bauen. Einer dieser Apparate enthält einen Motorradhelm, der bedrohlich an einer dreibeinigen Metallvorrichtung hängt. Die Person soll den Helm aufsetzen und festschnallen und sich drehen, bis ihr Hals reißt. Ein weiteres Gerät besteht aus einem Glaswürfel, in den man seinen Kopf steckt. Man kann dann an einer Schnur ziehen, die eine Wasserpumpe aktiviert, wodurch der Würfel mit Flüssigkeit gefüllt wird und das willige Opfer ertrinkt. Diese Vorschläge sind allerdings keine tatsächlichen Todesmaschinen, sondern Skulpturen. Sie sind nicht so sehr Zeichen einer existenziellen Krise als vielmehr einer Krise der Kunst. Sie könnten im Lichte einer Tradition gesehen werden, die nicht unbedingt ausstirbt, aber sich mit ihre eigenen Instrumenten erstickt.

Zweifel wird in Lewandowskys Wert auch durch einen direkt Verweis auf Religion artikuliert, die vielleicht nie gänzlich von der Kunst entflochten war. In der Arbeit ›Good God‹ (2019), einer Kunstinstallation im öffentlichen Raum zwischen den beiden Türmen des Bamburger Doms, ist das Wort ›Good‹ in Leuchtschrift ausgeschrieben, aber das zweite ›o‹ flimmert, als wäre es am Ende seiner Lebensspanne. In einer jüngeren Arbeit aus dem Jahr 2022 werden die Worte »wie bitte«, aus Metall ausgeschnitten, hinter den Altar der St.-Matthäus-Kirche in Berlin installiert. Kombiniert mit einer Klanginstallation aus 80 Lautsprechern mit Umgebungsgeräuschen aus Kirchenliedern und Gebeten stellt der Satz die Frage des Publikums in den Vordergrund. Zu wem sprechen wir, und werden wir überhaupt gehört?

Die Aufgabe der Kunst, so heißt es oft, ist es, Fragen zu stellen, obwohl diese Fragen oft Fragestellungen wie ein Markenzeichen sind, die den Künstler*innen als Visitenkarten dienen. Selbst wenn die Antwort auf die gestellten Fragen unbekannt bleibt, sollte die Autoritätsposition des/der Künstler*in gesichert bleiben. In Lewandowskys Fall, so meine Schlussfolgerung nach meinem Besuch, dienen die Fragen dazu, mehr als nur die Alltagswelt zu destabilisieren, die er »reparieren« will. Sein vielfältiges Werk erkundet und hinterfragt die Fähigkeit der Kunst, Bedeutung und Sinn zu erschaffen, wie auch stillschweigende Annahmen über Autor*innenschaft (die natürlich mit Autorität zusammenhängen). Der Fetisch einer Signatur wird zugunsten von rekombinanten Flows verworfen; der Künstler wird weniger zum Autor und mehr zu einem Ort. Er ist der Knotenpunkt, um den herum die Welt neu geordnet wird.

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