Anan Fries

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In Kooperation mit Berlin Art Link haben wir Anan Fries zu Hause und im Studio besucht. Mit uns sprach Anan über die Überschneidungen von realen und virtuellen Welten, demokratische Reproduktion und wie das Manifest ›Glitch Feminism‹ Anan inspiriert hat.

In Kooperation mit Berlin Art Link

Beim Erklimmen der Treppen zu Anan Fries’ Kreuzberger Wohnung, in der sich auch das Atelier befindet, beklage ich die Tatsache, dass diese Besuche immer auf die wenigen unerträglich heißen Tage zu fallen scheinen, die dieser Sommer geboten hat. Aber innen ist der Raum kühl und Fries gibt mir ein Glas Wasser. Die Wohnung hat einen offenen Grundriss, hell und modern. Man hat den Eindruck, dass sie noch nicht lang bewohnt wurde, der bestätigt wird, als Fries sagt, they wäre erst kürzlich eingezogen. Ein Togo Sofa nimmt einen Großteil des Wohnzimmer sein, und die Pflanzen in den großen Fenstern sind so üppig und imposant, dass man denken könnte, sie würden jeden Moment durch das Glas hindurchbrechen. Das Atelier, das vom Flur abgeht, ist ein relativ kleiner Raum. Einiges an Handwerks- und Kunsthandwerksbedarf auf dem Regal ist das Einzige, was darauf hindeutet, dass hier Kunst entsteht. Das liegt auch an den Medien, mit denen Fries arbeitet, dazu gehören VR und Performance, Letzteres wird oft außerhalb des Ateliers einstudiert. Zwei Bildschirme beherrschen den Schreibtisch, und ein erhelltes Computergehäuse leuchtet von unten lila und schaut wie ein lebendiges Wesen hervor.

Fries baut spekulative posthumane Welten, in denen nichtweibliche Körper mit Schwangerschaften ›gehacked‹, ausgestorbene Spezies wieder zurückgebracht und Babys außerhalb von menschlichen Uteri gezüchtet werden. Dies sind alles bevorstehende Wirklichkeiten, die Fries faszinieren und their Arbeit prägen, die sich an der Schnittstelle von Natur und Technologie befindet und Grenzen durch Spekulation transzendiert. Indem Fries die Idee dessen, was natürlich ist, hinterfragt, verweist die Künstler*in auf die Tatsache, dass Natur und Technologie seit Jahrtausenden ineinandergreifen: »Seit wir angefangen haben, Werkzeuge zu benutzen, beeinflussen wir die Natur. Ich denke, wir können Natur und Technologie nicht voneinander trennen, und wir sind alle Teil dieser Techno-Natur-Sphäre, wie Rosi Braidotti das nennt.« Indem Fries‘ Arbeit VR mit Performance kombiniert, vermischt sie auch virtuelle und physische Räume und vereinigt digitale und performende Künste. »Mich interessiert das Phygitale, von dem ich denke, dass dies bald unsere ultimative Wirklichkeit sein wird. Alles, was wir tun, wird virtuell ergänzt werden. In meiner Arbeit verwende ich das in dem Kontext, Welten zu erschaffen, die den digitalen Raum und den physischen Raum zusammenbringen.« Das Performanceelement ist natürlich heute im Atelier abwesend. Aber im Raum verteilte blühende magentafarbene nabelschnurähnliche Silikonskulpturen—Prototypen, die Fries für die bevorstehende Performance während ›Unleashed Utopias‹ entwickelt—fungieren als Erinnerungen, die uns mit der physischen Welt verbinden.

