»Zwei Probleme sind besser als eins.« 

von 
X Properties/nGbK 2022 © Naomi Hennig

Ein Gespräch mit der nGbK über Gegenwart und Zukunft der Institution zwischen Zentrum und Peripherie

Wer mit der nGbK sprechen möchte, der spricht immer mit mehreren. Schließlich wird in der 1969 gegründeten „neuen Gesellschaft für bildende Kunst“ die Basisdemokratie großgeschrieben. Und so erscheinen zum Interview dann auch gleich drei Beteiligte: Annette Maechtel, die amtierende Geschäftsführerin, sowie Jochen Becker und Constanze Musterer von der Arbeitsgruppe initiative urbane kulturen.

Der Anlass des Gesprächs: Gegenwart und Zukunft der Institution nGbK. Denn nach jahrelangen Querelen mit dem neuen Eigentümer des Gebäudes in der Oranienstraße, in dem die nGbK seit 1992 zuhause war, musste der Kunstverein diesen Sommer seine Räume abgeben. In Zukunft wird der Verein in einem neu zu errichtenden Pavillon auf der Karl-Marx-Allee unterkommen, aber bis es soweit ist, dauert es noch. Gleichzeitig hat die nGbK mit der seit 2014 unterhaltenden station urbaner kulturen in Hellersdorf ein zweites Standbein an der Peripherie etabliert. Wie also geht es weiter, zwischen dem Rand der Stadt und deren Mitte?

 

 

Seit Mitte Juli 2022 sind die Ausstellungsräume der nGbK in der Kreuzberger Oranienstraße Geschichte. Ich kann mir vorstellen, dass Sie bis zuletzt darum gekämpft haben, hier zu bleiben, oder? 

Annette Maechtel: Natürlich wären wir gerne geblieben. Aber es hat nicht funktioniert. 2019 ist das Haus, in dem wir seit 1992 unsere Büros und unsere Ausstellungsräume hatten, an einen Immobilienfonts in Luxemburg verkauft worden. Als wir bei der Hausverwaltung nachfragten, ob und zu welchen Konditionen wir den Mietvertrag, der zum 15 JUL 2022 auslief, verlängern können, hieß es, wir sollten unsere Bilanzen einschicken. Das haben wir dann gemacht—und nie mehr was gehört. Am Beispiel des Buchladens Kisch & Co., der im selben Haus ansässig war und dessen Mietvertrag schon vor mehr als einem Jahr auslief, konnten wir in der Zwischenzeit beobachten, wie es auch bei uns weitergehen würde. Die Strategie war einfach: Sich nicht melden, die Mieter zappeln lassen und kurz vor knapp ein Angebot machen, das aber nicht wirklich annehmbar ist. Da wir unsere Unterlagen eingeschickt hatten, war ja auch transparent, was wir uns leisten können und was nicht. Irgendwann wurde also klar, dass wir hier im Haus keine Zukunft mehr haben, da es dem Investor im Grunde darum ging, das Haus leerzubekommen. Die Ausstellungsräume sind inzwischen zu. Für unsere Büroräume haben wir immerhin noch eine Verlängerung bis AUG 2023 bekommen.

 

Hat sich die Politik nicht dafür eingesetzt, dass diese ja doch recht traditionswürdige Institution in der Oranienstraße bestehen bleibt?

AM: Doch. Wir hatten mit den diversesten Kulturpolitiker*innen gesprochen und alle sagten zu, uns bei den Verhandlungen zu unterstützen. Nur: Zu Verhandlungen kam es nie. Wir sind in der Immobilienfrage an einem Punkt angekommen, an dem es gar nicht mehr um Verhandlungen geht; ein Punkt, an dem die Politik überhaupt keinen Einfluss mehr nehmen kann—und diesen Verlust an Handlungsspielraum teilweise noch nicht einmal realisiert hat.

 

Wie geht es also weiter mit der nGbK?

