»Der Punkt, an dem ich starte, ist das Nicht-Passen.«

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Elske Rosenfeld, Hugging Angela Davies, Standbild, 2020. © Elske Rosenfeld

Schon länger beschäftigt sich die Künstlerin Elske Rosenfeld mit dissidenter Politik und künstlerischer Praxis in der DDR und der Zeit um 1989/90. Während der Berlin Art Week ist sie in der nGbK gleich in zwei Ausstellungsprojekte involviert. Wir haben mit Rosenfeld gesprochen—über die US-Bürgerrechtlerin Angela Davis und die Kraft der Umarmung, über Geschichtsschreibung und Depots, über Dissidenz, Dissonanz, Leerstellen in der Förderpolitik und die Problematik des Begriffs des ›Kollektivs‹.

Während der Berlin Art Week wird Ihre Arbeit ›Hugging Angela Davis‹ in der Ausstellung ›Neues Deutschland‹ in der station urbaner kulturen der nGbK in Hellersdorf zu sehen sein. Ursprünglich für eine Ausstellung in Dresden entstanden, setzen Sie sich darin mit dem Besuch der Schwarzen US-Bürgerrechtlerin und Kommunistin Angela Davis 1972 in der DDR auseinander. Für was stand denn die Person Angela Davis in der DDR?

Davis war 1970 wegen Terrorismus-Verdacht in den USA inhaftiert worden. Daraufhin kam es zu einer Reihe von Soli-Kampagnen für ihre Freilassung, insbesondere im Ostblock und besonders in der DDR. Anscheinend kamen diese Aktionen zunächst aus der Bevölkerung. Der Staat hat sie erst danach aufgegriffen, um sich an die Spitze der Kampagne zu setzen. Denn jemand wie Davis kam sehr gelegen, um eine Jugend anzusprechen, deren Lebensrealität sich immer weiter von den staatlich gewünschten Formen entfernte. Nach ihrer Freilassung begab sich Davis auf eine Tour durch eine Reihe osteuropäischer Länder, um sich für die Unterstützung zu bedanken. Darunter eben auch durch die DDR. Die DDR-Regierung unter Erich Honecker wollte dabei Davis’ Mobilisierungspotenzial nutzen. So clever das ist, so zweischneidig ist es für einen Kontrollstaat wie die DDR aber auch. Denn man ruft dabei Affekte auf—Begeisterung, Identifikation, Interesse, Solidarisierung—, die gleichzeitig etwas Unkontrollierbares haben. Es läuft halt immer etwas aus dem Ruder. Und so kamen eben nicht die erwarteten 3000 Leute zum Flughafen Schönefeld, um Davis zu begrüßen, sondern 50.000.

 

In Ihrer Arbeit geht es konkret um eine Frau aus der DDR, die Davis später im Stadtzentrum entgegen des Protokolls umarmt hat, richtig?

Genau. Es gab ein rigides Protokoll für den Besuch. Die ersten Reihen sollten selbstverständlich mit FDJ-ler*innen besetzt sein, aber Erika Berthold, so hieß diese Frau, hat sich rechtzeitig mit ihrem Kinderwagen dort platziert und einfach gewartet. So kam es zu dieser Umarmung, die überhaupt nicht vorgesehen war. Mich hat dieses Aufeinandertreffen der zwei Frauen aber auch jenseits des Verstoßes gegen das Protokoll interessiert. Ich beschäftige mich in meiner Arbeit viel mit der Geschichte der Dissidenz—und das heißt, mit einem Projekt, welches das sozialistische Projekt nicht grundsätzlich ablehnt, sondern durch Kritik verbessern möchte. Erika Berthold stammte selbst aus einem Funktionärshaushalt, hatte sich aber davon distanziert, als sie den Sohn von Robert Havemann, eines sehr bekannten DDR-Dissidenten, kennengelernt und mit ihm eine Familie gegründet hatte. Gemeinsam lebten die beiden in der Kommune 1 Ost. Aber auch Angela Davis ist eine zumindest für Osteuropäer*innen in sich ambivalente Figur—auf der einen Seite ist sie Mitglied der stalinistisch ausgerichteten KP der USA, auf der anderen Seite kollidiert ihre Biografie als Schwarze Frau mit dem offiziellen Narrativ des Staatssozialismus. In der Umarmung beider treffen diese verschieden gebrochenen politischen Begehren und Bewegungen aufeinander.

 

Was interessiert Sie denn an derartigen körperlichen Gesten?

