BAW Garten mit atelier le balto
Große, graue Betonplatten dominieren das Kulturforum am Potsdamer Platz mit seinen ausgreifenden Bauwerken wie der Philharmonie, der Gemäldegalerie oder der Staatsbibliothek. Dazu kommt ein riesiges Bauloch—2026 soll hier das Museum des 20. Jahrhunderts eröffnen. Seit Juli 2023 wird durch das Projekt ›Baumschule Kulturforum‹ unter der künstlerischen Leitung von Klaus Biesenbach und dem Landschaftsarchitekturbüro atelier le balto hier eine grüne Utopie Realität, die in Ansätzen schon Hans Scharoun in seiner Zeit als Stadtbaurat Berlins auf der Agenda hatte. Nuss- und Mehlbeerbäume, Feldahorn und Weiden wiegen sich auf der Piazzetta des Kulturforums im Wind. le balto, die bereits den Hinterhof der KW Institute for Contemporary Art in Mitte begrünt und das Waldgrundstück rund um das Brücke-Museum revitalisiert haben, verwandeln nun auch den Vorplatz der Neuen Nationalgalerie entlang der Fassade des Hauses in den BAW Garten. Einst für einen Firmensitz in Kuba entworfen, erzählt das ausladende Dach des Gebäudes noch von den klimatischen Bedingungen der Karibik. Die Bewaldung der Fassade durch mehr als 50 Laubbäume entwirft während der Berlin Art Week eine grüne Zukunft, die sich durch die Spiegelung der riesigen Glasfront auch im Innenraum fortsetzt. Als temporärer Vermittlungsort und Festivaltreffpunkt ist im BAW Garten vom 13—17 SEP u. a. Raum für Performances, Musik und Talks. Und was passiert danach mit den Bäumen? Sie werden mit eingebunden in die ›Baumschule Kulturforum‹, die die Erweiterung des Tiergartens hinein in das steinerne Kulturforum anstrebt. Und die Natur in die Stadt zurückholt.
›Food Intervention‹ mit Caique Tizzi
Was bringt Menschen besser zusammen als ein gemeinsames Essen? Koch und Food-Art-Künstler Caique Tizzi, der auch schon die letzten beiden Jahre im Rahmen der Berlin Art Week für visuelle und kulinarische Glanzlichter sorgte, wird auch in diesem Jahr im BAW Garten eine ›Food Intervention‹ kuratieren, die genau dazu einlädt. Was im letzten Jahr als Erkundung von Gemüse als täglich wechselndes Mittagsmenü konzipiert war, ist in diesem Jahr eine Exkursion von Früchten. Inspiriert von der prominenten Architektur der Neuen Nationalgalerie und inmitten der künstlerischen Installation des BAW Gartens entwickelt Tizzi kleine ›Frucht-Ecken‹, die allen Besucher*innen der Berlin Art Week täglich gereicht werden. ›Edible landscapes / essbare Landschaften‹, nennt Tizzi die kleinen Happen. Früchte spielten in vielen Kulturen eine große Rolle beim Empfang der Gäste, erklärt der Food-Art-Künstler—und auch seine Kreationen sind als Willkommensgeste gedacht. Ausgehend von der für Brasilien typischen Willkommensfrucht, der Ananas (piña), wendet er sich der Urfrucht des Lebens, dem Apfel, zu, anschließend der Frucht der Weiblichkeit und Macht, dem Granatapfel, sowie der Melone, die im arabischen und mediterranen Raum gerne zur Begrüßung gereicht wird. Zitrusfrüchte bilden schließlich ein saures, vitaminreiches Finish.
