»Langweilig und kompliziert zu sein ist nicht sehr ansprechend.«

von 
Tactical Tech, 2022 © www.perfectprime.com

Seit fast 20 Jahren unterstützt die Berliner NGO Tactical Tech Menschen auf der ganzen Welt dabei, kritisch mit digitalen Technologien umzugehen und Technologie klug und verantwortungsvoll einzusetzen. Für die Berlin Art Week tut sich die preisgekrönte Organisation mit dem HAU Hebbel am Ufer für eine Ausstellung im öffentlichen Raum zusammen. Es geht um die diversen Krisen der Gegenwart—und darum, was Technologie zu ihrer Lösung beitragen könnte. Wir haben mit Marek Tuszynski gesprochen, einem der Mitbegründer von Tactical Tech und Co-Kurator der Ausstellung.

›Everything Will Be Fine‹ heißt die Ausstellung, die Sie während der Berlin Art Week gemeinsam mit dem HAU Hebbel am Ufer realisieren. Ist so ein Titel angesichts des ständigen Stroms schlechter Nachrichten heutzutage nicht ein wenig sarkastisch?

Marek Tuszynski: Naja, »Alles wird gut« ist eine Floskel, die wir alle häufig verwenden, oder? Denn sie gibt uns irgendwie Hoffnung. Und selbst wenn wir letztlich nicht daran glauben, dass die Dinge sich zum Besseren wenden, hilft es eben, zu hören, dass es ja vielleicht doch irgendwie so kommen könnte. In der Ausstellung, die in einer kreisförmigen Konstruktion im öffentlichen Raum gezeigt wird, adressieren wir den Klimawandel, die diversen aktuellen Konflikte—also all die komplexen globalen Probleme. Und natürlich klingt ›Everything Will Be Fine‹ da ein klein bisschen sarkastisch. Aber wir mögen diese Mehrdeutigkeit. Eigentlich wissen wir alle ganz gut, wo die Probleme liegen, und wir haben auch jede Menge Ideen, woher sie kommen, und wer dahintersteckt. Aber als Gesellschaft haben wir immer noch keine richtige Idee davon, was tatsächlich zu tun ist, um sie zu lösen.

 

Welche Rolle könnten digitale Technologien dabei spielen?

Unsere Ausstellung konzentriert sich darauf, wie Technologie grundsätzlich nicht nur unser Verständnis heutiger Krisen prägt, sondern auch unsere Fähigkeit, Lösungen zu entwickeln. Jetzt aber versuchen wir erst einmal, die Punkte miteinander zu verbinden. Einerseits baut sich überall eine massive Krise auf, und andererseits ist Technologie allgegenwärtiger als je zuvor. Alles, was wir tun, wird durch Technologie vermittelt. Und wir sagen erst einmal: Wenn die Ursachen von Technologie abhängen, dann tun das auch die Lösungen.

 

Ist das nicht gefährlich nah am ›Solutionismus‹, wie er im Silicon Valley verbreitet ist? Also an der Idee, dass technologische Innovation alle Probleme der Menschheit lösen wird?

Meiner Meinung nach sind wir alle Techno-Idealist*innen, ob uns das gefällt oder nicht. Selbst diejenigen unter uns, die in Bezug auf Technologie paranoid sind, begreifen sie immer noch als Teil des Diskurses. Es gibt zahllose Menschen auf der Welt, die keinen direkten Zugang zu digitalen Technologien haben, Menschen ohne Mobiltelefone und ohne Internetzugang. Aber selbst sie sind von Technologie umgeben. Technologie regiert sie über Satelliten und Überwachungskameras; ihre Stimmen werden bei den Wahlen elektronisch ausgezählt; ihre Ärzt*innen sammeln Daten. Diese Liste ließe sich ewig weiterführen. Aber natürlich muss man eine allzu vereinfachte Idee von Technologie als Lösung aller Probleme vehement kritisieren. Und genau das machen wir.

 

Wird das in der anstehenden Ausstellung eine Rolle spielen?

Mit ›Everything Will Be Fine‹ wollen wir zeigen, dass es reichlich Menschen da draußen gibt—und einige von ihnen sind eben Künstler*innen—die sich mit unserer Abhängigkeit von der Technologie und ihrem Kontext auseinandersetzen. Das ist die erste Schicht der Ausstellung. Und in der zweiten wollen wir das Bewusstsein für die vielen Nuancen schärfen, die uns durch unsere Form der Technologienutzung prägen. Wir müssen uns genau ansehen, wie und von wem Technologie gestaltet wird und was passieren würde, wenn wir besser darin wären, andere Ideen zu entwickeln. Und damit meine ich gerade nicht die Ideen aus dem Silicon Valley, nicht alle diese westlichen Theorien der Kybernetik, die nach dem Zweiten Weltkrieg so verbreitet waren. Wir müssen versuchen, kreativer zu denken, auch spekulativer. Wir müssen die Dinge kritisch bewerten und nicht einfach jeder Technologie vertrauen, die entwickelt und auf den Markt gebracht wird. Technologie produziert eine Menge Probleme. Aber sie löst auch gleichzeitig welche.

