Das Erröten ist eine Körperreaktion, die, wenn sie eintritt, meist nicht gerade willkommen ist. Die englische Sprache unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Formen, dem ›flushing‹, bei dem sich das Gesicht vor Wut rot eingefärbt, und dem ›blushing‹, bei dem dies auf Scham oder Verlegenheit zurückzuführen ist. Schuld ist jeweils das vegetative Nervensystem. Es sorgt dafür, dass sich die Blutgefäße plötzlich ausdehnen, Blut in die Gesichtshaut steigt und diese auffällig rot erscheinen lässt. Um einen Schutzmechanismus scheint es sich zu handeln, ganz einig ist sich die Forschung da jedoch nicht.
Zu Alexandra Birckens Arbeit passt es jedenfalls gut, dass sie auf die Frage, was sie an Haut so fasziniere, das Erröten mit aufzählt: Wie eine Art Screen trägt die Haut beim Erröten das, was sich im Inneren, im Gefühlsleben abspielt, nach außen—und schiebt sich gleichzeitig wie ein schützender Schild davor. Der Körper und dessen Hüllen gehören zu wiederkehrenden Themen im skulpturalen Werk der Künstlerin. Haut und Häute verbinden ihre Arbeiten sozusagen porentief. Diese hangeln sich an Dichotomien entlang wie Innen und Außen, Weich und Hart, Verletzlichkeit und Schutz, Zartheit und Zerstörungswut, Natur und Künstlichkeit, Mensch und Maschine.
»Haut und Häute verbinden Alexandra Birckens Arbeiten sozusagen porentief.«
›Eskalation‹ (2014/2016/2017/2019), die Arbeit, die sie für ihre ortsspezifische Installation im Kesselhaus des Kindl—Zentrum für zeitgenössische Kunst weiterentwickelt, beispielsweise: Figuren aus schwarzem Latex und Nylon scheinen hier auf Leitern nach oben zu klettern. Es ist ein hilfloses Unterfangen—die gesichtslosen Wesen hängen in dem Gestell eher fest, sind mit Kleiderbügeln ans Holz gehakt, gefangen im symbolischen Höher-Schneller-Weiter. Die Luft ist ihnen ausgegangen, je nach Position gleichen sie schlappen Körpern, nur noch Hüllen, Häuten oder abgelegten Kleidungsstücken. Ihr Innerstes, das, was sie als Individuen ausmacht, scheint ihnen abhandengekommen.
Derlei leere, entmenschlicht-menschliche (Latex-)Körper begegnen einem häufiger in Birckens Werk. Ihnen gegenüber stehen echte Maschinen oder Gerätschaften, deren Innenleben die Künstlerin zu ergründen versucht. Motorräder etwa schneidet Bircken brutal auf, als müsse an ihnen eine Operation am offenen Herzen oder eine Autopsie vollzogen werden. Tatsächlich haben die Maschinen, an denen Bircken dergestalt Hand anlegt, Dinge erlebt, die sich erst bei näherer Betrachtung erschließen. Was sie an Motorrädern interessiert, die sie im Gespräch als »moderne Pferde« beschreibt, seien besonders die Gebrauchsspuren, die sich in sie eingeschrieben haben: Unfälle, Schrammen, Reparaturen—der Mensch letzten Endes.
»Unfälle, Schrammen, Reparaturen—der Mensch letzten Endes.«
Bircken, die im Münchner Museum Brandhorst unter dem Titel ›Alexandra Bircken: A—Z‹ gerade ihre aufgrund der Corona-Pandemie mehrfach verschobene erste Überblicksschau mit Werken aus beinahe 20 Jahren eröffnet, nahm einen kleinen Umweg in die Kunst. In London hat sie am renommierten Central Saint Martins zunächst einmal Modedesign studiert und im Anschluss einige Zeit in diesem Feld gearbeitet, in London und Paris. Ihren Blick auf Körper und Körperlichkeit hat das nachhaltig geprägt.
