Su Yu Hsin

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In Kooperation mit Berlin Art Link haben wir Su Yu Hsin in ihrem Berliner Studio besucht. Mit uns sprach sie über die Länge ihrer künstlerischen Forschungsprojekte, ihre Faszination zu Wasser und Perspektiven, denen sie Gehör schaffen möchte.

In Kooperation mit Berlin Art Link

Su Yu Hsins Atelier fühlt sich in dieser chaotischen Stadt wie ein ruhiger, geordneter Zufluchtstort an. Der Raum selbst ist hell und luftig, mit hohen Decken und Fenstertüren, die sich zum darunterliegenden Hof öffnen. Sonnenlicht fließt in den großzügigen Raum, der abgesehen von Sus Schreibtisch und einigem elektrischen Equipment weitgehend leer ist. In einem Stauraum hinter einem Vorhand versteckt sich womöglich ein wenig Unordnung, zu sehen ist davon nichts.

Su Yu Hsin, Foto: Curtis Hughes

Sus Schreibtisch zu betrachten ist eine Freude; zu sehen ist eine sorgfältig angeordnete Auswahl an Artefakten aus ihren Feldstudien, wie Museumsstücke, die zu unserer Bewunderung arrangiert wurden. Da ist das Hydrometer in einer Metallbox, normalerweise zur Messung der Luftfeuchtigkeit in Galerien oder Museen, mit dem Su experimentiert. Sie interessiert sich für die Arten und Weisen, wie wir versuchen, Umgebungen zu kontrollieren und sie in einem fundamental instabilen Klima stabil zu halten. Oder das scheibenartige Objekt, das auf zwei Blöcken balanciert, ein ›Dummy-Wafer‹, wie er in der Produktion von Halbleitern Anwendung findet. Dann sind da unterschiedliche Arten von Fossilien, die jeweils unterschiedliche Stadien des Auftauchens von Eisen auf der Erde zeigen: die eine ist eine polierte Scherbe mit roten, orangenen braunen Schichten; eine weitere eine schwarze klumpige Masse; und schließlich ein runder sandiger Stein, bei dem es so aussieht, als würden sich Wasserkräuselungen an einen Rändern bilden. Mein Liebling ist ein Stück Fernsehstein oder Uxelit, so eine Art natürliche Glasfiber, die Bilder auf ihre eigene Oberfläche projiziert. Platziert man den milchig-weißen Stein auf einen Text oder ein Bild, so erscheint wie durch Zauberei das Bild auf der Oberfläche des Steins. Es gibt eine solche Fülle hier, so viel an Information und Geschichte, die hier für ruhiges Betrachten und Nachdenken präsentiert sind.

Su Yu Hsin, Foto: Curtis Hughes

Su erzählt mir, dass sie zwar n ihrem Atelier recherchiert und ihre Filme schneidet, aber ein Großteil der Arbeit draußen stattfindet. Die Artefakte auf ihrem Schreibtisch helfen Su, sich mit ihren Feldstudien verbunden zu fühlen, während sie im Atelier arbeitet, und sie erinnern die Künnstlerin an die verschiedenen Projekten, an denen sie parallel arbeitet. Sie sind so angeordnet, erklärt Su, dass sie bestimmte Verbindungen untereinander wie auch mit der Künstlerin selbst aufrechterhalten. »Es geht um eine Art haptische Erinnerung«, sagt sie.

An der Atelierwand hängen mehrere Bilder und Landkarten, die sich auf jüngere wie auch zukünftige Projekte beziehen. Viele der Bilder beziehen sich auf ihre Arbeit ›water sleep II Akaike river under Xizang Road‹ (2019), in der sich Su auf einen Fluss in der Nähe ihres Elternhauses in Taipei bezieht, der von einer Hauptstraße bedeckt und somit auf Satellitenbildern vollkommen unsichtbar ist. Es gibt eine Karte des Akaike River und seiner Umgebung, bevor er mit der Xizang Straße überbaut wurde, jüngere Karten der Gegend und einer weitere, von der Su alle Verweise auf die japanische Kolonialisierung entfernt und den Fluss selbst isoliert hat. Es findet eine Art von Auftrennen statt, eine Entfernung von Schichten, um an das Herz des Ortes zu gelangen.