 

In der Vergangenheit lag der Fokus von Tactical Tech sehr stark auf Fragen von Kontrolle und Überwachung. Hat sich das im Kontext der heutigen Krise verändert?

Die Frage nach Überwachung und Kontrolle ist extrem wichtig. Und ja, das stimmt, früher waren Fragen der Privatsphäre zentral für Tactical Tech. Aber die Situation ist jetzt eine andere. Vor 15 Jahren waren diese Fragen die Hauptthemen, und ohne die Fragen von staatlicher Kontrolle und Überwachung herunterspielen zu wollen—wir sehen das immer noch als ein Riesenproblem—, hat sich der Fokus doch leicht verschoben. Wenn man mit einer sehr großen Krise konfrontiert ist, muss man sich irgendwie herauszoomen, muss die Dinge von der Seite betrachten. Es kann gut sein, dass wir als Gesellschaft und als Individuen Teile unserer Privatsphäre aufgeben müssen, um Lösungen für die heutigen drängenden Problem zu finden. Und das ist eines der zentralen Dilemmata, über die wir sprechen müssen.

 

Können Sie ein Beispiel geben?

Wenn wir mit sehr großen Problemen konfrontiert werden, brauchen wir auch große Lösungen. Und sofort sind wir mittendrin in der Diskussion über Big Data. Natürlich müssen wir über all die Akteur*innen sprechen, die ethische Rahmenvorgaben nicht einhalten und Big Data einfach nur zum Geldverdienen und nichts anderes einsetzen—oder mit noch schlimmerer Absicht Macht und Kontrolle mehren wollen. Aber wir sollten darüber nicht diejenigen vergessen, die Big Data verwenden, um dringende Probleme zu lösen. Wir müssen aktiv darüber sprechen, was nötig ist, um bestimmte demokratische Kontrolle zu ermöglichen. Wir müssen auch unbedingt damit aufhören, Technologie als einen neutralen Raum zu sehen. Wenn beispielsweise das Silicon Valley verspricht, dass »alles gut wird«, müssen wir immer fragen: gut für wen? Und wer sagt das?

 

Das ist dann eine durch und durch politische Frage.

Ja. Technologie ist absolut untrennbar mit dem Politischen verbunden. Es gibt Gründe dafür, wenn nicht gleich paranoid, dann doch zumindest besorgt und nervös zu sein. Denn die Dinge verhalten sich immer willkürlicher und bewegen sich zunehmend in die falsche Richtung.

 

Würden Sie dann sagen, dass »Everything Will Be Fine« eine realistische oder optimistische Sicht bietet?

Wir wollen die Frage von der Dichotomie utopisch oder dystopisch, positiv oder negativ lösen. Wir sagen nicht, dass alles toll sein wird, aber wir sagen auch nicht, dass wir alle verloren sind. Wenn man will, dass Leute sich interessieren, braucht man ansprechende Narrative. Und weder utopische noch dystopische Narrative sind auf lange Sicht besonders ansprechend, denn beide vermitteln ein Gefühl von Machtlosigkeit. Wir wollen die Dinge lieber auf eine mehrdeutige Art zeigen, interessant und komplex. Wir wollen im Kopf der Leute einen Dialog auslösen—gleichzeitig »Ich finde das gut« und »Ich finde das nicht gut«. Wenn man das erreicht, kann man Beteiligung und Engagement auslösen.

 

Wo würden Sie die Ausstellung hinsichtlich der anderen Projekte von Tactical Tech in den letzten Jahren positionieren?

Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass wir keine Kunstausstellungen im herkömmlichen Sinn machen. Wir versuchen, die bestehenden Möglichkeiten zur Einbindung der Öffentlichkeit neu zu gestalten, sodass die Räume, die wir erschaffen und zusammenstellen, zu öffentlichen Räumen werden, in denen wir mit bestimmten Publikumsgruppen in einen Austausch treten können. Und dafür kann Kunst sehr hilfreich sein, obwohl sie keineswegs der einzige Parameter ist. Unsere Räume sind als lebendige Räume gedacht. Vielleicht ein bisschen wie ein Apple Store oder so—aber umgekehrt. Das Design unseres letzten Ausstellungsprojekts ›The Glass Room‹ über Daten und die Privatsphäre hat sich absichtlich an solchen Verkaufsräumen orientiert; Räume, die man kennt und in denen man sich wohlfühlen soll, selbst wenn man sich da nichts leisten kann; Räume, die einen Blick in die Zukunft ermöglichen—trauriger Weise aber eben aus einer sehr engen und räuberischen Perspektive.

 

Also ist das Ausstellungsformat vor allem eine Schnittstelle, um mit Menschen in Verbindung zu treten?