Körpergesten können oft Dinge ausdrücken, die sich in den sprachlichen Paradigmata der jeweiligen Zeit nicht sagen lassen. In diesen beiden Personen ist ja ein gewaltiges Konfliktpotenzial angelegt. So wurde Berthold von den stalinistischen Kommunist*innen, die Davis hofiert haben, angeklagt, umgekehrt finden sich ihrerseits Projektionen der weißen auf die Schwarze Frau. Dass sich dieser ganze Komplex an schwer zu lösenden Problemen und Konflikten nun ausgerechnet in einer Geste der Umarmung, einem aus dem Körper kommenden Vorschlag äußert, fand ich sehr schön. Hätte man dasselbe sprachlich zum Ausdruck bringen wollen, es hätte wahrscheinlich ganz schön geknirscht. In der Umarmung aber wird es für einen kurzen Moment möglich.

Elske Rosenfeld, Hugging Angela Davies, Installation, 2020. © Elske Rosenfeld

Ist es ein wiederkehrendes Element in Ihrer Arbeit, derartige Brüche in vermeintlich eindeutigen Zuschreibungen aufzuspüren und Geschichten zu verkomplizieren, die eine Tendenz haben, auf ein bruchloses Narrativ zugeschnitten zu werden? Würden Sie das als eine Art Arbeitsweise bezeichnen?

»Aufspüren«, wie Sie es nennen, würde ich nicht sagen. Für mich sind die Brüche eher der Ausgangspunkt. Ich finde mich selbst immer wieder an Punkten wieder, die sich in die üblicherweise erzählten Geschichten nicht einsortieren lassen. Das betrifft vor allem meine Erfahrung der Jahre 1989/90 und die Frage, mit was für einer Art politischem Moment man es da zu tun hat und wie wenig dieser sich greifen lässt—sowohl in den Diskursen zur DDR als auch zur sogenannten ›Wiedervereinigung‹. Meine Erfahrung liegt vielen dieser Narrative oft eher quer und das führt mich dann zu Themen, zu Materialien, an denen sich diese Dissonanz konkretisieren lässt. Der Punkt, an dem ich starte, ist aber das Nicht-Passen.

 

Sie sind aktuell noch in ein anderes Projekt in der nGbK involviert, das ebenfalls während der Berlin Art Week zu sehen sein wird: die Ausstellung ›… oder kann das weg? Fallstudien zur Nachwende‹, die sich mit Methoden und Motiven auseinandersetzt, die in der späten DDR entwickelt worden waren und in Deutschland nach 1990 unlesbar wurden. Was sind das für Motive und Methoden? Kann man das benennen?

Uns ist einfach aufgefallen, dass es inzwischen eine neue Generation jüngerer Künstler*innen gibt, die sich positiv und erfolgreich auf ihren DDR-Hintergrund beziehen, dass aber relativ wenig Wissen oder Verbindungslinien zu den tatsächlichen künstlerischen Arbeitsweisen und den Leuten existieren, die in der DDR gearbeitet haben. Es gibt einen Bruch und eine Unterbrechung von bestimmt zwanzig Jahren, in der künstlerische Arbeitsweisen aus dem Osten wenig sichtbar waren. Man kann das sozial und biografisch erklären, über fehlende Netzwerke und fehlende ökonomische Mittel. Das trifft sicher zu. Man könnte aber auch noch anders argumentieren: Das Kunstfeld, wie es sich heute präsentiert, steht in einer Kontinuität mit dem damals westlichen Kunstfeld. Und Ansätze und Wertigkeiten einer in der DDR geprägten Kunst wurden da nach 1990 unter Umständen gar nicht als Kunst wahrgenommen. So jemand wie Georg Baselitz hat ja tatsächlich behauptet, dass es in der DDR gar keine Kunst gab. Wie aber konstituierte diese DDR-Kunst ihre Wertigkeit? Und was macht sie so anders, dass sie nicht erkannt wird? Findet sich darin dann nicht auch ein Potenzial, dem dominanten Bild etwas entgegenzusetzen? Uns hat also interessiert, wie damals konkret gearbeitet wurde und warum das nach 1990 so unverständlich wurde. Man muss nur einmal das Prinzip des ›Kollektivs‹ nehmen—wobei dieses Wort auch schon wieder schwierig ist. Denn auch wenn es in vielen künstlerischen Ansätzen der späten DDR eine Affirmation des Wir oder des Kollektiven gibt, so ist damit nicht das Kollektiv gemeint, das staatlicherseits immer eingefordert wurde, sondern eher dissidente Formen des kollektiven Seins. Auch die Modi, in denen Kunst und Leben voneinander abgegrenzt wurden oder eben nicht, waren ganz andere als im Westen.

 

Wie begreifen Sie im Kontext des NGbK-Projekts denn den Begriff der ›Nachwende‹?