AM:  Uns war schnell klar, dass es schwer werden würde, in Kreuzberg zu bleiben. Hier ist der Bedarf öffentlicher Institutionen—Altersheime, Kitas und so weiter—so groß und die Flächen so spärlich, dass auf längere Sicht alles vergeben ist. Der Senat für Kultur und Europa sprang letztlich in die Bresche und hat uns angeboten, zusammen mit dem Werkbundarchiv—Museum der Dinge in einen der Pavillons zu ziehen, die auf der Karl-Marx-Allee in Mitte neugebaut werden sollen. Diese Pavillons sind bereits in den originalen Bebauungsplänen für dieses denkmalgeschützte Bauensemble verzeichnet, wurden aber nie realisiert. Schon in den ursprünglichen Plänen ist übrigens vermerkt, dass diese Gebäude einer kulturellen Nutzung vorbehalten sein sollen. Bauherrin ist die WBM, finanziert wird der Bau vom Senat. Wir ziehen also in eine landeseigene Immobilie, noch dazu wird uns für eine bestimmte Zeit auch eine recht günstige Miete eingeräumt. Vor dem Hintergrund des Ausverkaufs der Stadt ist das das Entscheidende. Denn nur eine landeseigene Immobilie bietet für eine Institution wie uns auf Dauer eine gewisse Sicherheit. Im Zuge der Verhandlungen mit dem Senat wurde dann auch klar, dass zu einem solchen Standort auch eine gesicherte Finanzierung gehört. Und so haben wir parallel auch einen properen Haushaltstitel bekommen. Zwei Probleme sind manchmal eben besser als eins—und die Zukunft der nGbK zum Glück erst einmal gesichert.

Jochen Becker: Natürlich ist es auch viel nachhaltiger, kommunales Geld nicht in den Rachen der Investor*innen zu werfen. Da hat die letzten Jahre definitiv ein Umdenken auf Seiten der Politik stattgefunden. Man zahlt lieber in eigene Institutionen ein und sichert sie durch Bildung von Eigentum zudem ab, als dass man die Spekulation nur noch weiter anheizt, indem man privatwirtschaftliche Objekte kulturell prestigeträchtig bespielen lässt, nur damit diese dann eben doch irgendwann gewinnbringend abgestoßen werden.

AM: Für eine Straße wie die Oranienstraße ist es zudem fatal, dass Gewerbemieten anders als Wohnungsmieten nicht dem Milieuschutz unterliegen. Da sehe ich auch definitiv noch einmal gesetzlichen Nachbesserungsbedarf. Denn Räume wie der Buchladen bei uns im Haus oder auch unser Verein sind wichtig für den öffentlich Raum einer Stadt und ermöglichen den Austausch zwischen den Anwohnenden. Wenn sich deren Miete aber beliebig erhöhen lässt, dann sind sie auf einem aufgeheizten Immobilienmarkt ständig in Gefahr. Während der Berlin Art Week werden wir—auch wenn wir dort keine Ausstellungsräume mehr haben—mit dem Projekt X Properties in Veranstaltungen im öffentlichen Raum und in Vorträgen die Finanzialisierung der Stadt am Beispiel der Situation in der Oranienstraße unter die Lupe nehmen. Was uns passiert ist, kann letztlich auch vielen anderen Institutionen passieren.

 

Nun ist die Zukunft zwar gesichert, Ihr Pavillon muss aber erst einmal gebaut werden. Wann soll er denn fertig werden? Und vor allem: Was machen Sie bis dahin?

AM: Erst hieß es, der Pavillon wird schon 2024 fertiggestellt. Das hätten wir noch irgendwie überbrücken können. Längst ist aber klar, dass es eher 2027 oder sogar noch später wird. Wir mussten also eine Zwischenlösung finden. Da passte es dann ganz gut, dass wir sowieso schon mit dem Senat und der WBM im Gespräch waren. Über die WBM haben wir einen Raum in der Karl-Liebknecht-Straße unmittelbar am Alexanderplatz bekommen, der bislang eine Systemgastronomie beheimatet hatte. Wir haben zudem ein nachhaltiges Zwischennutzungsmodell installiert—nicht wir mieten diese Flächen an, sondern die Kulturraum Berlin GmbH. Das heißt zum einen, dass wir recht zügig und unkompliziert ausziehen können, sollte der Pavillon fertig werden. Und das bedeutet zum anderen, dass die Räume über diesen Träger weiter für kulturelle Nutzungen zur Verfügung stehen. Natürlich muss auch dieser Raum erst einmal hergerichtet werden. Momentan planen wir, zur Berlin Art Week nächstes Jahr dort unsere ersten Projekte zu präsentieren. Bis dahin greifen uns der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien und die Berlinische Galerie mit Kooperationsprogrammen unter die Arme. Diese Kollegialität zu spüren ist schon fantastisch!

 

Bislang haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, dass die nGbK seit 2014 auch noch einen anderen Standort unterhält—nämlich die station urbaner kulturen in Hellersdorf. Die wird ja weiter bespielt, richtig? Ist dieser Außenposten in der Peripherie, um es einmal so zu nennen, nun so etwas wie das neue Hauptquartier geworden, jetzt, da das Stammhaus in der Oranienstraße weggefallen ist?