Vordergründig konzentriert sich Sus Arbeit auf das Aufeinandertreffen von Technologie und Ökologie an einem bestimmten geografischen Ort. Sie untersucht, wie natürliche Ressourcen ausgebeutet werden, um die Technologie zu produzieren, die wir in unserem Alltag benutzen, oder wie Technologie verwendet wird, natürliche Phänomene zu erkunden und zu messen. Aber die Globalisierung der technologischen Produktion bedeutet, dass ihre Arbeiten gleichzeitig ebenso globale Politik und deren Auswirkungen auf lokale Bedingungen ansprechen.

Su Yu Hsin, Foto: Curtis Hughes

Während der Berlin Art Week zeigt Su ihre jüngste Arbeit ›Particular Waters‹ im C|O Berlin. In der Tat ist der Topos Wasser ein Faden, der sich durch ihre Arbeiten zieht: seine Verwendung, Bewegung, Sichtbarkeit und sogar seine Geschichte. Su erklärt, dass sich ihre Faszination für das Wasser von ihrer eigenen Bewegung durch die Welt herleitet. Als sie sich in Deutschland niedergelassen hat, fiel ihr auf, dass das Klima hier so viel trockener als in ihrem Heimatland Taiwan ist. Es ist die typische Luftfeuchtigkeit auf der Insel, die sie mit Zuhause assoziiert. Hier in Deutschland, erzählt sie mir, ist es »bei einem Sommergewitter, wo ich mich wirklich zu Hause fühle; die Schwüle, der Klang… das kann sich wirklich wie Taiwan anfühlen«. Man hat das Gefühl, Sus Praxis und ihr Fokus auf Wasser ist auch eine Untersuchung ihrer eigenen Identität. Und diese Untersuchung wird durch die Distanz ermöglicht. »Die Distanz hat es mir ermöglicht, die Insel von weiter weg zu beobachten«, sagt sie, »zu sehen, wie ich mich mit ihr identifiziere und welche Elemente mir bleiben.« Su achtet darauf, inwieweit das Wasser immer ortsspezifisch ist, aber gleichzeitig eine Ressource, die anschwillt und abebbt. Auf einer gewissen Ebene ist Wasser unkontrollierbar und gehört niemandem, und dennoch enthält Wasser alle möglichen biologischen Materien , die uns von seiner Geschichte und Spezifität erzählen—es ist sozusagen niemals rein. Wasser ist begehrt und begrenzt und dennoch reichlich vorhanden und oft destruktiv. Es ist diese gleichzeitige Besonderheit und Allgemeinheit von Wasser, die es zu einem so interessanten Untersuchungsgegenstand macht.

Sus Videoarbeiten sind ihrem Wesen nach zumeist dokumentarisch, und sie sagt mir, es sei ihr ein Anliegen, Stimmen und Narrative ans Licht zu bringen, die üblicherweise ungesehen bleiben. »Ich möchte eine Plattform für unterschiedliche Stimmen zur Verfügung stellen«, sagt sie. Aber es geht um mehr; die Arbeiten sollen uns helfen, Verbindungen herzustellen, sie sollen »Vermittlerinnen für bestimmte Narrative sein, die sich schon an diesen Orten befinden«. Sus Arbeiten widmen sich den Verbindungen zwischen Menschheit und Natur, aber auch den Konflikten, die entstehen, wenn menschliches Streben und das Streben der Natur gegeneinander gehen.

