Anna Gritz, Sie sind die neue Direktorin des Hauses am Waldsee. Zur Berlin Art Week eröffnet Ihre erste Ausstellung im Haus mit der Künstlerin Leila Hekmat. Was ist zu erwarten?
Die Performancekünstlerin Leila Hekmat wird das Haus in eine Art Sanatorium für Frauen verwandeln, das von Nonnen geleitet wird. Ganz allgemein ausgedrückt: Es geht um Krankheit und Abweichung, darum, was normal ist und was gesund. Formal möchten wir keine Dokumentation von Hekmats Performances zeigen, sondern dafür sorgen, dass das Performative in den Ausstellungsraum kommt—und dass dieses Haus, diese ehemalige Villa im Grünen, die man sich ohne weiteres als Sanatorium vorstellen könnte, transformiert wird.
Sie waren nach Stationen in New York und London die letzten Jahre als Kuratorin an den KW Institute for Contemporary Art. Das Haus am Waldsee ist jetzt ihre erste Direktion. Mit welcher Haltung, ganz allgemein gesprochen, möchten Sie die Dinge jetzt, wo Sie umfänglich gestalten können, angehen?
Vor allem möchte ich künstlerische Perspektiven und Positionen zentral mitdenken. Und damit meine ich: auch jenseits der Ausstellungen, in Bezug auf das Haus und seine Infrastruktur. Wo lassen sich bestimmte Arbeiten oder Arbeitsweisen andocken? Wie gestaltet man das Vermittlungsprogramm? Wie lässt sich mit dem fantastischen Garten umgehen, der zum Haus gehört? Wie kann man das Team eventuell noch einmal anders integrieren? Ich möchte, dass die künstlerische Perspektive tief in der Struktur des Hauses verankert wird. Ein historisches Vorbild ist für mich dabei etwa die Artists Placement Group, die in den 1970er-Jahren Künstler*innen in Fabriken und Firmen geschickt hat. Natürlich muss man aufpassen, dass man die Kunst dabei nicht instrumentalisiert. So etwas muss sich ergeben und kann nicht erzwungen werden. Und dafür braucht es nicht nur buchstäblich Zeit. Man muss sich auch noch einmal eingehender mit den spezifischen Zeitlichkeiten einer solchen Institution auseinandersetzen, also mit ihren Rhythmen und Abläufen.
Wie meinen Sie das?
Man sollte die Abläufe langfristiger denken, Überschneidungen und Übergänge zulassen und sich vielleicht auch von starr getakteten Ausstellungsrhythmen verabschieden. Dann ist man aber schnell bei den grundlegenden Fragen: Was ist denn eine Kunstinstitution? Und was macht sie aus? Was braucht sie heute und wie kann man sie zumindest in Teilen neu denken? Wenn ich sage, dass ich die künstlerische Perspektive zentral stellen möchte, dann heißt das auch, dass ich hier im Haus die Produktion von Kunst thematisieren möchte. Damit meine ich aber nicht unbedingt, dass jemand hier oben unterm Dach Skulpturen zusammenschweißt. Es geht eher darum, künstlerisches Arbeiten nachvollziehbar zu machen und zu vermitteln, damit die Prozesse dahinter auch für fachfremde Besucher*innen transparent werden.
Gerade langfristige und in den Infrastrukturen ansetzende Projekte laufen ja oft Gefahr, sich schwer an ein externes Publikum vermitteln zu lassen. Wie geht man damit um?
Man muss da immer mehrschichtig vorgehen und Kommunikation und Vermittlung auf mehreren Ebenen parallel ansiedeln. Der Fachdiskurs ist legitim und wichtig. Aber man muss parallel immer an Formaten arbeiten, um auch diejenigen mitzunehmen, die nicht schon dazugehören. Nur mit seinesgleichen zu sprechen, funktioniert nie. Hier in Zehlendorf stellt sich diese Frage vielleicht auch noch einmal anders als an den KW Institute for Contemporary Art in Mitte, wo ich vorher war. Vielleicht muss man das erst einmal auf einer anderen Ebene denken, atmosphärisch oder sensorisch, muss erst einmal neugierig machen. Gleichzeitig aber muss man von der Idee wegkommen, dass so etwas von heute auf morgen gelingt. Dazu sind viele kleine Schritte nötig.
Stichwort Zehlendorf—wie möchten Sie sich denn mit dem Umfeld hier am südwestlichen Rand der Stadt auseinandersetzen?
