Peggy Schoenegge

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Peggy Schoenegge, Foto: Mathilde Hansen

Peggy Schoenegge über digitale Kunst, niedrigschwellige Kunstvermittlung und die Balance zwischen Arbeit und Alltag

Woran arbeiten Sie gerade?
Gerade bin ich dabei das Digital Art Lab zu organisieren, das als Teil des VR Kunstpreis der DKB in Kooperation mit CAA Berlin während der Berlin Art Week 2023 am 13 SEP 2023 mit Alistair Hudson (ZKM) im Haus am Lützowplatz eröffnet. Im Rahmen der Ausstellung Unleashed Utopia. Künstlerische Spekulationen über Gegenwart und Zukunft im Metaverse (9 SEP—15 NOV 2023) finden fünf Tage lang mit Festivalcharakter Talks, Panels, Workshops und Performances rund um das Thema VR-Kunst statt. Das Digital Art Lab wird ein Treffpunkt für digitale Kunst sein, bei dem das Publikum die Möglichkeit hat, spannende, virtuelle Welten zu entdecken, in spekulativ utopischen Zukunftsvisionen einzutauchen und sich mit renommierten Expert*innen auszutauschen. Boris Eldagsen wird bspw. über die Rolle und Entwicklung der künstlichen Intelligenz in der Kunst sprechen, während der VR-Pionier Matt Mullican über die frühen Anfänge der VR-Kunst berichtet. Sabine Himmelsbach (HeK, Basel) und Marlies Wirth (MAK, Wien) werden über die Herausforderungen diskutieren, die digitale Künste und neuen Medien für Institutionen mit sich bringen. Ein Highlight wird auf jeden Fall die Preisverleihung am 15 SEP 2023 sein. Dann wird die Preisjury bekanntgeben, wer von den fünf nominierten Künstler*innen—Marlene Bart, Anan Fries, Mohsen Hazrati, Rebecca Merlic und Lauren Moffatt—den diesjährigen VR Kunstpreis erhält.

Was lesen oder hören Sie gerade?
Aktuell lese ich ›The Sculptural in the (Post-) Digital Age‹ , das von Mara-Johanna Kölmel und Ursula Ströbele herausgegeben wurde. Der Sammelband beinhaltet unterschiedliche Beiträge zum Skulpturenbegriff im digitalen Kontext. Er stellt dar, wie neue Medien das Skulpturale beeinflussen und wie sich Kunst im technologischen Fortschritt weiterentwickelt. In diesem Kontext entstehen und etablieren sich neue Kunstformen. Ich halte das Buch für einen wichtigen Beitrag, um zu verstehen, welche Bedeutung digitale Kunst für den Kanon der Kunstgeschichte bereits hat und zukünftig einnehmen wird. Es verdeutlicht, wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem Thema ist.

Was braucht es für gute Kunstvermittlung?
Eine gute Kunstvermittlung behält die Ausstellungsbesuchenden im Blick und erkennt die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Gruppen. Das ist in Hinblick auf die unterschiedlichen Erfahrungsschätze im Umgang mit Kunst nicht immer ganz einfach, weshalb Veranstaltungen wie das Digital Art Lab so wichtig sind. Hier schaffen wir einen Ort der Auseinandersetzung und Vertiefung. Es geht darum, dem Publikum einen niedrigschwelligen Zugang zu eröffnen und Berührungspunkte herzustellen, um sie in die vielfältigen, künstlerischen Welten eintauchen zu lassen. In den Coding Art Labs geben bspw. erfahrene VR-Expert*innen ihr Wissen weiter: In unterschiedlichen Erfahrungsstufen ermöglichen sie in Workshops Einblicke in die verschiedenen Programme und Arbeitsweisen. Die Teilnehmer*innen haben die Möglichkeit, selbst eine Anwendung zu erstellen. Mit der Kunst haben wir die Möglichkeit, neue Perspektiven zu erlangen und Werte wie Offenheit, Diversität und Toleranz zu stärken. Eine gute Kunstvermittlung schafft genau dieses Bewusstsein und nutzt die Kunst als ein Instrument für Bildung und sozialen Wandel. Damit nimmt sie auch eine wichtige gesellschaftliche Rolle ein.

Haben Sie ein Lieblingsgebäude?
Es gibt kein konkretes einzelnes Gebäude, das ich im Besonderen mag. Was ich spannend finde, sind unterschiedliche Baustile und -formen, ein Nebeneinander, das sich Mal ergänzt und Mal miteinander kontrastiert. Es vergegenwärtigt den Zeitgeist vergangener und aktueller Epochen und ruft einen steten Wandel in Erinnerung. Sich diesem Fluss der Zeit bewusst zu machen, hilft, die eigene Komfortzone zu verlassen. So wie die Architekt*innen immer wieder einen neuen Blick auf das Haus, die Stadt und den Menschen richteten, so sollte man selbst auch immer wieder eine neue Perspektive einnehmen, um neue Sichtweisen zu gewinnen und den eigenen Horizont zu erweitern.

Wen würden Sie gerne einmal kennenlernen?
Eine schwierige Frage, die ich gar nicht so direkt beantworten kann. Prinzipiell ist es immer spannend sich mit den Pionier*innen der digitalen Kunst auszutauschen. Es wäre z.B. toll, sich mit Vera Molnár über die Anfänge der Computerkunst bzw. generativen Kunst zu unterhalten oder mit Char Davies über ihre VR-Arbeit Osmose und über die Herausforderungen der VR-Kunst in den 1990er Jahren zu sprechen. Auch Peter Weibel hätte ich gerne einmal persönlich getroffen. Für die eigene Arbeit ist es immer hilfreich zum Ursprung neuer Entwicklungen zu gehen, um zu verstehen, warum gewisse Umstände so sind, wie sie sind, und um zu überlegen, wie man sie weiterentwickeln kann.