Su Yu Hsin, Foto: Curtis Hughes

Aber Sus eigene Präsenz in ihren Videoarbeiten ist ein wichtiges Element ihrer Struktur. Diese Idee wird explizit in ihrer Zweikanal-Arbeit ›frame of reference‹ erkundet, wo eine Stimme fragt: »Welche Art von Messungen verwenden wir zur Wahrnehmung, wenn wir uns selbst innerhalb des Systems befinden?« Su erklärt mir: »Ich bin mir meiner Rolle als Beobachterin sehr bewusst, und wie ich mich mit dem Netzwerk von Verbindungen und Beziehungen auseinandersetzen kann, das ich beobachte. Ich kann meine Einmischung in diesen Prozess nicht ausradieren, weil ich ja auch in dieses Netzwerk interveniere. Eine Art, wie ich dies zu überwinden versuche, ist, dass ich die Präsenz einer Beobachterin in der Arbeit selbst zeige.«

Su verwendet auch fiktionale Elemente in ihrer Arbeit, um mit diesem Problem umzugehen, aber auch, um eine Verbindung zwischen Elementen ihrer Arbeit herzustellen. Aber sie tut das auf eine Weise, die die dokumentarischen Aspekte ihrer Arbeit keineswegs schmälern. Diese fiktionalen Elemente entwickeln sich häufig aus den Grenzen, mit denen sie bei ihren Recherchen zu tun hat, beispielsweise wenn Informant*innen ihre Geschichte erzählen möchten, aber dabei lieber anonym bleiben wollen, oder wenn eine Schauspielerin teile der Geschichte darstellen muss, wie beispielsweis in ›Particular Waters‹. »Ich versuche an jedem Ort, ein*e Vermittkler*in zu finden«, sagt Su mir, »eine Vermittler*in zwischen den Systemen, die ich untersuche. In ›Particular Waters‹ verbindet die Schauspielerin die Halbleiterproduktion mit der Wasserkrise.« Aber der fiktionale Aspekt »erlaubt es mir zudem, meine eigene Ansicht im Film zu positionieren. Er ermöglicht es mir, eine weitere Linie in diesem lokalen Netzwerk zu ziehen.«

Die Tatsachen werden unter Umständen manchmal leicht verändert, um bestimmte Aspekte zu entwickeln oder zu unterstreichen, die Sui relevant findet, während sie dem ursprünglichen Narrativ treu bleibt. »Ich möchte nicht, dass das fiktionale Element inszeniert wirkt«, sagt sie, »ich möchte einen parallelen Handlungsstrang unterstreichen, der in der Wirklichkeit existiert.« Somit ermöglichen die fiktionalen Elemente eine Vertiefung bestimmter in ihren Arbeiten präsentierter Ideen. Zum Beispiel setzte Su in ›Particular Waters‹ eine Schauspielerin für einen Job ein, der üblicherweise von Männern gemacht wird. Hier wollte sie, so sagt sie mir, »mit dem Bild eines Frauenkörpers als einem Träger von Wasser arbeiten. Das war für mich eine Art, über elementares Gedächtnis zu sprechen.«

Su Yu Hsin, Foto: Curtis Hughes

Bevor ich gehe, muss i h Su angesichts ihres Fokus‘ auf globale Politik und die natürliche Welt noch zu ihrer Haltung über den Klimawandel fragen. Der Klimawandel sei ein »allgegenwärtiges Thema«, obwohl sie es nicht direkt in ihrer Arbeit anspricht. »Für mich ist es eine Frage, in einem bestimmten Maßstab zu denken, wie wir den Planeten verstehen, auf dem wir leben und was unsere blinden Flecken sind. In diesem Sinne denke ich, ist die Interdisziplinarität meiner Arbeit ein Beispiel dafür, wie die Kunst Verbindungen zwischen Wissenschaft und Politik ans Licht bringen kann.«

Beim Verlassen des Ateliers habe ich das Gefühl, dass der Raum die Struktur von Sus Arbeiten direkt widerspiegelt: man hat den Eindruck, hier herrschen Kontrolle, Organisation und Ordnung, die es ermöglichen, die Details von Dingen genauer zu beachten, die wir oft übersehen oder die uns nicht auffallen. Und dazwischen ist etwas anderes, träumerischeres eingewoben oder zumindest etwas chaotisches und spontanes, das in den Geschichten dieser Objekte zu finden ist. Man bekommt den Eindruck, dass Su diese Objekts nach den Erinnerungen befragt, die diese uns überlassen könnten. Indem sie ihnen eine Stimme gibt, offenbart Su eine gemeinsame politische und geografische Geschichte, die sich immer noch weiter entfaltet, wie ein Fluss, der unter einer verkehrsreichen Straße fließt.

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