Dieser Artikel erschien zuerst in dem Berlin Art Week 2025 Sonderheft des Monopol Magazins.
»Berlin heißt jetzt ja auch das neue Berlin. Und da passen wir gut rein«, sagt eine Frau im Video ›Einzel Gruppe Berlin‹, das Erik Schmidt und Corinna Weidner im Jahr 1999 zusammen gemacht haben. Nun, 26 Jahre später, ist es während der Berlin Art Week im Kindl—Zentrum für zeitgenössische Kunst zu sehen, in einer Ausstellung, mit der Schmidt auf annähernd 30 Jahre künstlerischer Produktion zurückblickt. Schmidt und Weidner gaben damals in dem Video die Archetypen des coolen Berlins der Jahrtausendwende: die Werberin, der DJ, der Künstler. ›Einzel Gruppe Berlin‹ bedient sich im Stil an jenen eher reißerischen Fernsehbeiträgen, mit denen ›die Medien‹ damals versuchten, sich ein Bild vom ach so undergroundigen Berlin zu machen. »Berlin ist Trendbarometer und Kontaktbörse der internationalen Kunstszene«, heißt es einmal. Damals war das noch nicht wahr, wurde es aber bald. Und, ist man ehrlich, so ist es das heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, nicht unbedingt mehr sicher.
Diese Haltung zwischen ironischer Distanz, medialer Bespiegelung und dann doch ernsthafter Befragung des Eigenen findet sich auch im Titel von Schmidts retrospektiv angelegter Ausstellung wieder, die nach dem Kindl auch im EACC Castelló in Spanien zu sehen sein wird: ›The Rise and Fall of Erik Schmidt‹, der Aufstieg und Fall des Erik Schmidt. »Natürlich ist dieser Titel erst einmal eine große Pop-Geste«, sagt der Künstler im Interview selbst augenzwinkernd. Blickt man zurück, so fällt an Schmidts künstlerischem Schaffen seit den späten 1990er-Jahren vor allem eine ausgeprägte Zweigleisigkeit auf: Malerei hier, Videos dort. »Thematisch kann sich beides überschneiden, aber es handelt sich letztlich um eigenständige Stränge«, sagt Schmidt. Die Themen seiner Arbeit—sei es das Verhältnis zwischen dem Ich und den anderen, Fragen von Identität, Männlichkeit, Rollenvorstellungen, aber auch der Blick auf die Stadt und das jeweilige Umfeld—sind in der von Yara Sonseca Mas kuratierten Ausstellung im Kindl in losen Clustern organisiert.
»Diese Bilder sind brüchig. Als müsse man nur einmal dran rütteln und alles fällt auseinander«
—Erik Schmidt
In der Malerei Schmidts geht es, so erscheint es in der Zusammenschau, eher um den Blick nach draußen—darum, sich zur Welt ins Verhältnis zu setzen und sie in Form eines Bildes für sich begreifbar zu machen. Und da diese Welt längst stets medial vermittelt ist, arbeitet der Maler Schmidt mit fotografischen Vorlagen. Anfang der Nullerjahre übermalte er Zeitschriftenbilder, pornografisches Material oder Landschaftsbilder mit camouflageartigen Mustern und sloganhaften Texten, später übersetzte er Szenen im Park und auf der Straße, Jagdgesellschaften in seiner Heimat Westfalen oder Olivenernten in Israel in oftmals pointillistisch wirkende Bilder. Er malte über Fotos von Palmen, die er in Sri Lanka aufgenommen hatte, taxierte von der anderen Straßenseite die Szenen im New Yorker Occupy-Camp oder zeigte Berlin von oben, vom Dach seiner Hochhäuser.
Im Verlauf der Zeit werden die Vorlagen sichtbarer, die Übersetzung des technischen Bildes in Kunst rückt mehr in den Fokus. Manchmal nimmt Schmidt nun nur noch einzelne Elemente des fotografischen Ausgangsbildes in großen Ölklecksen auf, die Anverwandlung der Welt als Kunst wird auf halber Strecke angehalten. »Das hat etwas von einem Zerfall«, sagt Schmidt. »Diese Bilder sind brüchig. Als müsse man nur einmal dran rütteln und alles fällt auseinander.« Jüngste Serien kehren dagegen zu einem fast schon zeichnerischen Stil zurück, etwa wenn Schmidt im Sommer 2024 Fremde auf den Straßen Wiens mit wenigen, aber präzisen Strichen festhält.