Mobile Ausstellungen mit Motus
Vielleicht erinnert sich noch jemand: Es ist noch nicht allzu lange her, da ließ ein bayrischer Automobilhersteller in loser Folge publikumswirksam seine PS-starken Blechschüsseln von bekannten, meist männlichen, meist weißen, meist aus dem Westen stammenden, immer aber arg erfolgreichen Künstler*innen bemalen. Das Ganze nannte man dann ›Art Cars‹. Nun ja, lange her (um ehrlich zu sein: gar nicht so lange). Zumindest in der Gegenwartskunst hat das Auto als Statussymbol inzwischen definitiv ausgedient. Im innerstädtischen Bereich, in dem sich die aktuellen Kulturkämpfe nicht zuletzt entlang der Frage nach Parkplätzen oder Fahrradwegen entzünden, ist für die entsprechende Klientel das Zweirad seit geraumer Zeit das Gefährt der Wahl. Ein Projekt wie Motus, die mobile Mini-Galerie, die Adrien Missika auf einem umgebauten Fahrrad eingerichtet hat, ist so gesehen also ein unbedingtes Produkt seiner Gegenwart—(sehr) niedriger CO2-Fußabdruck, konsequent lokal, bewusst bescheiden und trotzdem mobil. Während der Berlin Art Week wird Missika mit Motus jeden Tag vor der Neuen Nationalgalerie sowie am Freitagabend vor einem Späti in der Kurfürstenstraße kleine Ausstellungen unter anderem von Jeewi Lee, Saâdane Afif und Kasia Fudakowski zeigen. Der Mountain-Bike-Rahmen übrigens, der die Basis von Motus bildet, ist gut 30 Jahre alt und stammt von der japanischen Fahrradschmiede Kuwahara—original mit ›Art Cars‹-würdiger Drip-Painting-Lackierung.
Open-Air-Kino mit Videoart at Midnight
Videoart at Midnight ist längst eine Berliner Institution. Seit mittlerweile 15 Jahren lädt Olaf Stüber für diese Veranstaltungsreihe im Monatsrhythmus Künstler*innen ein, ihre Filme auf der großen Leinwand im Kino Babylon in Mitte zu zeigen—immer freitags, immer um Mitternacht. Für den BAW Garten hat Stüber nun eine mehrteilige Open-Air-Kino-Reihe zusammengestellt, die während der Berlin Art Week auf der Terrasse der Neuen Nationalgalerie zu sehen sein wird. Die vier Screenings mit Filmen von Yalda Afsah, Bani Abidi, Annika Kahrs oder Isaac Chong Wai, um nur einige der beteiligten Künstler*innen zu nennen, folgen losen thematischen Strängen zu neuralgischen Themen der Zeit: hier das komplexe Verhältnis von Mensch und Tier; dort Fragen der Taxonomie, der Kategorisierung oder des Bewahrens, wie sie Umweltschutz und institutionelles Handeln auf unterschiedliche, aber doch verwandte Weise prägen; schließlich eine Auseinandersetzung mit der Interpretation von Geschichte und der politischen Dimension von Erinnerung und Herkunft. Wir sehen Filme über Gorillas, die mit Handzeichen kommunizieren, oder über Vögel, die Konzerten lauschen (und sie unterbrechen); Filme über Bäume unter Glas und solche auf den Straßen dieser Welt; über den Geschmack der Heimat und den Schmerz der Entwurzelung; über Gentrifizierung, die Unfähigkeit, der eigenen Blase zu entkommen, und über den schwierigen Blick zurück. Filme über die Angst vor dem Morgen. Und Filme über die Hoffnung.
