Abkürzung zur Akzeptanz

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Kevin Abosch, Calculator, Synthetic photograph (archival pigment print) matte plexi, aluminum, 200 cm x 150 cm, 2023, with Courtesy of Galerie Nagel Draxler

Der Umgang mit den Entwicklungen auf dem Feld Künstlicher Intelligenz treibt auch den Kunstbetrieb um. Während der Berlin Art Week werden sich gleich mehrere Veranstaltungen mit dem Thema beschäftigen. Unsere Autorin Anika Meier wirft aus diesem Anlass einen kurzen Blick zurück auf die Geschichte technologischer Neuerungen im Kunstbetrieb, die immer wieder vor allem durch eines gekennzeichnet war: Ablehnung.

Die Geschichte der Kunst ist auch eine Geschichte der Ablehnung. Diesen Satz habe ich schon einmal irgendwo geschrieben. Eigentlich müsste man ja davon ausgehen, dass es eine Lernkurve gibt, sobald man merkt, dass sich in der Geschichte der Kunst etwas immer und immer wiederholt. Aber die gibt es nicht. Warum eigentlich nicht? Ich weiß auch nicht, warum nicht verstanden wird, dass sich am Ende doch durchsetzt, was fieberhaft und krampfhaft, angestrengt und lauthals abgelehnt wird. Das war mit der Fotografie so, mit Video, dem Internet, Instagram—jetzt sind es NFTs und neuerdings Künstliche Intelligenz, die abgelehnt werden. Und die sich am Ende doch durchsetzen werden. Herbert W. Franke (1927–2022), Deutschlands bekanntester Science-Fiction-Autor, Vordenker des Metaverse und Computerkünstler, hatte übrigens seit Ende der 1950er-Jahre Bücher und Texte geschrieben, die sich lesen, als wären sie erst gestern entstanden. Er hat sich über Jahrzehnte die Finger wund geschrieben, um zu beweisen und zu erklären, dass Kunst mit Hilfe von Technologie geschaffen werden kann. Und dass diese Kunst als Kunst ernst genommen werden muss.

Und nein, diese Ablehnung von Neuem hat nicht erst mit dem Einsatz von Technologie oder der Digitalisierung begonnen. Vera Molnár, die Grande Dame der Generativen Kunst, erinnerte sich einmal daran, dass moderne Kunst an der Kunstakademie in Budapest in den 1940er-Jahren nicht besprochen wurde. Und wenn dann doch einmal von Picasso die Rede war, wurde er beschuldigt, den Geschmack der Jugend zu pervertieren und Frauen zu entehren. An die Salons des Refusés, die ›Salons der Abgelehnten‹ in den 1860er-Jahren in Paris muss wohl nicht erinnert werden. Damals wurde unter anderem Manet mit seinem Gemälde ›Frühstück im Grünen‹ verlacht. Kritische Aufmerksamkeit allerdings legitimiert natürlich auch den Status der Avantgarde.

 

»Es könnte also eigentlich direkt die Abkürzung zur Akzeptanz genommen werden. Doch das passiert nicht.«

Anne Spalter, Künstlerin und Sammlerin, die seit den 1990er-Jahren gemeinsam mit Michael Spalter eine der größten Privatsammlungen für frühe Computerkunst aufbaut, twitterte vor Kurzem: »KI könnte der wichtigste technische Fortschritt in der Kunst sein, seit Farbe in Tuben abgefüllt wird.« Es könnte also eigentlich direkt die Abkürzung zur Akzeptanz genommen werden. Doch das passiert nicht. Stattdessen wird schon wieder langatmig diskutiert, ob das nun Kunst sei, was Künstler*innen in Zusammenarbeit mit Künstlicher Intelligenz erschaffen. Dabei ist die Antwort denkbar einfach: Es kommt darauf an. Nicht jede*r, die*der ein Foto macht, ist Künstler*in und das Ergebnis Kunst. Nicht jede*r, die*der Künstliche Intelligenz nutzt, ist Künstler*in und das Ergebnis Kunst. Beeple, der Künstler also, der vor etwas über einem Jahr ein JPEG für etwas über 69 Millionen US-Dollar beim traditionsreichen Auktionshaus Christie’s verkauft hat, sagte kürzlich im Interview mit Bloomberg, dass auch diejenigen, die KI nutzen, sich etwas Neues und Innovatives einfallen lassen müssten, um etwas von dauerhaftem Wert zu erschaffen. Das klingt nach einer Weisheit aus ›AI für Dummies‹.