So könnte man sagen, genau. Und für uns als Organisation ist es ein Weg, qualitativ hochwertigen Output zu generieren, sowohl in technischer als auch in konzeptueller Hinsicht. Hier haben wir volle kuratorische Kontrolle und können unterschiedliche Narrative und Formate ausprobieren. Wir können entscheiden, was funktioniert und was nicht. Und daraus können wir in der Zukunft neue Erlebnisse schaffen—und das Projekt durch unterschiedliche Iterationen vorantreiben und ein weltweites Publikum erreichen.

 

Sie haben gerade Tactical Techs Projekt ›The Glass Room‹ erwähnt. Auch dieses Projekt hat eine Reihe von unterschiedlichen Iterationen durchlaufen, richtig?

In der Tat. Nach einer großen Ausstellung gab es eine Reihe kleinerer Auflagen desselben Projekts, das dann in Bibliotheken, Schulen oder Gemeindezentren auf der ganzen Welt gezeigt wurde. Bei ›Everything Will Be Fine‹ versuchen wir von Anfang an, mehr an die Öffentlichkeit zu gehen—die Ausstellung findet ja in einer ballonartigen Struktur im öffentlichen Raum statt. Wir werden sehen, wie das funktioniert. Vielleicht geht sie auf Reisen, so wie sie ist, aber wir planen auch, den Inhalt in andere Formate zu übersetzen und ihn an andere Organisationen weiterzugeben, die dann damit arbeiten können.

 

2016 haben Sie und Tactical Techs Mitgründerin Stephanie Hankey gemeinsam mit Anselm Franke die Ausstellung ›Nervous Systems‹ im Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin kuratiert. Wie ist Tactical Tech nach mehr als einem Jahrzehnt Arbeit als eine NGO bei der Kunst gelandet?

Damals, das war 2014 oder 2015, gab es etliche Ausstellungen, die das Konzept von Quantifizierung, Technologie und Daten in den Ausstellungsraum bringen wollten. Aus unserer Perspektive als einer NGO, die sich von einem entschieden politischen Standpunkt aus zumeist mit Technologiefragen beschäftigt, haben diese Ausstellungen das Thema meist auf die eine oder andere Art verfehlt. Kein von ihnen war politisch genug oder hat die Besucher*innen genug mit einbezogen. Sie haben Technologie und Daten oft auf eine sehr verengte oder effekthascherische Art präsentiert. Also haben wir ein Konzept geschrieben—und das wurde dann vom HKW angenommen. Für Stephanie Hankey, mit der ich 2003 Tactical Tech gegründet habe, und mich war das gar nicht einmal so neu, sondern eher eine Gelegenheit, dahin zurückzukehren, wo wir beide herkommen. Wir haben nämlich beide einen Hintergrund in der Kunst. Ich habe eine ganze Reihe von Ausstellungen kuratiert, bevor wir die NGO gegründet haben, aber habe irgendwann damit aufgehört, weil das Ausstellungsmachen nicht genug politische Wirkung entfalten konnte. Um 2014/15 herum hatten wir aber einen Punkt erreicht, an dem wir eine Menge Wissen und Know-how angesammelt hatten. Wir schauten uns an, was wir bisher gemacht hatten, und uns wurde klar, dass ein Schlüsselelement stets das Kuratieren war, und das Erschaffen von Narrativen, die ansprechend sind und zum Mitdenken anregen.

 

Was hat der Kunstsektor einer NGO wie Ihrer zu bieten?

Mit etablierten Institutionen wie dem HKW, der Mozilla Foundation oder jetzt dem HAU zu arbeiten, ist natürlich sehr vorteilhaft, aber es ist nur eine Seite dessen, was wir tun. Es ist uns immer wichtig, unterschiedliche Publikumsgruppen zu mischen, Künstler*innen mit Wissenschaftler*innen zusammenzubringen, Forscher*innen mit Journalist*innen, und so weiter. Aber die Kunst gibt uns definitiv den größten Freiraum, Dinge zu präsentieren und um zu experimentieren. Außerdem ist die visuelle Kommunikation einfach eine der stärksten Formen der Kommunikation. Die meisten der Künstler*innen, mit denen wir zusammenarbeiten, arbeiten evidenzbasiert. Sie arbeiten zu diesen Themen mehr oder weniger auf dieselbe Art wie Forscher*innen, ihre Praktiken zeichnen sich durch große Stringenz aus. Aber sie haben auch die Fähigkeit, ihre Forschung in etwas ganz anderes zu verwandeln, womit sich das Publikum dann sehr direkt und provokant fesseln lässt. Und das ist enorm wichtig, wenn es um Technologie geht. Denn über Technologie zu sprechen kann oft ziemlich langweilig sein. Technologie ist kompliziert. Und langweilig und kompliziert zu sein ist nicht sehr ansprechend. Es nimmt die Leute nicht mit.

 

 

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