 

Anan Fries, Foto: Ryan Molnar

Für Fries sind Nabelschnüre—oder Verbindungsschnüre—»Datenübermittler«, die technologische Spekulation über eine Zukunft eröffnen, in der unterschiedliche Spezies kommunizieren und Information austauschen können. In ›Posthuman Wombs‹ verbinden diese Schnüre unterschiedliche Wesen wie beispielsweise ein Schaf und einen Menschen miteinander. Das Kind der hybriden Performance ›Virtual Wombs‹, dem zwanzigminütigen VR-Essay, den Fries zusammen mit Malu Peeters geschaffen hat, wird von geschlechtslosen schwangeren Wesen bevölkert, genannt Posthumans, und imaginiert eine Welt, in der alle Körper schwanger werden können und es keine biologische Geschlechtertrennung gibt. Körper zu schwängern, die nicht als weiblich gelesen werden, ist ein Weg für Fries, über eine Zukunft nachzudenken, in der Fortpflanzung demokratisiert und nicht mehr gegendert ist, was letztendlich existierende Machtstrukturen verschiebt. »Die Arbeit verwendet Schwangerschaft als ein Portal, um über Genderevolution nachzudenken«, erklärt Fries. Fries Verwendung von virtuellen Uteri, um Gender zu dekonstruieren, bezieht sich auf their eigene Erfahrung von Schwangerschaft als nicht-binäre Person »und dem Unbehagen, das damit einhergeht«, insbesondere, wenn man bedenkt, wie wenig das deutsche Gesundheitssystem darauf ausgerichtet ist, nicht-binären Realitäten gerecht zu werden. Fries‘ Beschreibung von Schwangerschaft als eine »entfremdende Erfahrung, wo du wirklich die Kontrolle über deinen Körper verlierst«, erklärt, warum they dies damit vergleicht, gehacked zu werden. Aber eigentlich geht es in diesem Projekt »um die posthumane Perspektive, und deshalb war es mir wichtig, schwangere Menschen zu interviewen, die in meinen Augen posthuman sind«.

In enger Kooperation mit den Performer*innen von ›Virtual Wombs‹ studierte Fries die Bewegungen von Avataren, die sie mit Performer*innen zurück in den physischen Raum brachte, die die leicht gestörten Gesten ihrer digitalen Gegenstücke nachahmten. »Wir haben uns für die Reibung der Unvollkommenheit in der digitalen Bewegung interessiert, und dafür, wie digitale Körper physische Bewegung nachahmen. Diese Bewegungen, wenn sie noch nicht fließend und rund sind, waren für uns wirklich interessant, denn sie sind Marker dieses digitalen Felds.« Für Fries sind solche Störungen oder defekte, ›glichtes‹, eine Art, die physischen und virtuellen Bereiche miteinander zu verbinden, um so absichtlich zwischen beiden eine Reibung zu erzeugen. Fries verweist auf die Verbindung zu Legacy Russels ›Glitch Feminism‹, ein für Fries wichtiges Manifest, das die Beziehung zwischen Gender, Technologie und Identität auslotet.

Von diesem Text lernte Fries, wie man über virtuelle Räume nachdenkt und wie man innerhalb dieser Räume untergrabene Identität performen kann. Bei ›Resurrect in Peace‹—eine phygitale Trauerfeier für eine ausgestorbene Taubenrasse— war ein Großteil der Bewegungsrecherche und der performativen Elemente von Technologie inspiriert. Mithilfe von Vive Trackers, die die Performer*innen in der Hand hielten, veränderten die Tracker je nach den Bewegungen die auf den Bildschirm projizierte digitale Umgebung. »Dies hatte schließlich einen großen Einfluss darauf, wie die Performer*innen sich im Raum bewegten.« Auf diese Art inspiriert die Technologie die physische Bewegung in Fries‘ Performances, beeinflusst die Choreographie und wird fast selbst zur Choreografin.

 