JB: So wichtig die station urbaner kulturen für den Verein geworden ist, können und wollen wir mit Hellersdorf keinen Ersatz für die Oranienstraße bieten. Die Lücke in Kreuzberg bleibt und soll auch als solche sichtbar bleiben.

AM: Aber natürlich hat das Vorhandensein dieses zweiten Standorts in Hellersdorf dazu beigetragen, dass uns der Boden nicht vollends unter den Füßen weggezogen wurde. Wir haben tatsächlich auch dort nach größeren Räumen gesucht, aber auch in Hellersdorf sind die Mietpreise inzwischen astronomisch. Und noch etwas: Wir haben uns als nGbK angesichts der aktuellen Situation noch einmal ganz anders mit der Frage unseres Institutionsmodells auseinandergesetzt. Im Grunde war die nGbK nämlich nicht nur basisdemokratisch, sondern auch immer schon dezentral angelegt. Bevor wir 1992 in die Oranienstraße zogen, hatte die nGbK zwar für eine Weile Büroräume am Tempelhofer Ufer, aber eigentlich nie einen festen Ausstellungsraum. Der Standort in Hellersdorf—dessen Finanzierung inzwischen übrigens auch gesichert ist—hat uns sehr geholfen, dieses in unserer Geschichte angelegte dezentrale Element noch einmal weiterzudenken und in die Peripherie zu erweitern.

 

Wie kam es eigentlich dazu, dass die nGbK sich 2014 entschlossen hatte, einen dauerhaften Raum in Hellersdorf zu eröffnen?

Constanze Musterer: Die nGbK richtet ja seit Anfang der 1990er-Jahre ›Kunst im Untergrund‹ aus, für das die Hintergleisflächen diverser Berliner U-Bahnhöfe mit künstlerischen Beiträgen bespielt werden. Das Projekt ist über 60 Jahre alt, wurde in der DDR gegründet, lag dann eine Weile auf Eis und wurde in den 1980er-Jahren wiederbelebt. Und als nach dem Mauerfall eine neue institutionelle Anbindung dafür gesucht wurde, bot sich die nGbK an. Sie hatte als Westberliner Institution immer schon recht starke Kontakte in den Ostteil der Stadt gepflegt und war durch die basisdemokratisch ausgerichtete Vereinsstruktur auch organisatorisch porös und niederschwellig genug, um ein solches Projekt hier unterzubringen. Die station urbaner kulturen in Hellersdorf ist mehr oder weniger eine Folge von ›Kunst im Untergrund‹.

JB: Genau. Denn irgendwann wollten wir auch außerhalb des Untergrunds in der Stadt einen diskursiven und kontextualisierenden Raum haben. Wir sind bewusst in die Außenbezirke gegangen, aber dass es ausgerechnet Hellersdorf wurde, war zunächst nicht ausgemacht. Es hätte auch Spandau werden können. Damals aber, um Mitte der 2010er-Jahre, strandeten viele Geflüchtete dort in der östlichen Peripherie der Stadt. Die NPD machte Stimmung dagegen. Schnell war dann klar, dass Hellersdorf der richtige Ort für ein solches Engagement ist.

 

Das war aber nicht der einzige Grund, oder?

JB: Der Stadtteil Hellersdorf hat ca. 85.000 Einwohner*innen. Eine Stadt wie Cottbus hat mit 100.000 Einwohner*innen nur unwesentlich mehr. Cottbus aber hat ein Vierspartentheater, eine Universität und und und … In Hellersdorf gibt es immerhin eine spezialisierte Fachhochschule, aber kaum Ausstellungsflächen, kein Theater, nicht mal ein Freibad. Wäre Hellersdorf eine eigenständige Stadt, dann wäre das unfassbar. Aber da es zu Berlin gehört, heißt es immer: Fahrt doch nach Mitte, da gibt’s ja alles! Doch Berlin ist eine derart dezentrale, kiezorientierte Stadt, da machen die Leute das nicht einfach mal so. Außerdem ist es auch eine Frage niederschwelliger kultureller Bildung, dass die Jugendlichen einfach vor Ort irgendwo hineinstolpern können. Das wird von Seiten der Politik sträflich vernachlässigt.

 

Und das soll die station urbaner kulturen ändern.

JB: Natürlich lässt sich so ein kulturelles Defizit mit einem kleinen Ladenlokal bei Weitem nicht ausgleichen. Ich würde eher sagen, wir erinnern daran, was noch alles zu tun ist—und daran, dass auch die sogenannte Außenstadt Respekt verdient hat und man dort eine Grundversorgung mit Kultur gewährleisten muss.