Talks mit vielen
Das Künstler*innengespräch und die Paneldiskussion gehören zu den großen öffentlichen Ritualen der Selbstverständigung und -vergewisserung im Kunstbetrieb. Und sowieso—das muss man dann doch immer wieder schmerzhaft erfahren—erfordert das Verstehen ganz generell immer noch viel, viel mehr Reden, als man denkt. Lasst uns also weiter reden, reden, reden—allen voran über den Klimawandel, dieses größte Problem, vor dem die Menschheit jemals stand (und das eh viel zu groß ist, als das man es je verstehen kann). Im BAW Garten werden sich im Verlauf der Woche gleich mehrere Veranstaltungen mit diesem Thema auseinandersetzen: Los geht’s am Mittwoch in Kooperation mit C/O Berlin, wo zur Berlin Art Week die Ausstellung ›Image Ecology‹ eröffnet, mit einem Gespräch zu, so der Untertitel, ›Fotografie im Kontext der Klimakrise‹. Am Donnerstag übernimmt dann eine vom Magazin Monopol organisierte Runde mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth, Klaus Biesenbach, dem Direktor der Neuen Nationalgalerie, sowie anderen, um unter dem Titel ›Green Deal für die Kultur‹ darüber zu diskutieren, inwiefern Kulturinstitutionen Vorreiter*innen oder gar Motor einer Transformation zu mehr Nachhaltigkeit sein können. Am Freitag schließlich wird die Gallery Climate Coalition, ein internationaler Zusammenschluss von Galerien, Institutionen, Künstler*innen und Kunstorganisationen, die daran arbeitet, die Kunstwelt dem Ziel der Klimaneutralität ein Stückchen näher zu bringen, einen weiteren Talk unter dem Titel ›From Theory to Practice‹ präsentieren, bevor Jackie Grassmann am Wochenende dann zum Tête-à-tête mit einzelnen Künstler*innen aus dem Programm der Berlin Art Week und Akteur*innen der Berliner Kunstwelt lädt. Mit dabei unter anderem: Coco Fusco, Isaac Chong Wai, Antonia Alampi, Daniele Maruca, Fabian Schöneich, Willem de Rooij, Fatma Shanan, Sally von Rosen, und Lisa Long. Das Gespräch geht also weiter.
Performances mit der Neuen Nationalgalerie
Yoko Onos ›Cut Piece‹ ist ein kanonisches Werk der feministischen Performancekunst. Für diese Arbeit, die 1964—und damit vor bald 60 Jahren—in Kyoto zum ersten Mal aufgeführt wurde, saß die Künstlerin einfach nur still da. Die aktive Rolle übernahm stattdessen das Publikum, das ihr sukzessive die Klamotten vom Körper schnitt, bis Ono nackt zurückblieb. Während der Berlin Art Week wird diese bahnbrechende Performance, die von Stärke wie Verletzlichkeit gleichermaßen erzählt, einmal pro Tag im Glaskubus der Neuen Nationalgalerie wiederaufgeführt. Draußen vor der Tür wird am Wochenende zudem ein Programm mit Berliner Performer*innen zu sehen sein. Mit dabei: Göksu Kunak. Im Zentrum ihrer Performance ›Venus‹ steht das Auto—dieses ewige Klischee und Kondensationspunkt unzähliger Fantasien. Kunak wird ganz bewusst noch weitere Klischees, Fremdzuschreibungen und Medienbilder aufeinanderschichten, um Fragen von Gender, Migration, inhärenten Orientalismen, Freizügigkeit und sozialer Exklusion nicht zuletzt entlang der Achse der Mobilität und des Stadtraums zu verhandeln. Die Bilder werden verkompliziert, uneindeutiger, die Assoziationsketten verschaltet. Die einen fahren schnell und dürfen das, die anderen sind zum Warten verdammt und treten buchstäblich auf der Stelle. Die einen haben PS, die anderen cruisen mit dem Elektroroller von Bolt durch die nächtliche Stadt.
DJ-Sets mit Refuge Worldwide
Please don’t stop the music—Refuge Worldwide mit seinen über 200 Berliner Residents kuratiert für den BAW Garten, so Mitgründer Richard Akingbehin, ein »breites Programm aus Ambient Sounds, Deep Pop and guten Vibes«. Er selbst wird am MI, den 13 SEP, zusammen mit Georg Patrik alias No Plastic, ebenfalls Mitgründer, auflegen—es folgen DJ Fire Abend, Gabi & Jopo und Alias Error. Was 2015 als Fundraising-Plattform gegründet wurde, die mit gemeinnützigen Organisationen wie einem Frauenhaus, Geflüchtetenunterkünften oder Obdachlosenorganisationen zusammenarbeitet, entwickelte sich 2021 zu Refuge Worldwide—einem Radiosender im Herzen Neuköllns, der dienstags bis freitags online live streamt und neben dem musikalischen Programm auch gesellschaftlich relevante Themen wie Nachhaltigkeit oder mentale Gesundheit verhandelt. Die ideale Gelegenheit für alle Besucher*innen der Berlin Art Week, den Tag mit einem Getränk und guter Musik ausklingen zu lassen, während die Sonne über dem Kulturforum untergeht.