Sven Johne

von 
Sven Johne, Foto: Kemm's

Sven Johne über Schädelfrakturen aus der Bronzezeit, sein ungewöhnliches Mietshaus in Berlin und die tägliche Morgenroutine

Woran arbeiten Sie gerade?
In der Bergbauregion Lausitz werden aus Braunkohletagebauen nach und nach riesige Seen. Wo Förderbrücken standen, entstehen Marinas. Und ein Bergmannschor schult um auf Shanty-Chor. Statt »Glück auf« nun »Ahoi«. Das würde ich gern filmisch begleiten. Parallel sitze ich mit meinem Freund und Kollegen Sebastian Orlac an einem neuen Schreibstoff: im Tal des mecklenburgischen Flüsschens Tollense befindet sich das älteste bekannte Schlachtfeld Europas. In der Bronzezeit schlugen sich hier ungefähr 4.000 Menschen buchstäblich die Köpfe ein. Es ging wohl um die Kontrolle eines wichtigen Handelsweges. Und um Bronze. Wir fragen uns: Was können uns diese 3.300 Jahre alten Schädelfrakturen über unsere Gegenwart erzählen?

Was lesen oder hören Sie gerade?
Ich lese oft parallel und ziemlich querbeet. Gerade Katja Hoyers ›Diesseits der Mauer‹ beendet, im Urlaub Nina Haratischwilis ›Das achte Leben‹ und ›Secondhand-Zeit‹ von Swetlana Alexijewitsch, weil ich verstehen wollte, was  ›Nachwendezeit‹ im postsowjetischen Raum bedeutete. Und ich mache jeden Morgen eine kleine Presseschau, von links nach rechts. Das ist Teil meiner Arbeit.

Was braucht es für gute Kunstvermittlung?
Ich würde sagen, es beginnt schon in der Schule. Mit Lehrenden, die ein Interesse für Kunst und die Gedankenwelten von Künstlerinnen und Künstler wecken können. Kunst hat eine große gesellschaftliche Relevanz und auch Kinder begreifen, dass Kunst auch ihnen etwas über ihr Leben berichten kann, dass hier Gefühle verstärkt werden, Trost gespendet wird oder dass Kunst auch Freude bereitet. Kunst kann Anlass sein für eine Selbstbefragung: warum Ablehnung, warum Zustimmung? Wenn man da einen Zugang erreicht, gehen diese Menschen später sehr wahrscheinlich unbefangener und offener ins Museum. Ich beobachte das bei meinen Kindern, die sich selbstbewusst Kunstwerken nähern. Es ist der Verdienst ihrer Kunstlehrerin, danke! Allerdings finden sie meine Arbeiten langweilig und sie werden nicht müde, mir das auch mitzuteilen.

Haben Sie ein Lieblingsgebäude?
Ja, das Mietshaus, in dem ich lebe und arbeite. Die Vermieterin ist—völlig zeituntypisch—daran interessiert, eine solide Berliner Mischung aufrecht zu erhalten. Meine Nachbarn sind Taxifahrer, Handwerker, Sozialarbeiter, Studenten, Lehrer, arbeitslose Menschen. Unten im Haus ist ein Buchbinder. Die Mieten sind vergleichsweise niedrig und es macht was mit den Menschen, wenn man nicht jeden Monat diesen Scheißdruck hat. Wir treffen uns im Hausflur und sprechen miteinander. Ich hoffe, sie verkauft dieses Haus niemals.

Wen würden Sie gerne einmal kennenlernen?
Meinen leiblichen Vater, wenn es denn eine noch lebende Person sein soll. Wenn es jedoch eine Person der Zeitgeschichte sein darf, muss ich überlegen, mit wem überhaupt ein für beide Seiten befriedigendes Gespräch möglich wäre. Die Person sollte ja auch ein Interesse an meiner Zeit haben. Ich schwanke zwischen Ernst Jünger und Rosa Luxemburg.

Haben Sie ein tägliches Ritual?
Nicht im engeren Sinn des Wortes, eher Routinen. Ich gehe jeden Morgen mit unserer Hündin auf eine große, grüne Brache zwischen zwei S-Bahn-Linien. Wundersamerweise hat die Immobilienwirtschaft dieses Gelände noch nicht entdeckt, vielleicht ist aber auch nur der Boden mit Schwermetallen verseucht. Jedenfalls: das Tier läuft hier frei und ich werde frei. Gehen tut mir gut. Ich bin Hardcore-Fußgänger.

Welcher Gegenstand darf nicht fehlen?
Hundekackebeutel. Am Abend: Zigaretten.

Was ist Nachhaltigkeit für Sie?

Weniger fressen, weniger shoppen, weniger Besitz. Begreifen, dass Verzicht kein Mangel ist. Ich habe 2020 das Auto abgeschafft. Ich hatte ungefähr ein Jahr lang ein regelrechtes Auto-Turkey. Jetzt ist das überwunden. Die Deutsche Bahn arbeitet zwar beständig daran, mich davon zu überzeugen, eine neue Karre anzuschaffen, aber dann denke ich schnell an diese stumpfsinnigen Fahrten auf der A2, wo meine Kinder nur meinen Rücken gesehen haben. Jetzt sehen sie mich von vorn, glücklich Bier trinkend. Und wir haben die Nachtzüge entdeckt. Abends im grauen Berlin ins Bett steigen, morgens im sonnigen Budapest aufwachen. Finde ich cool. Zum Thema Nachhaltigkeit und Kunstbetrieb ließe sich noch viel sagen. Ich bin jahrelang schön mit dem Billigflieger zu Ausstellungen und Biennalen geflogen. Habe ich mittlerweile keinen Bock mehr drauf.

Was wünschen Sie sich für Berlins Kunst- und Kulturlandschaft?
Ich wünsche mir ganz allgemein eine lebenswerte Stadt für alle Einkommensschichten. Wenn es keine günstigen Wohn- und Arbeitsräume gibt, gibt es auch keine Künstlerinnen und Künstler. Dann gibt es auch keine Off-Spaces und keine kleineren Galerien. Keine Experimente, kein Ausprobieren, keinen Punk. Dann ist die Stadt einfach nur tot. Ich war mal vier Wochen in Hong Kong. Abends wusste ich nicht, wohin. Ein schrecklich öder Ort.

Was machen Sie nach getaner Arbeit?
Mathe üben mit meiner Tochter. Am Abend gehe ich spazieren. Mit oder ohne Hund.

 

 

DAS KÖNNTE IHNEN AUCH GEFALLEN