CM: Und wir versuchen hier und da, ein Transmissionsriemen für die anderen Stimmen in Hellersdorf zu sein, diejenigen, die außerhalb nicht so schnell Gehör finden. Vor Ort ist die station urbaner kulturen nicht zuletzt auch ein Debattenraum. In einer Ausstellung Anfang dieses Jahres hatten wir in einer Art Revision unser Archiv der letzten sieben Jahre in Hellersdorf ausgebreitet. Da wurde auch noch einmal deutlich, wie wichtig die Beteiligungsformate und die partizipativen Projekte für diesen Standort sind. Und wie sich die aktive Teilnahme und Neugier der Anwohnenden nachhaltig verändert hat hin zu eigenen kleinen Initiativgruppen.

 

Da hat sich also etwas verschoben?

JB: Anfangs sind wir stark über identifikatorische Brücken gegangen—also: Ostbiografie, Großsiedlung, die gesellschaftliche Situation vor Ort. Inzwischen ist da aber etwas passiert. Jetzt hört man öfter: „Lasst doch mal Hellersdorf beiseite, wir wollen über was anderes diskutieren.“ Extrem spannend! Und wenn dann eine Künstlerin wie Katharina Sieverding vorbeikommt und über Joseph Beuys berichtet, dann steckt man sofort mittendrin in einem Gespräch über Kunst—und geht somit auch über Stadtteilpolitik und Identitätsfragen hinaus.

 

Das war sicher ein langer Weg bis zur Akzeptanz vor Ort, oder?

JB: Anfangs war das nicht einfach. Uns schlug eine Erwartungshaltung entgegen: Wir sollten doch mal machen. Liefern. Wir wurden erst einmal angesprochen wie eine Behörde. Damals haben wir bewusst eine Art ›strategischen Paternalismus‹ betrieben—also viel aktiv angeschoben und angeregt. Allmählich aber beginnen die Dinge von selbst zu laufen und Personen vor Ort gründen bundesweit erfolgreiche Cricket-Clubs oder Gärten.

AM: Bei dieser Art von Arbeit ist Kontinuität ganz wichtig. Der Austausch braucht Vertrauen. Deswegen ist es auch toll, dass wir es nun geschafft haben, auch die station urbaner kulturen dauerhaft zu finanzieren und nicht nur über eine klassische Projektförderung mit Anfang und Ende. Denn ein solches Projekt funktioniert nur langfristig—oder gar nicht.

JB: Viele Leute warteten auch erst einmal ab. Da sind schon so viele Projektsäue durchs Dorf getrieben worden, um es einmal so zu nennen, inklusive diverser Partizipationsmodelle. Aber nach zwei Jahren waren dann immer alle weg. Das haben wir zu spüren bekommen und das wurde uns im Nachhinein auch so gesagt. Die Leute wollten eben erst einmal sehen, ob wir es ernst meinen und wie lange wir durchhalten. Allmählich aber, so habe ich das Gefühl, sind wir dort angekommen.

 

Um die Perspektive einmal umzudrehen: Wie blickt man denn aus der Peripherie aufs Zentrum? Die nGbK ist ja momentan, wenn man so will, in der Lage, beide Blickwinkel institutionell unter einem Dach vereinen zu können—und die Probleme beider Situationen in Relation zu setzen.

JB: In Hellersdorf sind viele Dinge, die in Kreuzberg selbstverständlich sind, alles andere als gegeben. Man muss sich dort noch einmal ganz anders artikulieren; muss lernen, auf ein anderes Milieu Bezug zu nehmen, auf andere soziale Voraussetzungen und Notwendigkeiten zu reagieren. So eine Erfahrung ist ein Korrektiv, das eigentlich allen Kunstinstitutionen guttäte—vielleicht auch der Kulturpolitik im Ganzen. Auch im sogenannten Zentrum ist es wichtig, andere Fragen aufzunehmen und andere gesellschaftliche Gruppen jenseits der eigenen Blase anzusprechen.

AM: Im Zuge dieser ganzen Entwicklung bietet sich auch die Chance, unterschiedliche Perspektiven zusammenzubringen und in Bezug auf Hellersdorf zu fragen, was Zentrum und Peripherie überhaupt sind. Im Verein wird gerade noch einmal extrem Vieles hinterfragt und überdacht. Das ist auch wie eine Frischzellenkur. Ganz allgemein finde ich es extrem wichtig, als Kulturinstitution die Missstände zu thematisieren und aktiv zu werden. Was muss sich ändern? Wie sähen mögliche Lösungen aus? Und wie kann die Politik wieder handlungsfähig werden?

 

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