Die Konventionen der Branche nahm Bircken jedoch zunehmend als Einschränkung war. Das Frauenbild, die Vorstellungen von Schönheit in der Mode hätten sie extrem gestört, erzählt sie im Gespräch, die kindliche Sexiness von Kate Moss etwa, die zu dieser Zeit auf einmal angesagt war. Doch wer in der Mode arbeite, müsse zwangsläufig diese Bilder bedienen. »In diesem Frauenbild habe ich mich nie wiedergefunden. Das war ein Grund, warum ich das Gefühl hatte, ich sei fehl am Platz in der Mode.« In der Kunst dagegen muss man sich nicht an solchen Ideen orientieren—oder überhaupt an der Ergonomie und Physiognomie des Körpers.
1999 kehrte Bircken nach Deutschland zurück, genauer, nach Köln, wo sie geboren wurde. Sie mietete dort ein Atelier an, um »andere Sachen« zu machen, wie sie sagt, Objekte, die nicht mehr an einen Körper angedockt waren und bei denen es nicht um Reproduzier- und Verkaufbarkeit ging: zum Beispiel ein langes breites Band mit ihrer Strickmaschine zu stricken und dieses zu einer Skulptur zu verknoten. ›Berge‹ (2003) heißt diese Arbeit, die tatsächlich irgendwie an zwei Gipfel aus olivgrüner Wolle erinnert. ›Accessoires‹ nannte sie andere Arbeiten, die ähnlich wie die Accessoires der Mode am Körper hingen, anders als etwa Taschen jedoch keine Funktion zu erfüllen hatten. Oder aber Bircken hing sie gleich an die Wand, als eigenständige Objekte.
Ihre Nachbarn Jörn Bötnagel und Yvonne Quirmbach von der Galerie BQ sahen ihre Arbeiten damals durch die Schaufensterfront ihres Studios—und luden sie ein, bei ihnen eine Ausstellung zu zeigen. 2004 war das. Es blieb nicht bei dem Gastspiel, die Galerie nahm Bircken schließlich in ihr Programm auf.
»Die Gegenstände, denen Birckens Interesse gilt, dienen oftmals als Hilfsmittel zur Intensivierung einer Körperfunktion.«
Heute zeigt sich Birckens Bezug zur Mode vielleicht am deutlichsten in dem, womit sie arbeitet: Leder, Latex, Nylon, überhaupt Textilien oder auch Kleidungsstücke gehören zu ihren bevorzugten Materialien, gleichzeitig aber auch Kunststoffe, Gips sowie klassische Werkstoffe der Bildhauerei—und immer wieder recht spezielle Alltagsobjekte, nicht selten aus Bereichen wie dem Sport. Die Gegenstände, denen Birckens Interesse gilt, dienen, so formuliert es Kirsty Bell in ihrem Aufsatz ›Second Skins‹ im Katalog zu ›Alexandra Bircken: A—Z ‹, oftmals als Hilfsmittel zur Intensivierung einer Körperfunktion: »Sowohl die Motorräder, die auseinandergenommen und neu arrangiert werden, als auch die mit Fransen von menschlichem Haar behängten Ski […] basieren auf Gerätschaften, die dem Körper maximale Geschwindigkeiten ermöglichen sollen, sei es in der Kurve einer Landstraße oder an einem verschneiten Steilhang.«
Die beiden Gegenpole in Birckens Werk, der entmenschlichte Leib und die vermenschlichte Maschine, bilden letztlich eher zwei Seiten einer Medaille. Letztlich hat man es dabei mit zwei Strategien zu tun, sich dem zu nähern, worum es Bircken im Kern geht: um den Menschen in seiner Körperlichkeit, seinem Selbstzerstörungstrieb und seiner Verletzlichkeit. Im Kesselhaus des Kindl—Zentrum für zeitgenössische Kunst spielt das Maschinelle schon allein durch den Ort mit hinein, durch dessen architektonische Besonderheiten und Vorgeschichte als Industrieanlage, ebenso durch »das Dystopische«, was er ausstrahle, wie Alexandra Bircken betont. Das Spiel dieser Künstlerin mit Widersprüchen bereichert das nur noch weiter.
KINDL—ZENTRUM FÜR ZEITGENÖSSISCHE KUNST
Alexandra Bircken. Fair Game
19 SEP 2021—15 MAI 2022
Eröffnung 18 SEP, 14—22 Uhr