Anan Fries, Foto: Ryan Molnar

Bei ›Unleashed Utopias‹ wird Fries auch die Ectobag vorstellen, ein Produkt der erweiterten Realität für das Züchten von menschlichen Babys in Beuteln. Diese Fiktion, oder Spekulation, zerstört die »Utopie«, die Fries zuvor in ›Posthuman Wombs‹ geschaffen hat, wo jede*r schwanger werden kann, indem Fries folgenden Vorschlag macht: »Wäre es nicht eigentlich besser, wenn wir nicht physisch schwanger sein müssten und unsere Babys in Beuteln erzeugen könnten, in schicken schönen Beuteln?« Fries erzählt mir über die Wahrscheinlichkeit, dass dies tatsächlich Wirklichkeit werden könnte, und über die ausgedehnte Forschung, die aktuell zur Ektogenese stattfindet—die Entwicklung des Embryos in einer künstlichen Umgebung außerhalb des menschlichen Körpers. Es wird schon ziemlich bald technisch möglich sein, Babys auf unterschiedliche Arten zu erzeugen, was ich faszinierend finde, weil dies eine von vielen Entwicklungen ist, wo die Technologie uns so viele Optionen geben kann. Im Kontext von their Arbeit ist sich Fries gleichermaßen der Gefahren dieser technologischen Fortschritte bewusst, wie sie auch von ihnen fasziniert ist. »Ich habe diese Utopie eröffnet, die so rosa und schön und zärtlich aussieht, aber natürlich ist da auch dieses düstere Wissen, dass was immer für eine Technologie wir in die Finger kriegen, wir sie auch dazu einsetzen können, zu zerstören oder schreckliche Dinge zu entwickeln.« Wir sind uns einig, dass es schwierig ist, vorauszusagen, wohin diese technologischen Fortschritte letztendlich führen werden. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Fries nicht gern den Begriff Utopie für their Arbeit verwendet: »Ich würde lieber sagen, es ist Spekulation.« Fries glaubt, es gibt innerhalb des Virtuellen einen kreativen Raum, der dazu genutzt werden kann, über posthumane Möglichkeiten zu spekulieren.

An den Tagen, an denen Fries nicht hier im Atelier ist, probt they oft eine Performance in einem gemieteten Raum oder absolviert eine Residency bei Soft Power oder their langjährigem Kooperationspartner HAU Hebbel am Ufer. An den Tagen, an denen Fries dort ist, findet Vor- oder Nachproduktion statt, es werden Pläne gemacht, was man als nächstes tun sollte, Skripts werden geschrieben oder Finanzierungsanträge oder Moodboards oder Skizzen angefertigt. Oder Fries recherchiert auf Grundlage der philosophischen Ideen von Rosi Braidotti, Donna Haraway oder Legacy Russel. Alles beginnt immer mit ausgedehnter Recherche, wie Fries mir sagt. Weil Fries‘ künstlerische Praxis darin wurzelt, »Menschen als Posthumans zu sehen«, sind Theorien des Posthumanismus immer für Fries‘ Spekulationen prägend. Neben VR-Headsets stapeln sich im Regal Bücher wie ›Posthuman Glossary‹ und ›Posthumanismus‹ von Braidotti und ›Staying with the Trouble‹ von Haraway, beide nennt Fries als wichtige Einflüsse. Obwohl alles, was Fries tut, zutiefst kooperativ ist und they regelmäßig mit Ambrus Ivanyos zusammenarbeitet, einem Programmierer, der die VR kodiert, ist Fries für alle Meta-Recherche verantwortlich: »Ich versuche immer, die Grundlagen zu lernen und ein Verständnis davon zu haben, wie die Spiel-Engines funktionieren, was wirklich wichtig ist.« Fries plant, their jüngste Arbeit ›Resurrect In Peace‹ in ein VR-Erlebnis zu verwandeln, das für sich steht, wie they das schon mit ›Virtual World‹ getan hat, und führt emotionale Recherchen zum Thema artenübergreifende Trauer durch. Im Moment macht Fries zum ersten Mal Skulpturen und experimentiert dabei mit Silikon und spielt mit Pflanzen: »Ein Prozess, der Spaß macht und demütig macht. «

Unleashed Utopias‹ findet im Haus am Lützowplatz (HaL) statt und zeigt die Arbeiten der fünf Nominierten für den diesjährigen VR Kunstpreis. Begleitet wird die Ausstellung vom Digital Art Lab, ein Treffpunkt für digitale Kunst während der Berlin Art Week, mit einem fünftägigen Programm aus Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Workshops und Performances. Fries‘ Performance findet am 13 SEPT statt, gleichzeitig mit der Eröffnung des Digital Art Lab.

 

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