Meine zweite Ausstellung wird mit Magaret Raspé eine Künstlerin zeigen, die gar nicht weit von hier wohnt, und zwar am Mexikoplatz in Zehlendorf. Raspé ist 89 Jahre alt und wir richten ihr hier eine propere Retrospektive aus. Sie verkörpert für mich eine Art ziemlich radikaler Kunstgeschichte aus der unmittelbaren Umgebung, die nicht so bekannt ist. Das Haus dieser alleinerziehenden Mutter und geschiedenen Ehefrau war in den 1970er-Jahren ein beliebter Treffpunkt für Fluxus-Künstler*innen oder die Wiener Aktionisten. Raspé selbst drehte damals sogenannte Kamerahelmfilme, mit denen sie in Großbritannien und den USA, anders als Deutschland, einige Bekanntheit erlangte. Für diese Filme hatte sie eine Super-8-Kamera auf einen Baustellenhelm geschnallt und dokumentiert, was sie macht, Kochen ebenso wie Malen. Sie hat damit hinterfragt, nach welchen Automatismen Alltagsarbeit abläuft. Wie unterscheidet sich gedankliche Arbeit von Handarbeit? Wie verhält sich die Künstlerin zur Hausfrau? Neulich hat mir Raspé erzählt, dass sie eines der ersten Mitglieder des Freundeskreises des Hauses am Waldsee war— um so schöner, wenn wir dieser Künstlerin, die damals einfach nicht die nötige Anerkennung bekommen hat, hier jetzt eine umfassende Retrospektive ausrichten können.
Das Haus selbst hat ja auch eine bewegte Geschichte und ist eine der ältesten Institutionen für zeitgenössische Kunst in Berlin, richtig?
Genau. Das Haus, und mit ihm sein Garten, wurden 1922 errichtet, also vor genau 100 Jahren. Erbaut hat es der jüdische Textilunternehmer Hermann Knobloch nach Entwürfen des Berliner Architekten Max Werner. Teils war es als Wohnhaus gedacht, teils war es aber auch einfach ein Investment. Ich finde diesen Punkt ganz interessant, denn er entzaubert die vermeintliche Idylle ein bisschen. Der wunderschöne See hinterm Haus wurde künstlich angelegt—nicht zuletzt auch, um die Wohnlage aufzuwerten und Investoren anzulocken. Das war damals schon knallharte Immobilienentwicklung. 1926 wurde das Haus dann verkauft, nachdem Knobloch in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Später gehörte es einem hohen Kulturfunktionär des NS-Apparats, Karl Melzer, bevor es 1945 enteignet wurde. Schon unmittelbar nach dem Krieg, als es von russischen Truppen besetzt war und noch bevor es im Zuge der Aufteilung der Stadt in verschiedene Sektoren der US-Verwaltung unterstellt wurde, gab es hier erste künstlerische Aktivitäten. 1946 wurde schließlich die Institution gegründet. Ich möchte kein dezidiertes Archivprogramm machen, aber die bewegte Geschichte und das Lokale hier sollen doch immer wieder sichtbar werden.
Gilt das auch für den riesigen Garten des Hauses?
Der Garten ist für meine Überlegungen zum Programm in der Tat zentral. Dabei verkörpert dieser klassische englische Landschaftsgarten, der unter Denkmalschutz steht und gerade erst saniert wurde, ein ganz anderes Bild, einen anderen Zugang zur Natur, als wir ihn heute eigentlich brauchen. Nach Sichtachsen strukturiert und an ästhetischen Effekten orientiert, ist er gemacht, um den Menschen zu gefallen. Heute aber muss man die Natur eher als gleichberechtigte Partner*in mitdenken. Wie man das umsetzen kann—wieder: aus künstlerischer Perspektive—, ist eines meiner großen langfristigen Anliegen.
Aber wie lassen sich vor dem Hintergrund des Denkmalschutzes künstlerische Eingriffe realisieren? Das ist sicher nicht so einfach.
Ich sehe solche Vorgaben nicht als Begrenzungen, sondern als Chancen. Man hat etwas, an dem man sich reiben kann. Ich glaube nicht an das Neutrale. Und ich bin mir sicher, dass auch Künstler*innen von der Geschichtslosigkeit des klassisch modernen Kunstraumes oft eher überfordert sind. Ich will damit nicht sagen, dass alle, die ich einlade, hier ortspezifisch und geschichtsbezogen arbeiten müssen. Aber um einige Fragen kommt man halt nicht herum, wenn man an einem Ort arbeitet, an dem einmal Menschen gelebt haben und an dem die Natur—oder ein bestimmtes Bild von ihr—so präsent ist.
Wie empfinden Sie eigentlich die Lage des Hauses an der Peripherie, um es einmal so zu nennen?
Ich finde die Peripherie ganz allgemein einen extrem spannenden Ort. Hier lässt sich anders über Dinge nachdenken. Man ist weder ganz auf dem Land noch im Zentrum im herkömmlichen Sinn. Es gibt Distanz und trotzdem Nähe. Das eröffnet Freiheiten und Möglichkeiten. Dazu kommt, dass man sich, wenn man aus dem Stadtzentrum kommt, zumindest auf eine kleine Reise begeben muss. Meine Hoffnung ist, dass man sich dann auch mehr Zeit nimmt, mehr drüber nachdenkt, was man sieht. Aber zurückgefragt: Wer bestimmt denn eigentlich, was die Peripherie ist? Institutionell gesprochen gibt es in der Nachbarschaft zum Beispiel das Brücke Museum, seit ein paar Jahren auch Fluentum. Das sind dann einfach andere Bezugspunkte, ein anderes Koordinatennetz. Und vielleicht haben wir es hier weniger mit der Peripherie und mehr mit einem anderen Zentrum zu tun.
HAUS AM WALDSEE
Leila Heckmat—Female Remedy
15 SEP—8 JAN 2022
Eröffnung 14 SEP, 19.30 Uhr