Ganz anders funktionieren seine Videos. »Hier steht eine Art Bestandsaufnahme im Vordergrund: Wo bin ich, wo stehe ich, was passiert um mich herum«, sagt Schmidt. Stets tritt er dabei selbst auf, reflektiert seine Rolle als ›der Künstler Erik Schmidt‹, wie er sagt. In einem neuen Video namens ›Recap‹ wird er Rückschau auf die Arbeit der vergangenen Jahrzehnte halten. In Schmidts älteren Videos lässt sich dagegen beobachten, wie dieser Künstler, der nach dem Studium in Hamburg nach Berlin gekommen ist, auf der Suche nach einem Parkplatz mit seinem Kleinwagen durch die Straßen fährt und dabei auch selbst einen Platz im Gefüge seiner neuen Heimatstadt sucht, eine Lücke, in die er passt. Man sieht, wie er sich, in einen Pool gefallen, zappelnd aus dem uniformierten Anzugkorsett eines Geschäftsmanns zu befreien versucht; oder wie er einige Jahre später im dandyhaften Anzug über nebelverhangene Felder zieht und sich durch Hecken schlägt; wie er auf einem Schloss in Westfalen mit einer Jagdgesellschaft speist, über adlige Partys tanzt, mit dem geschäftigen Strom der Angestellten durch das Gewusel von Tokio treibt oder, befreit und allein, auf einem Elektroroller durch Rom fährt. Kurz, der Künstler Erik Schmidt ist unterwegs, von hier nach dort, durch die Landschaften, die Länder, die Städte, durch Gesellschaften und ihre sozialen Schichten; unterwegs auch durch sein eigenes Leben.
In einem seiner eindringlichsten Videos, ›Bottom Line‹ von 2018, das im Kindl gleich zu Beginn zu sehen sein wird, kann man Schmidt dabei beobachten, wie er, gut 20 Jahre nach ›Einzel Gruppe Berlin‹, allein durch das ›neue Berlin‹ streift und etwas umständlich versucht, jene aalglatten Neubauten zu erklimmen, die das Gesicht der Stadt über die Zeit so massiv verändert haben. Als möchte er die Entwicklungen, die stattgefunden haben, buchstäblich begreifen. Und doch rutscht er ein ums andere Mal daran ab.
»In den Videos steht eine Art Bestandsaufnahme im Vordergrund: Wo bin ich, wo stehe ich, was passiert um mich herum?«
—Erik Schmidt
Künstler zu sein, mag eine Menge Möglichkeiten und Zugänge bieten. Am Ende aber bleibt man vielleicht doch auch immer ein bisschen außen vor, passt nicht so gut rein, ob nun in einen Parkplatz, eine Jagdgesellschaft oder die irgendwann einmal projizierte eigene Zukunft. Aber nicht zuletzt aus dieser Distanz und der ungemein ehrlichen und ernsthaften Auseinandersetzung mit ihr erwächst jene beeindruckende Freiheit und Direktheit, die sich im Werk des Künstlers Erik Schmidt seit nun schon fast 30 Jahren finden.
›Erik Schmidt: The Rise and Fall of Erik Schmidt‹, Kindl—Zentrum für zeitgenössische Kunst, 14 SEP 2025—1 FEB 2026
Credits für Abbildungen: Erik Schmidt, The Bottom Line, 2018 © Erik Schmidt / VG Bild-Kunst, Bonn, 2025; Erik Schmidt, Neubaugasse, 2024 © Erik Schmidt / VG Bild-Kunst, Bonn, 2025; Erik Schmidt, Glass People, 2024 © Erik Schmidt / VG Bild-Kunst, Bonn, 2025 ;Erik Schmidt, Stone Washed, 2025 © Erik Schmidt / VG Bild-Kunst, Bonn, 2025