 

»Die Digitalisierung scheint, zumindest in Deutschland, im Kunstbetrieb nur unter Zwang angenommen zu werden.«

 

 

Es gibt natürlich auch unter den Künstler*innen, die selbst KI nutzen, kritische Stimmen. In den aktuellen Debatten ganz vorne mit dabei ist der deutsche Künstler Mario Klingemann, der seit einigen Jahren international im Bereich Kunst und Künstliche Intelligenz mitführend ist. Klingemann also beschert uns nun einen Kunstkritiker, den er plant, auf Welttournee durch Galerien und Museen zu schicken. Es handelt sich um einen Hund, eine performative Skulptur namens ›A.I.C.C.A.‹, kurz für ›Artificially Intelligent Critical Canine‹. Der Hund wurde mit Daten, Bildern und Texten aus der Geschichte der Kunst trainiert und scheißt basierend auf seinem Wissen Kritiken von Kunstwerken aus. Klingemann sagt dazu: »Mit Sicherheit ist ›A.I.C.C.A.‹ ein Kommentar darauf, dass wir dank Social-Media-Engagement-Algorithmen und in Komplizenschaft mit KI-automatisierter Kreativität zunehmend mit Content so zugeschissen werden, dass wir eigentlich gar nicht mehr in der Lage sind, das noch alles selbst zu verarbeiten. Daher ist es nur logisch, das kritische Betrachten bzw. Konsumieren auch einer Maschine zu überlassen. Gleichzeitig ist mein Hundekritiker aber auch eine rekursive Kritik an der immer weiter um sich greifenden ›Spektakulisierung‹ der Kunstwelt, in dem er sich selbst zum Spektakel macht, um in unserer Aufmerksamkeitsökonomie überhaupt wahrgenommen zu werden.«

 

»Was es gibt, sind Generationen, die mit dem Internet aufgewachsen sind und dort vielleicht sogar mehr Zeit verbringen als offline. Wo werden die abgeholt? Sicherlich nicht an der Museumskasse.«

Mario Klingemann, A.I.C.C.A., Performances on Wednesday 7 June 2023 at Espacio SOLO, Madrid, Spain.

Die Digitalisierung scheint, zumindest in Deutschland, im Kunstbetrieb nur unter Zwang angenommen zu werden. Was ist denn von den Online-Formaten aus der Pandemie-Zeit in den Institutionen übriggeblieben? Ich wünschte, wir würden jetzt alle in einem Raum sitzen und versuchen, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Wir würden uns alle schweigend ansehen. Jetzt kann man natürlich sagen, dass es keine Online-Ausstellungen braucht, wenn man doch in Museen und Galerien gehen kann. Dass es keine Livestreams braucht, keine Online-Führungen und Vermittlungsformate in den sozialen Medien, wenn man sich doch vor Ort treffen und austauschen kann. Was es aber gibt, sind Generationen, die mit dem Internet aufgewachsen sind und dort vielleicht sogar mehr Zeit verbringen als offline. Wo werden die abgeholt? Sicherlich nicht an der Museumskasse.

Auch Instagram wurde jahrelang abgelehnt, bis es nicht mehr ging, weil es für Künstler*innen heutzutage selbstverständlich ist, eine Plattform, die mehrere Millionen Menschen täglich nutzen, als Kommunikationskanal zu nutzen. NFTs nun werden abgelehnt, bis verstanden wird, dass es sich im Grunde lediglich um einen digitalen Vertrag—oder besser: eine Besitzurkunde—handelt, die transparent auf der Blockchain eingesehen werden kann. KI schließlich wird abgelehnt, bis verstanden wird, wie hilfreich ChatGPT als Assistent im Alltag sein kann, etwa beim Schreiben von E-Mails oder Konzepten. Was meinen Sie denn, wie viele Kurator*innen ihre Ausstellungstitel und -texte bereits von ChatGPT vorschreiben lassen? Wir werden dadurch natürlich nicht weniger Kunst sehen. Das Gegenteil wird der Fall sein, weil nun wirklich jede*r Stable Diffusion, Midjourney oder Dall-E nutzen kann.