Haben Sie ein tägliches Ritual?
In meiner Arbeit als Freiberuflerin gestaltet sich jeder Tag anders, sodass eigentlich kein Raum für tägliche Rituale vorhanden ist. Es gibt aber bestimmte Gewohnheiten, wie der morgendliche Check des Instagram-Feeds oder das Überfliegen erster Schlagzeilen. Den Tag beginne ich meist damit, mir anzuschauen, was in der Kunst gerade passiert, was die Künstler*innen machen und wo es spannende Ausstellungen zu sehen gibt. Das hilft mir, in den kreativen Fluss zu kommen, Inspiration zu finden und auf den aktuellen Stand zu bleiben. Allerdings würde ich dem keine rituelle Bedeutung zusprechen.

Welcher Gegenstand darf nicht fehlen?
Im postdigitalen Zeitalter und als Kuratorin für digitale Kunst darf das Smartphone nicht fehlen. Es ist weitaus mehr als nur ein Kommunikationsmittel, mit dem sich geografische Distanzen problemlos überwinden lassen. Es ist ein Arbeitswerkzeug, mit dem ich jederzeit und überall auf alle Informationen zugreifen kann, mit dem ich recherchiere, schreibe und Inhalte veröffentliche. Mit der Verlagerung unseres Handlungsraums ins Metaverse, der Digitalisierung unserer Gesellschaft sowie sämtlicher Strukturen hat sich das Smartphone zu einem Tool etabliert, ohne das wir den Bedingungen unserer Zeit gar nicht mehr gerecht werden können. Es ist die unmittelbare Schnittstelle zwischen dem Analogen und Virtuellen, dass uns die aktive Teilhabe in beiden Welten ermöglich.

Was ist Nachhaltigkeit für Sie?
Nachhaltigkeit hat viele Dimensionen—besonders in der Kunstwelt, wo es sowohl um die Verwendung verschiedener Materialen als auch um soziale und kulturelle Aspekte geht. Für mich ist es wichtig, Ausstellungen so zu gestalten, dass sie den ökologischen Fußabdruck minimieren. Das heißt bspw. mit wiederverwendbaren und umweltfreundlichen Materialen zu arbeiten. Beim Digital Art Lab werden die Möbel zu einem großen Teil aus recycelter Pappe bestehen. Nachhaltigkeit bedeutet aber auch, Kunst mit einer gesellschaftlichen Verantwortung zu verbinden und einen Raum der Auseinandersetzung zu schaffen. Auf diese Weise können wir den inhaltlichen Diskurs fördern und das Publikum für die relevanten Themen unserer Zeit sensibilisieren. Gemeinsam mit Tina Sauerländer und Erandy Vergara habe ich z.B. die Ausstellung Speculative Species kuratiert, die sich mit dem Anthroprozän bzw. den Auswirkungen des Menschen auf unsere Umwelt befasste und künstlerisch spekulative Visionen unserer Zukunft zeigte. Dieser Ansatz impliziert auch eine soziale Nachhaltigkeit. Ich bemühe mich mit Künstler*innen aus unterschiedlichen Hintergründen und Gemeinschaften zu arbeiten. Ich verstehe Kunst als ein Werkzeug, das nicht nur unser Bewusstsein für Umweltprobleme schärft, sondern auch einen gesellschaftlichen Wandel anstoßen kann. Nachhaltigkeit ist keine isolierte Aufgabe. Sie ist ein integraler Bestandteil dessen, wie wir als Individuen und als Gesellschaft leben und arbeiten.

Was wünschen Sie sich für Berlins Kunst- und Kulturlandschaft?
Ich wünsche mir auf jeden Fall eine stärkere Präsenz der digitalen Kunst in Berlin. Es gibt zwar einzelne Häuser, Galerien oder Projekträume wie die Panke Galerie oder DAM, die seit vielen Jahren in diesem Bereich arbeiten, und (vereinzelt) Werke mit neuen Medien ausstellen, aber es fehlt die breite Sichtbarkeit. Deshalb freue ich mich sehr, dass der VR Kunstpreis der DKB in Kooperation mit CAA Berlin dieses Jahr bereits zum zweiten Mal stattfindet und der VR-Kunst eine öffentliche Plattform bietet. Er zeigt die Relevanz neuer Medien in der zeitgenössischen Kunst und zugleich den Einfluss von Digitalisierung und Technologisierung auf Kunst, Kultur und Gesellschaft. Berlin als vibrierende Metropole und Stadt, die immer am Puls der Zeit ist, wird dem an dieser Stelle nur bedingt gerecht und das, obwohl ein Großteil der digitalen Künstler*innen hier leben. Es wäre schön, wenn sich die großen Häuser und Institutionen in Zukunft mehr dem Digitalen bzw. der Kunst mit neuen Medien öffnen und sie nutzen würden.

Was machen Sie nach getaner Arbeit?
Das ist recht unterschiedlich und hängt davon ab, wie mein Tag verlief. Meist versuche ich einen Ausgleich zu finden, um die Batterien wieder aufzuladen. Das heißt, mich entweder zu entspannen oder mit Sport und anderen Unternehmungen für Bewegung zu sorgen. Am Ende ist es wichtig, Körper und Geist im Gleichgewicht zu halten und eine Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden, was zugegeben nicht immer ganz einfach ist.

 

 

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