Wir fassen den Nachwendebegriff sehr weit, und zwar von den späten 1980ern bis ins Jetzt. Wir suchen nach Kontinuitäten und Brüchen. Und wir fragen nach Möglichkeiten, wie das, was liegengeblieben ist oder von den dominanten westlichen Begrifflichkeiten und Wertigkeiten verdeckt wurde, aber nicht verschwunden ist, noch einmal aufgemacht werden kann. In der Ausstellung arbeiten wir zum Beispiel mit dem Begriff des Depots. Sehr viel DDR-Kunst ist nach 1990 ganz buchstäblich im Depot verschwunden. Und auch wenn das heißt, dass sie zunächst einmal unsichtbar geworden ist, wurde sie aber eben dennoch auch aufgehoben. Das ist schlummerndes Material. Man kann es hervorholen und wieder ins Heute bringen.

…oder kann das weg? Fallstudien zur Nachwende: Gender before Gender. © Elske Rosenfeld, Anna Voswinckel, Suse Weber und Gina Pietsch & Heide Bartholomäus

…oder kann das weg? Fallstudien zur Nachwende: Stasisauna. © Elske Rosenfeld, Anna Voswinckel, Suse Weber und Wolfgang H Scholz

Hat sich in der Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte und DDR-Kunst während der letzten Jahre etwas verändert?

Sehr viel sogar. Für mich kam das unerwartet. Ich habe 2009/10 begonnen, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Damals habe ich noch jede Künstler*in, die dazu gearbeitet hat, persönlich angeschrieben, weil ich mich so drüber gefreut habe, wenn es andere gab. Auf eine Art ist das inzwischen aber zu einem heißen Thema geworden. Warum? Will man zynisch und pessimistisch sein, dann hat das mit dem Rechtsdrall im Osten zu tun. Das gestiegene Interesse an DDR-Themen wäre demnach Ausdruck der Besorgnis angesichts dieser Entwicklungen. Aber es gibt auch Positives zu berichten: Viele Geschichten, die lange nicht gehört oder erzählt wurden, können nun erzählt werden. Vielleicht könnte man sagen: Wir befinden uns am Beginn einer Aufarbeitung der Nachwendejahre aber auch einer Neuausrichtung der Forschung. Bis vor etwa fünf Jahren gab es in Sachen DDR-Geschichte zwei Schienen, einmal den DDR-Unrechtsstaat, die SED-Diktatur und die Stasi, ein andermal dieses eher belächelte Ostalgie-Ding. Dazwischen war nicht viel Platz. Insbesondere im Hinblick auf Kunstgeschichte war da wenig. In den letzten vier bis fünf Jahren sind nun aber einige wichtige Bücher erschienen. Eine jüngere Generation beginnt, sich mit dem heutigen Vokabular den damaligen Praxen zuzuwenden. Das hat gefehlt. Denn das heißt auch, die DDR-Geschichte nicht in ihrem eigenen Sprech zu lesen. Zudem verändert sich das oft aus dem Westen übernommene Vokabular aber auch selbst. Da ist für mich sehr wichtig: Das Werkzeug, das man verwendet, ändert sich, wenn man es auf eine Geschichte bezieht, für die es nicht gemacht worden ist. In anderen Ländern in Osteuropa werden diese Gespräche ja schon länger geführt.

 

Worauf führen Sie diese Verspätung in Deutschland zurück?

Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Um mit einem konkreten Beispiel zu beginnen: Erst vor kurzem hatte ich meine erste westdeutsche Ausstellung. Bis dahin hatte ich zwar Einladungen aus dem deutschsprachigen Ausland, aus Österreich und der Schweiz, aber nie aus Westdeutschland. Denn es gibt oder gab dort zumindest eine Befangenheit. Für Österreicher*innen und Schweizer*innen ist es einfacher, da sie eine gewisse Distanz mitbringen und sich nicht mit ihrer eigenen Rolle beschäftigen müssen, mit den Überschreibungen des Ostens durch den Westen in der Zeit nach 1990. Dazu kommt, zweitens, dass ein deutscher Nationalismus und die Sehnsucht nach der Einheit bestimmte kulturelle Unterschiede oder Abweichungen verdrängen. Und drittens: Die Post-DDR lässt sich in internationalen Forschungskontexten schwer adressieren. Das ist auch eine Förderfrage: In Deutschland hat man für das DDR-Thema lange kein Geld bekommen und in den Osteuropa-Kontexten wollte niemand sein Geld ins reiche Deutschland geben. Resultat war eine Art doppelte Ausklammerung, eine Leerstelle zwischen zwei Seiten. Da sind Deutschland und seine kulturellen Institutionen in meinen Augen zweifelsohne gefragt, das durch eine entsprechende Förderpolitik nachzuholen.

NGBK
… oder kann das weg? Fallstudien zur Nachwende
16 SEP—7 NOV 2021
Eröffnung 15 SEP, 12 Uhr

NGBK. station urbaner kulturen / Hellersdorf
›Neues Deutschland‹ mit Akinbode Akinbiyi und Elske Rosenfeld
19 SEP—4 DEZ 2021
Eröffnung 18 SEP, 16 Uhr

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