Was bei NFTs Probleme macht, wird im Fall von KI für noch mehr Probleme sorgen. Denn digitale Kunst hat zumindest eine Geschichte, aus der man Kriterien kennt und sie für die Gegenwart herleiten kann. KI-Kunst hat noch keine Kriterien. Bisher wird KI-Kunst für interessant befunden, die mit den Schwächen der KI arbeitet. Dass KI aktuell noch keine perfekten Bilder erzeugen kann, sorgt für Faszination: eine Technologie, die eigentlich alles bisher Bekannte in wenigen Sekunden erzeugen kann, dann aber im Detail strauchelt. Kevin Abosch, der irische Konzeptkünstler und Pionier der Blockchain-Kunst, sagt: »Schlaue Künstler*innen haben keine Angst vor neu aufkommenden Technologien, sondern fragen eher ›Wie kann ich dieses Werkzeug sinnvoll einsetzen?‹. Was ich an KI und insbesondere an Algorithmen zum Deep Learning so schätze, ist deren Kraft, das an die Oberfläche zu bringen, was ich ohne eine solche Hilfe nicht könnte. Das ist keine einfache Transaktion, nach der man weitermacht, als wäre nichts geschehen. Wir können von der Maschine lernen, wie man ein Thema anders betrachtet, und ein anderes Verständnis und größere Sensibilität erlangen. Wir sind verändert. Für das Zurechtfinden in einer KI-Zukunft ist eine solche Evolution tatsächlich notwendig. Künstler*innen und Philosoph*innen werden uns vorangehen.«

 

 

Anika Meier, a jpeg has an aura, jpeg, 2023.

Abosch wird von der Berliner Galerie Nagel Draxler vertreten, die im Jahr 2022 den Crypto Kiosk am Rosa-Luxemburg-Platz eröffnet hat, wo ausschließlich Künstler*innen ausstellen, die digital arbeiten und, wie etwa Abosch, oft auch Blockchain und KI als Medium nutzen. Auf der diesjährigen Art Basel war die Galerie eine der wenigen, die nach wie vor zu digitaler Kunst und NFTs stehen und sich trauen, Kunst zu zeigen, die Künstler*innen in Zusammenarbeit mit Künstlicher Intelligenz erschaffen.

Berlin selbst ist eine der wenigen Städte, die über Galerien verfügen, die sich seit Jahrzehnten auf die Geschichte der digitalen Kunst spezialisiert haben, beispielsweise die von Wolf Lieser geführte DAM Gallery in Charlottenburg oder die Panke Gallery, und die daneben junge Galerieformate vorweisen kann wie etwa Office Impart in Moabit oder eben den Crypto Kiosk in Mitte.

Um Virtual Reality ist es dank der Aufregung um KI zwar etwas ruhiger geworden, aber auch hier ist Berlin ganz vorne mit dabei. Zum zweiten Mal ist nun der VR ART PRIZE ausgeschrieben. Peggy Schoenegge, als Kuratorin verantwortlich für das dazugehörige DIGITAL ART LAB, das während der Berlin Art Week im Haus am Lützowplatz stattfindet, sagt über das Potenzial von VR: »Mit VR schaffen Künstler*innen virtuelle Erfahrungsräume. Die Betrachtenden tauchen in diese Welten ein und erschließen neue, spekulative Perspektiven auf unsere Gesellschaft.«  

Das ist es auch, warum Kunst, die mit Hilfe aktueller Technologien entsteht, relevanter denn je ist. Wir leben in einer postdigitalen Welt. Wir sind umgeben von Technologie. Algorithmen und KI steuern unbemerkt bereits oft unseren Alltag. Kritische Reflexionen von Künstler*innen können helfen, mehr über neue Technologien zu erfahren und bewusster damit zu leben. Furcht und Ablehnung dagegen verhindern einen informierten Umgang mit Technologie. 

 

Digitale Kunst bei der Berlin Art Week 2023 entdecken:

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